Bei dieser Firma ist die Welt noch rund: Räthgloben erfinden sich immer wieder neu

Markranstädt - Wer braucht heute noch einen Globus? Seit Google Maps allgegenwärtig ist, scheint das einstige Prestigeobjekt im Wohnzimmer seine Glanzzeiten hinter sich zu haben. Von wegen! Inzwischen gelten Globen als Designobjekte, trumpfen als Quizmaster auf und können sogar sprechen. Viele Globen sind zudem waschechte Sachsen, kommen aus einer kleinen Manufaktur in Markranstädt (bei Leipzig). Kennt Ihr die Firma, die die große weite Welt auf die Größe eines Fußballs zusammenschrumpfen kann?

Lädt zur kleinen Welt-Anschauung: Produktions- und Vertriebsleiter Thomas Härtel (50) lässt die Erde zigtausendfach klonen - als politischen, Klima- oder Himmelsglobus. Sogar Sachsen als Nabel der Welt gab's als Erdkugel.
Lädt zur kleinen Welt-Anschauung: Produktions- und Vertriebsleiter Thomas Härtel (50) lässt die Erde zigtausendfach klonen - als politischen, Klima- oder Himmelsglobus. Sogar Sachsen als Nabel der Welt gab's als Erdkugel.  © Ralf Seegers

Also doch: Die Erde ist eine Scheibe! Jedenfalls so lange, bis sie zu einer Kugel wird. Genau so werden Globen maschinell hergestellt: Eine platte Folie wird über zwei Halbkugeln gezogen. Am Ende werden Nord- und Südhalbkugel am Äquator mit einem Band verschweißt. So rollen Mini-Erden vom Fließband, meist in der Standardgröße mit 30 Zentimetern im Durchmesser.

Anders bei der Räthgloben 1917 Verlags GmbH in Markranstädt. In der einzigen ostdeutschen Manufaktur für Globen ist alles Handarbeit. Anders als bei ihrer italienischen Mutterfirma Tecnodidattica stellen die Markranstädter exklusiv handkaschierte Globen her. Dafür kommt die Welt aus dem Drucker, bunt und plan auf Spezialpapier.

"Insgesamt zwölf elliptische Segmente werden zuerst per Hand akkurat ausgeschnitten", erklärt Verlagsleiter Thomas Härtel (50) den Produktionsverlauf. "Dann werden sie per Handkaschierung auf eine Glas- oder Kunststoffkugel aufgeklebt."

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So entsteht Streifen für Streifen die ganze Welt. "Dabei muss die Überlappung der einzelnen Elemente gleichmäßig knapp, maximal einen Millimeter breit sein."

Millimeterarbeit am Äquator: Einen einzigen Globus per Hand zu kaschieren, dauert mehrere Stunden.
Millimeterarbeit am Äquator: Einen einzigen Globus per Hand zu kaschieren, dauert mehrere Stunden.  © Ralf Seegers

Räthgloben erklären seit Jahrzehnten anschaulich die Welt

Buntes "Bällebad" der Markranstädter: Im "Kugellager" der Firma türmen sich die verschiedensten Globen-Kollektionen - darunter auch ein Mond-Globus, der sogar schon die lange Zeit unbekannte Rückseite des Erdtrabanten zeigt.
Buntes "Bällebad" der Markranstädter: Im "Kugellager" der Firma türmen sich die verschiedensten Globen-Kollektionen - darunter auch ein Mond-Globus, der sogar schon die lange Zeit unbekannte Rückseite des Erdtrabanten zeigt.  © Ralf Seegers

Mit dieser Technik können auch Kleinstserien oder Riesengloben gefertigt werden. "Den mit 1,28 Meter größten Globus haben wir einmal für ein italienisches Energieunternehmen aus Fiberglas gebaut", sagt Härtel. Miniauflage: 15 Stück.

"Ein Privatmann hat sich einen solchen Riesenglobus als Einzelstück fürs Wohnzimmer 8000 Euro kosten lassen. Ein anderer bestellte ein Exemplar, auf das wir die Route seiner Weltreise mit einem Kreuzfahrtschiff eingezeichnet haben." Manchmal lassen sich Firmen für Globengeschenke an Geschäftskunden ihr Logo in den Pazifik drucken. Alles nur eine Frage des Preises.

Die sächsische Globus-Schmiede ist ein Vier-Mann-Betrieb, in dem außer Härtel aber nur Frauen arbeiten. Jährlich produzieren sie 1500 handkaschierte Globen. Der Jahresumsatz liegt im einstelligen Millionenbereich. Fast die gesamte Produktion leuchtet später in Privathaushalten.

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Leuchtet? Ja, denn heutzutage sind beleuchtete Globen Standard - und zwar mit einer stromsparenden LED quasi im "Erdmittelpunkt". Mit einem Knips wird von der physischen Darstellung - also Berge in Braun, Seen und Meere in Blau - auf die politische umgeschaltet. "Diese Ansicht mit bunten Staaten und ihren Ländergrenzen befindet sich auf der Innenseite eines Globus und wird erst durch die Beleuchtung sichtbar'", erklärt Härtel.

Die Räthgloben-Geschichte begann vor mehr als 100 Jahren

Präzisionsarbeit aus Leipzig: Schon in den 1940er-Jahren war die Globus-Produktion Frauensache.
Präzisionsarbeit aus Leipzig: Schon in den 1940er-Jahren war die Globus-Produktion Frauensache.  © Ralf Seegers

Bei Tecnodidattica in Italien wird die ganze Welt pingelig überwacht, damit die Globen nicht weltfremd werden.

Wie weit hat sich der Aralsee wegen Wassermangels schon verkleinert? Schrumpft Grönland durch die Eisschmelze? Sind die Grenzen des 2011 neu gegründeten Staates Südsudan korrekt eingezeichnet? Und heißt die Hauptstadt von Kasachstan gerade Alma-Ata, Almaty, Nur-Sultan oder Astana? Härtel: "Das alles muss im Druck regelmäßig aktualisiert werden."

Im Firmennamen steckt übrigens gleichzeitig auch das Gründungsjahr. Paul Räth gründete den Betrieb 1917 als 36-Jähriger zunächst als Buchvertrieb und Lehrmittelwerkstatt. Die ersten Globen wurden 1920 gefertigt. Ein Jahr später erfand er den ersten beleuchteten, der schon bald in 20 Sprachen produziert wurde. Zur Weltwirtschaftskrise 1929 nahm sich der Firmengründer das Leben. 1943 wurden die Firmengebäude durch einen Luftangriff vollständig zerstört.

Räths Nachfolger brachten die kleinen Erdkugeln ab 1947 wieder ganz groß raus. 1972 wurde die Privatfirma zum VEB Räthgloben-Verlag verstaatlicht. In den 1970er Jahren traten jährlich bis zu 180.000 Weltkugeln aus Leipzig die Exportreise in 14 Länder der Welt an. Zeitweise arbeiteten über 70 Angestellte bei Räth.

Ein Bild des Firmengründers Paul Räth (1881-1929) hängt heute im Büro von Geschäftsführer Thomas Härtel.
Ein Bild des Firmengründers Paul Räth (1881-1929) hängt heute im Büro von Geschäftsführer Thomas Härtel.  © Ralf Seegers

Nach mehreren Umzügen von Leipzig-Plagwitz nach Böhlitz-Ehrenberg und Lützschena-Stahmeln firmiert die Räthgloben 1917 Verlags GmbH jetzt in Markranstädt. Seit 1999 gehört sie mehrheitlich zur italienischen Firmengruppe Tecnodidattica, die in Genua und Florenz Globen in Großserien produziert.

Titelfoto: Ralf Seegers

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