Mittweida - Es sind Erlebnisse, die sie ein Leben lang nicht loslassen: Am 8. April 1983 bringt Gabriele Eckerl (62) mit 20 Jahren im Krankenhaus Mittweida Zwillinge zur Welt. Doch nur eines der beiden Mädchen, Sandra (42), darf sie in die Arme schließen. Ihre zweite Tochter - vorgesehen war der Name Claudia - wird ihr als tot geboren gemeldet.
"Ich durfte sie nur kurz sehen. Danach wurde sie schnell eingewickelt und weggebracht", erinnert sich die Mutter. Abschied nehmen konnte sie nicht. Stattdessen wurde ihr mitgeteilt, das Kind werde zusammen mit einer anderen verstorbenen Person beigesetzt. "Ich habe nie erfahren, wo mein Kind bestattet wurde."
Eine Sterbeurkunde existiert, doch bei späterer Akteneinsicht fielen der Familie zahlreiche Ungereimtheiten auf: unterschiedliche Schriftarten auf den Dokumenten, nachträglich korrigierte Uhrzeiten, fehlende Hinweise auf eine konkrete Grabstelle.
Jahrzehnte später kommen Eckerl und ihre dritte Tochter Sindy Wagner (37) ins Grübeln. Grund dafür sind zahlreiche Berichte über sogenannte Zwangsadoptionen in der DDR. Schätzungen zufolge wurden zwischen 2000 und bis zu 10.000 Kinder aus verschiedenen Gründen zwangsadoptiert.
In Einzelfällen wurde Eltern nach der Geburt mitgeteilt, ihre Kinder seien gestorben, obwohl sie in Wirklichkeit lebten. Ob auch Eckerls Tochter betroffen ist, lässt sich nicht zweifelsfrei sagen. "Wir schließen nicht aus, dass Claudia tatsächlich verstorben ist", sagt Sindy Wagner. Aber die quälende Ungewissheit bleibt.
Gabriele aus Mittweida: "Wir wollen die Wahrheit wissen"
Die fehlende Transparenz von damals schürt bis heute Zweifel: "Wir wollen keine Vorwürfe erheben, wir wollen die Wahrheit wissen."
Um Klarheit zu gewinnen, hat die Familie DNA-Proben eingereicht. Eckerl, Sandra und Sindy hoffen, mögliche Verwandte zu finden oder auch die traurige Gewissheit zu bekommen, dass Claudia tatsächlich verstorben ist.
"Wenn mein Kind lebt, möchte ich es eines Tages kennenlernen", sagt Gabriele Eckerl. "Und wenn sie wirklich gestorben ist, dann möchte ich endlich einen Ort haben, an dem ich trauern kann."
Zwangsadoptionen bis heute ungeklärt
In der DDR kam es wiederholt zu sogenannten Zwangsadoptionen. Genaue Zahlen gibt es wegen fehlender Akten bis heute nicht. Besonders alleinstehende, sozial schwache oder politisch auffällige Mütter verloren ihre Kinder oft unter dubiosen Umständen.
Auch bei der Bestattungspraxis von verstorbenen Neugeborenen gab es Besonderheiten: Es war durchaus üblich, dass verstorbene Babys zusammen mit anderen Verstorbenen in ein Gemeinschaftsgrab gelegt wurden, ohne dass die Eltern genaue Informationen erhielten oder eine individuelle Trauerfeier stattfand. Separate Grabstellen für Totgeborene waren in vielen Kliniken nicht vorgesehen.
Im Fall von Gabriele Eckerl existiert eine Sterbeurkunde für das verstorbene Kind, doch die weiteren Unterlagen weisen Auffälligkeiten auf: korrigierte Uhrzeiten, unterschiedliche Schriftarten und der fehlende Nachweis einer Beisetzung lassen viele Fragen offen. Eine Geburtsurkunde des verstorbenen Kindes fehlt ebenfalls.