Auf dieser Naturbühne macht ein ganzes Dorf Theater!
Reichenau - Für ihr Theater würden sie so ziemlich alles tun. Sich einen Bart wachsen lassen? Kleinigkeit. Eine Rodelbahn mitten im Sommer bauen - das ist schon echt starkes Stück. Doch für das Laien-Ensemble der Naturbühne Reichenau (zwischen Königsbrück und Kamenz gelegen) ist keine Herausforderung zu groß.

Am heutigen Samstag feiert die Komödie "Drei Männer im Schnee" nach einem Roman von Erich Kästner im Freilichttheater Premiere - mit Rodelhang, Schneeballschlacht und Winterkulisse.
"Wir sind verrückt und das wissen wir auch", lacht "Knattel". Ein kerniger Typ, groß und kräftig, mit Kinn- und Schnauzbart. Ein Bilderbuch-Räuber mit dem bürgerlichen Namen André Kunath (49). Bei ihm laufen alle Fäden der Naturbühne zusammen, die alle zwei Jahre ein neues Stück unter freiem Himmel aufführt.
Seit Knattel 1986 einen Pfefferkuchen klauenden Räuber spielte, lassen ihn die Bretter nicht mehr los.
Und so geht es den meisten Mitspielern - fast ganz Reichenau macht hier Theater, vor und hinter den Kulissen. "50 Leute sind allein in unserem Verein. Dazu kommen noch viele Helfer, Freunde, Familienmitglieder. Wir sind in vier Arbeitsgruppen organisiert: Bühne, Essen, Finanzen, Bau", zählt Knattel auf.
Alles in allem fast hundert Männer und Frauen.

"Der einzig bezahlte Profi ist hier der Regisseur"

"Der einzig bezahlte Profi ist hier der Regisseur", lacht Knattel. Jakub Gawlik (39) arbeitet seit November zweimal wöchentlich mit den Laienspielern am Stück. Über eine Ausschreibung auf Facebook kam er an den Job.
"Wir haben uns nur ganz kurz gesiezt, dann waren wir beim Du. Die Chemie stimmt einfach", nickt Knattel, der eigentlich die Hauptrolle von Geheimrat Schlüter übernehmen sollte. "Doch mein Herz spielt nicht so ganz mit."
Also sprang mitten in den Proben Laborant Georg Bergmann (30) ein.
"Mit sechs Jahren habe ich das erste Mal Theater gespielt." Auf seinen Kjeld in der Olsenbande-Inszenierung ist er besonders stolz. "Der Geheimrat ist nicht meine erste große Hauptrolle", erzählt Georg selbstbewusst. Neben ihm sitzt "Leff" Andreas Wenzel (68). Seit 50 Jahren spielt er Theater.
"Mit Lessing hat es 1973 in Kamenz angefangen", sagt er bescheiden. In Reichenau hat er - wer ihn ansieht, weiß es sofort - den Egon Olsen gegeben, nun mimt er den Hotelportier, in feiner, roter Uniform mit goldenen Tressen.

"Notmaschine" für Unfälle ist immer vor Ort!

"Die Kostüme holen wir aus unserem Fundus. Manches schneidern wir selbst", zeigt Ramona Geier (56) ihr Reich. Fein säuberlich sind die Kostüme aufgehängt, nichts riecht muffig, alles ist tiptop in Ordnung.
Die gelernte Weberin hat ihre "Notmaschine" immer vor Ort. "Ist eine Naht geplatzt oder hat ein Vorhang einen Riss, kann ich alles schnell reparieren."
Die Schneider-Brigade besteht aus vier Frauen, den "Vier Fleißigen". Für die Kästner-Inszenierung haben sie sogar rund 1200 Schneebälle genäht und gestopft.
Für die gröberen Sachen rücken die Männer an. Sie können sich im Kulissenbau austoben. "Wir wollen unsere Aufführungen immer sehr realistisch gestalten", grinst Knattel mit Blick auf den Rodelberg. Ein mit Brettern beschlagenes Gerüst versteckt sich unter weißem, glattem Stoff.
"Mal hilft uns ein Schlosser, mal eine Tischlerei oder ein Malerbetrieb, immer aus der Region", erzählt Nick Gärtner (21), der Erste Vereinsvorsitzende und im Stück Hoteldirektor.
Lange haben die Männer getüftelt, wie sie auf Schlitten gen Publikum rutschen können. Mit Filz unter den Kufen und Seifenlauge funktioniert's. Derart angespornt, haben sie noch einen Skilift installiert. Wie gesagt: Sie sind verrückt - nach Theater.

Schon seit 35 Jahren Open-Air-Vorstellungen

Die Naturbühne Reichenau (650 Plätze) war ursprünglich ein Steinbruch. Seit mehr als 35 Jahren ist er die Bühne für die schon seit 1955 aktive Laienspiel-Gruppe.
6000 bis 9000 Gäste besuchen jährlich die Inszenierungen.
In diesem Jahr steht "Drei Männer im Schnee" auf dem Spielplan. Termine: 2./9. Juli (16 Uhr), 26. August (20 Uhr), 9./16. September (20 Uhr).
Tickets: 14/10 Euro.
Infos: naturbuehne-reichenau.de.
Titelfoto: Bildmontage: Thomas Türpe (2)