Dresden - Der heutige Ostersonntag ist einer der wenigen Tage, an denen die Deutschen an die in Sachsen und Brandenburg lebende, nationale Minderheit erinnert werden. Bundesweit sieht man Bilder der Osterreiter. Ansonsten werden die Sorben weitgehend ignoriert.
Dass heute vor einer Woche etwa gewählte Volksvertreter die zweite Legislaturperiode des "Serbski Sejm" begannen, wurde nirgends erwähnt. Es ist ein Parlament, das keiner anerkennt. Dies wäre allerdings dringend nötig. Denn noch nie war das Überleben der sorbischen Sprache und damit die Existenz des Volkes so bedroht wie jetzt.
Vor über 1000 Jahren begannen die Deutschen, die Sorben aus ihrem angestammten Siedlungsgebiet zwischen Saale und Oder zu vertreiben. Sie wurden während der gewaltsamen Kolonialisierung zwangsweise christianisiert und später nicht selten ethnisch diskriminiert und gesellschaftlich ausgegrenzt.
Mehrfach wurde ihre Sprache verboten. Das friedliebende Volk nahm dies meist duldsam hin. Es gab kaum Aufstände, höchstens, als 30 sorbische Fürsten zu einem Gastmahl geladen und umgebracht wurden.
Das Volk hat trotzdem überlebt, wenn auch nur noch in der Lausitz. Im letzten Jahrhundert überstand es sogar zwei Diktaturen. Heiko Kosel, Anwalt aus Malschwitz: "Ich würde es als verheerend ansehen, wenn gerade unter demokratischen Verhältnissen die sorbische Sprache und Kultur verschwinden könnte."
Seine Sorge ist nicht unbegründet. Von den derzeit 60.000 Sorben sprechen nach Hochrechnungen noch 13.000 aktiv Obersorbisch und 7000 Niedersorbisch (zumeist in Brandenburg). Während ersteres mit etwas Optimismus das 21. Jahrhundert überleben könnte, ist letzteres akut vom Aussterben bedroht. Besonders in der jungen Generation lassen die Sprachkenntnisse erheblich nach.
Domowina fordert Bildungsautonomie für die Sorben
Auch wenn der Freistaat eine aktuelle Imagekampagne "Sorbisch? Na klar." fährt, war seine Bildungspolitik der Sprache weniger förderlich. So gelten für Schulen der Minderheit - in vielen Regionen Europas ist dies anders - in Sachsen die gleichen Mindestschülerzahlen wie für die der deutschen Mehrheitsbevölkerung.
Daher wurden die Sorbenschulen in Crostwitz und Panschwitz-Kuckau geschlossen. Und Anfang des aktuellen Schuljahres sollte in Radibor sogar die Bildung einer sorbischen Muttersprachler-Klasse verboten werden, was nur unter großem Protest abgewehrt werden konnte.
Daher fordert die Domowina, Dachverband sorbischer Vereine und laut sächsischem Sorbengesetz Interessenvertreter, seit geraumer Zeit die Bildungsautonomie für die Sorben. Eine wirkliche Mitsprache ist nicht geregelt - die Rolle der Domowina ist eher die eines zahnlosen Bittstellers. Und die vom Landtag gewählten Sorbenräte haben lediglich beratende Funktion.
Deshalb startete 2011 eine Initiative, für das sorbische Volk ein demokratisch gewähltes Parlament zu etablieren. Vonseiten der Behörden gab es keine Unterstützung. Auch nicht von der Domowina. Als eine Art sorbisches Goethe-Institut verteilt diese einen Teil der jährlich knapp 25 Millionen Euro Staatsgelder an die sorbischen Vereine. An diesen eingefahrenen Strukturen möchte man nicht rütteln lassen und somit einen Machtverlust riskieren.
Mangels erfolgreicher Öffentlichkeitsarbeit gaben 2018 für die Wahl des ersten Serbski Sejm auch nur 830 Sorben ihre Stimme ab. Die ehrenamtlichen Volksvertreter arbeiten seither in acht Ausschüssen für die Belange des sorbischen Volkes. Unter anderem wird an einer Verfassung gefeilt und an Konzepten für den Schülertransport und eine eigene Schulbehörde.
Vorschlag für Staatsvertrag zwischen Sorben und BRD soll abgestimmt werden
Abgeordneter Heiko Kosel: "Wir haben keine Fraktionen, sondern bemühen uns um einvernehmliche Beschlüsse. Jeder hat ein Veto-Recht und muss dann mit den Antragstellern einen Kompromiss in der Formulierung erarbeiten." Die öffentlichen Plenarsitzungen ziehen reichlich Besucher an und finden an wechselnden Orten statt.
Während der Serbski Sejm in den Rathäusern im Sorbengebiet herzlich willkommen ist, blitzt er bei den Bundesländern oder dem Bund schon bei der Kontaktaufnahme ab. Die Rechte des sorbischen Volkes seien bereits in den Sorbengesetzen geregelt, heißt es.
Lediglich für die Prüfung eines Kupferbergbau-Projektes holte die Landesdirektion Sachsen einmal eine Stellungnahme des nicht anerkannten Parlamentes ein - möglicherweise ein Versehen.
Heute vor einer Woche traten in Lohsa 24 neu gewählte Volksvertreter zur konstituierenden Sitzung der zweiten Legislaturperiode an. In den kommenden Wochen soll der Vorschlag für einen Staatsvertrag zwischen dem Volk der Sorben und der Bundesrepublik sowie den beiden Ländern mit Völkerrechts-Experten abgestimmt werden. Vorher wurden darin 400 Vorschläge und Hinweise aus der sorbischen Bevölkerung eingearbeitet.
Kosel, Vorsitzender des Verfassungsausschusses: "Er orientiert sich an den Staatsverträgen, welche mit den Volkskirchen existieren. Statt um das Verhältnis des Staates zur Religionsgemeinschaft geht es hier um die Ethnie."
So sollen Rechte des sorbischen Volkes und die Mitsprache in ihrem Siedlungsgebiet garantiert werden. In den letzten hundert Jahren wurden 130 sorbische Dörfer weggebaggert, ohne dass das betroffene Volk seine Stimme erheben durfte.
Kanzlei für Völkerrecht arbeitet mit Sorben zusammen
Das Parlament glaubt, dass Deutschland zu Verhandlungen gezwungen sein wird. Denn 2021 wurde eine internationale Konvention zum Schutz eingeborener Völker durch die Bundesregierung ratifiziert.
Zwar leugnet diese noch, dass es auf dem Territorium der Bundesrepublik ein indigenes Volk gibt. Doch die Sorben erfüllen mit der langen Kolonialisierungs-Geschichte sowie der eigenen Sprache und Kulturtradition die wissenschaftlich anerkannten Kriterien dafür.
Unterstützung kommt auch durch die vom Europarat eingesetzte Menschenrechtskommission, welche in ihrem aktuellen Minderheitenbericht die Bundesrepublik ermahnt, mit allen Repräsentanten des sorbischen Volkes ins Gespräch zu kommen und explizit auf den Serbski Sejm verweist.
Dieser könnte immerhin die Bundesrepublik vor dem Europäischen Gerichtshof auf Einhaltung der Minderheitenrechte verklagen. Eine auf Völkerrecht spezialisierte Kanzlei aus London arbeitet bereits mit dem Sejm zusammen.
Info: serbski-sejm.de