Gefühlsblindheit? So erkennt man sie und geht damit um

Alexithymie beschreibt ein Persönlichkeitsmerkmal, bei dem die Betroffenen weder ihre eigenen noch fremde Emotionen lesen und deuten können. Daraus entstehen oft soziale Konflikte, die eng mit inneren Konflikten verknüpft sein sollen. Können Betroffene dann überhaupt eine feste Beziehung eingehen? Ja, aber mit Einschränkungen.

Weitere spannende Themen rund um Liebe und Partnerschaft gibt's im Ratgeber.

Gefühlsblindheit - Gibt es das wirklich?

Gefühlsblinde verstehen oft die Emotionalität ihres Umfeldes nicht.
Gefühlsblinde verstehen oft die Emotionalität ihres Umfeldes nicht.  © 123rf/zinkevych

Streit mit dem Partner oder der Partnerin, familieninterne Diskussionen, Auseinandersetzungen bei der Arbeit oder Konflikte mit Fremden sorgen oft für anhaltende negative Emotionen, die teilweise den gesamten Tag belasten. Auf der anderen Seite können Hochgefühle wie Glück, Freude und Vorfreude das Gemüt derart aufhellen, dass der Himmel voller Geigen hängt.

Emotionen sind tiefgreifend, ergreifend und lassen einen das Leben spüren. Aber es gibt Menschen, denen die oben genannten Schilderungen vollkommen fremd sind.

Gefühlsblindheit, auch Alexithymie genannt, ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das die Betroffenen weder große Emotionen spüren noch diese bei anderen lesen lässt. Es ist also klar zu erkennen, dass Gefühlsblinde schnell an soziale Grenzen stoßen - Partnerschaften gehören dazu.

Wie sollte man eine Katze eingewöhnen? Diese Schritte sind entscheidend
Katzenverhalten Wie sollte man eine Katze eingewöhnen? Diese Schritte sind entscheidend

In diesem Artikel erfahrt Ihr, was Gefühlsblindheit genau ist, welche Ursachen dafür verantwortlich sein können, wie man am besten mit gefühlsblinden Partnern bzw. Partnerinnen umgehen sollte und wie sich Alexithymie behandeln lässt.

Alexithymie im Detail

Gefühlsblinde geraten oft an zwischenmenschliche Grenzen, ohne sie wirklich zu verstehen.
Gefühlsblinde geraten oft an zwischenmenschliche Grenzen, ohne sie wirklich zu verstehen.  © 123rf/mangostar

Betroffene von Gefühlsblindheit fühlen vergleichsweise wenig und können ihre Emotionen nicht oder nur sehr schwer in Worte fassen. Daher setzt sich der Fachbegriff Alexithymie aus folgenden Wortteilen zusammen: A = fehlen, lexis = Wort und thymos = Gefühl.

Dieser Begriff wurde im Jahr 1973 erstmalig von den US-amerikanischen Psychiatern John Case Nemiah und Peter Emanuel Sifneos definiert.

Sie stellten an einigen Patienten fest, dass sie ihre eigenen Gefühle weder richtig wahrnehmen noch diese mit Worten beschreiben konnten. Zudem ergaben Untersuchungen der beiden Experten, dass es für Alexithymie keine körperlichen Ursachen gibt.

Gefühlsblinde Menschen können fühlen

Alexithyme Menschen sind durchaus in der Lage, emotionale Regungen zu spüren. Sie fühlen zwar keine regulären Gefühle, aber sie spüren Erregung und Anspannung, manchmal sogar starke Bauchschmerzen, wenn die Emotionen sehr groß zu werden scheinen.

Betroffene können ihre Gefühle nicht richtig wahrnehmen und demzufolge auch nicht zuordnen, was den Leidensdruck bei manchen Gefühlsblinden drastisch erhöht. Auch ihre Partner und Partnerinnen leiden unter dieser "Gefühlskälte", aber dazu später mehr.

Die zwei Subtypen der Alexithymie

Der erste Subtyp der Gefühlsblindheit wird auch "Robotertyp" genannt, weil er nicht nur keine Gefühle ausdrücken kann, sondern auch in seinem Inneren wenig bis gar keine Gefühlsregungen verspürt. Der fiktive Charakter Sheldon Cooper aus der US-Sitcom "The Big Bang Theory" kommt dem schon sehr nahe.

Der zweite Subtyp der Alexithymie empfindet hingegen in etwa gleich viel wie andere Menschen, kann diese Gefühle aber nicht ausdrücken. Hier macht die sogenannte Symbolisierungsebene Schwierigkeiten: Worte, körperliche Zuneigungen und Mimik sind hier gestört.

Emotionale Kompetenz leidet

Nicht nur die eigenen Gefühle der von Alexithymie betroffenen Personen sind sehr diffus, sondern auch ihre Fähigkeit, Gefühle anderer Menschen richtig einzuordnen, ist erheblich eingeschränkt. Zudem ist es ihnen fast unmöglich, sich in andere Personen hineinzuversetzen oder adäquat auf ihre Gefühlsregungen zu reagieren. Diese mangelnde emotionale Kompetenz macht es sowohl den Betroffenen selbst als auch Freunden, Familienmitgliedern, Kollegen und Partnern bzw. Partnerinnen sehr schwer, mit ihnen entspannt zu interagieren.

Männer sind tendenziell häufiger gefühlsblind als Frauen

Alexithymie gilt nicht als Krankheit, sondern stellt ein Persönlichkeitsmerkmal dar. Mehrere Studien sollen bestätigt haben, dass etwa zehn Prozent der Bevölkerung gefühlsblind sind.

Männer sind etwas häufiger von Alexithymie betroffen als Frauen, der Unterschied ist allerdings gering.

Was also häufig als "typisch Mann, total unsensibel!" beschrieben wird, hat zwar nichts mit der faktischen Gefühlsblindheit zu tun, kann aber durchaus darauf hindeuten. Schließlich sind zehn Prozent recht viel und die Wahrscheinlichkeit, einen Gefühlsblinden zu kennen, ist sehr hoch.

Mögliche Ursachen für Gefühlsblindheit

Auch Gefühlsblinde stoßen häufig an Grenzen, die sie emotional wahrnehmen.
Auch Gefühlsblinde stoßen häufig an Grenzen, die sie emotional wahrnehmen.  © 123rf/123bogdan

Ist die Alexithymie besonders stark ausgeprägt, leiden viele der Betroffenen enorm darunter. Das liegt vermehrt an den sozialen Grenzen, an die sie stoßen.

Zudem soll sehr ausgeprägte Gefühlsblindheit großen Druck auslösen und sogar Depressionen, Essstörungen und Abhängigkeitserkrankungen begünstigen.

Bei weniger stark ausgeprägter Alexithymie kommen die betroffenen Personen im Alltag hingegen überwiegend prima zurecht. Viele würden sich auch nicht als "eingeschränkt emotional" betrachten, sondern vielmehr als "Kopfmensch" beschreiben.

Aber woher kommt Gefühlsblindheit?

Es wird vermutet, dass Alexithymie ihren Ursprung in der Kindheit hat. Sofern Gefühlskälte in jungen Jahren vorgelebt wurde, oder die Kinder sogar emotional vernachlässigt oder verletzt wurden, mussten sie sich emotional schützen.

Auch das Fehlen einer festen Bezugsperson soll dazu führen können, dass Kinder eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Gefühlsblindheit entwickeln.

Ebenso kommen in den psychologischen Theorien traumatische Erlebnisse vor. Der frühe Verlust beider Eltern kann ein solches Kindheitstrauma sein.

Was tatsächlich die Ursache für dieses Persönlichkeitsmerkmal ist, ist zwar Bestandteil aktueller Forschungen, kann aber derzeit wissenschaftlich nicht klar belegt werden.

Umgang mit Alexithymie

Verständnis und Geduld für den Gefühlsblinden sind der Schlüssel zu mehr Zufriedenheit innerhalb der Partnerschaft.
Verständnis und Geduld für den Gefühlsblinden sind der Schlüssel zu mehr Zufriedenheit innerhalb der Partnerschaft.  © 123RF/splitov27

Weil gefühlsblinde Menschen weder fremde Emotionen deuten noch ihre eigenen Gefühle mit Worten beschreiben können, sollte man ihnen viel Verständnis und Geduld entgegenbringen. Schließlich bedeutet der Mangel an Verbalisierung nicht, dass Gefühlsblinde nichts fühlen.

Möchte man also wissen, was in einem Betroffenen in diesem Moment vorgeht, können intensive Gespräche und explizites Nachfragen hilfreich sein. Dennoch sollte man diese Menschen nicht bedrängen, da sie dadurch in eine abwehrende Haltung gehen könnten.

Anscheinende Teilnahmslosigkeit, Distanziertheit und Rationalität dürfen demzufolge nicht als Desinteresse, Böswilligkeit oder Unlust gewertet, sondern sollten unbedingt mit Empathie empfangen werden. Denn genau da liegt das Defizit auf der anderen Seite.

Umgang mit fehlender körperlichen Intimität

Gefühlsblinde Partner und Partnerinnen reagieren auf Lust und Leidenschaft vermehrt zielorientiert und betrachten Erotik weniger als prickelnden Akt. Auch liebevolle Gesten wie spontane Küsschen, Händchen halten und liebevolles Streicheln bleiben oft auf der Strecke.

Um sowohl Verständnis für die emotionale Blindheit des Schatzes zu zeigen, seine eigenen körperlichen Bedürfnisse jedoch nicht unterdrücken zu müssen, sollte man offen kommunizieren, was einem fehlt und was man sich wünscht. Das gelingt am besten, indem man explizite Vorschläge macht. Somit hat der Schatz etwas Greifbares, das er oder sie in die Tat umsetzen kann.

Alexithymie löst oft starke körperliche Beschwerden aus

Gefühlsblindheit darf nicht als Gefühllosigkeit interpretiert werden, auch wenn es manchmal den Eindruck erwecken kann. Denn bei den Betroffenen ist der Verarbeitungsweg im Gehirn derart gestört, dass der Körper auf die verschiedenen Emotionen auf unterschiedlichste Weise reagiert.

Häufig sind das psychosomatische Symptome, die zu einem hohen Leidensdruck führen können.

Hierzu können folgende Beschwerdebilder zählen:

  • gestörter Schlaf
  • Magen- und Darmbeschwerden
  • Erschöpfungszustände
  • allgemeines (körperliches) Unwohlsein
  • Herzrasen
  • Herz-Kreislauf-Probleme
  • chronische Schmerzen (z. B. Rückenleiden).

Tipp: Sofern man bei seinem Partner oder seiner Partnerin derartige Symptome feststellt, sollte man aufmerksam darauf reagieren, indem man das transparente Gespräch sucht. Ist vielleicht etwas Bestimmtes an diesem Tag passiert, das der Ursprung der Beschwerden ist? Möglicherweise können die Leiden somit gemindert werden.

Ist man selbst nicht gefühlsblind, kann man sich nicht vorstellen, wie sich dieses Defizit anfühlen kann. Andersherum gilt aber genau dasselbe. Weil man sich selbst aber in der deutlich sozialfähigeren Position befindet, sind Verständnis und Geduld extrem wichtig und vor allem hilfreich.

Sobald man selbst seine Gefühle verbalisiert und erklärt, kann das der gefühlsblinden Person sehr helfen, die Emotionen besser zu verstehen - vorerst rational.

Behandlungsstrategien bei Gefühlsblindheit

Eine Psychotherapie kann Gefühlsblinden sehr helfen, wieder emotionalen Zugang zu sich selbst zu finden.
Eine Psychotherapie kann Gefühlsblinden sehr helfen, wieder emotionalen Zugang zu sich selbst zu finden.  © 123RF/yacobchuk

Alexithyme Menschen bekommen regelmäßig von ihrem Umfeld gespiegelt, dass sie anders sind. Ihr verschlossener und distanzierter Charakter stößt zuweilen derart an zwischenmenschliche Grenzen, dass ihnen ihre Gefühlsblindheit irgendwann bewusst wird und sie das ändern wollen. Psychotherapeutische Verfahren können dabei helfen.

Diagnose

Um eine vorhandene Alexithymie zu diagnostizieren, werden Fragebögen und Interviews von und mit den Betroffenen ausgewertet. Ist die Diagnose gestellt, können psychotherapeutische Maßnahmen und Prozesse des emotionalen Lernens helfen, die Gefühlsblindheit zu minimieren oder sogar aufzulösen.

Therapie

Bei der Therapie der Alexithymie geht es primär darum, dass die Betroffenen lernen, ihre eigenen Emotionen richtig wahrzunehmen. Spezielle "Emotion-Trainings" werden für diesen innerpsychischen Prozess eingesetzt. Ist die Therapie erfolgreich, kann das sowohl die Beziehung zu sich selbst als auch jene zum persönlichen sozialen Kreis, insbesondere zum Partner bzw. zur Partnerin, deutlich verbessern.

Sofern ein Leidensdruck vorliegt, sollten Gefühlsblinde den Schritt wagen und sich professionelle Hilfe suchen. Diese ist ambulant und stationär möglich.

Tipp für Partner oder Partnerinnen einer alexithymen Person:

Sobald man eine feste Partnerschaft mit einem Gefühlsblinden führt, kann das sehr frustrierend sein sowie traurig und nachdenklich machen. Ist die Liebe aber so stark, dass man zwar an der Beziehung festhalten, diese aber für sein eigenes Seelenleben emotional etwas entschleunigen möchte, können spezielle Therapien sehr hilfreich sein.

Der Therapeut oder die Therapeutin zeigt Wege auf, besser mit der Gefühlskälte des Partners oder der Partnerin umgehen zu können. Zudem werden Strategien vermittelt, das eigene Bewusstsein für die Alexithymie zu schulen und sensibler auf das Anderssein des Gegenübers zu reagieren, ohne dass es einem wieder und wieder das Herz bricht.

Schließlich ist nicht nur die Emotionswelt des Schatzes wichtig, sondern die eigene genauso.

Fazit: Alexithymie kann heilbar sein

Gefühlsblinden Menschen fehlt sowohl der Zugang zu ihren eigenen Emotionen als auch der zu der Gefühlswelt anderer Menschen. Oft äußern sich ihre "versteckten Gefühle" mit körperlichen Beschwerden, augenscheinlichem Missverständnis und verletzender Distanziertheit.

Daher ist es wichtig, alexithymen Menschen mit Empathie zu begegnen und aufmerksam auf sie zu reagieren - mit psychotherapeutischen Maßnahmen, wenn nötig.

Professionelle Hilfe kann sowohl den Betroffenen als auch einem selbst helfen, mit diesem Persönlichkeitsmerkmal besser umzugehen und dennoch einen erfüllende (Paar-)Beziehung mit einer gefühlsblinden Person zu führen.

Titelfoto: 123rf/zinkevych

Mehr zum Thema Ratgeber Liebe: