Milliarden-Abzocke! Industrie schummelt beim Strom, Kunden müssen zahlen
Hamburg/Berlin - Industriekonzerne in Deutschland sollen nach einem Bericht des Spiegel jahrelang die EEG-Umlage (Erneuerebare-Energien-Gesetz) zur Ökostrom-Förderung umgangen und so Milliarden nicht an den Staat abgeführt haben. Leidtragende seien die übrigen Stromkunden: Privathaushalte, Kleinbetriebe, Mittelständler.
Sie alle hätten entsprechend höhere Beiträge zahlen müssen, schreibt der "Spiegel". Und sie haben das auch brav getan. "Sie alle hatten in den vergangenen Jahren höhere Stromrechnungen als nötig in der Post, mit freundlichen Grüßen von der deutschen Industrie", heißt es im "Spiegel" weiter.
Laut dem Bericht sind gut zwei Dutzend namhafte Unternehmen, Energieversorger und Stadtwerke beteiligt. Darunter sind auch Bayer, Evonik, Daimler, Henkel und Thyssenkrupp.
Nach Schätzungen gehe es um acht bis zehn Milliarden Euro. Es werde derzeit in mehreren Gerichtsverfahren geklärt, ob die Praxis rechtswidrig gewesen sei.
Ein Fall betrifft den Bayer-Konzern und dessen frühere Tochter Currenta. Allein in diesem Fall stehen laut "Spiegel" Rückzahlungen von bis zu einer Milliarde Euro im Raum.
Wegen des noch laufenden Gerichtsverfahrens wollte sich ein Bayer-Sprecher dazu am Samstag auf Anfrage nicht äußern.
Und so wurde getrickst
Die Unternehmen sollen bei der umstrittenen und skrupellosen Praxis Ausnahmeregeln für mit eigenen Kraftwerken erzeugten Strom genutzt haben. Von der Industrie selbst erzeugter und verbrauchter Strom ist von der EEG-Umlage befreit, die beim Endverbraucher derzeit rund ein Fünftel des Strompreises ausmacht.
Mit Hilfe sogenannter Scheibenpachtmodelle hätten sich mehrere große Stromverbraucher als Betreiber jeweils ein Kraftwerk geteilt, um so als Stromerzeuger zu gelten und von der EEG-Befreiung zu profitieren.
Das Nachrichten-Magazin beruft sich auf Berechnungen von Gutachtern, die die vier großen Übertragungsnetzbetreiber Amprion, Tennet, 50Hertz und TransnetBW eingesetzt hatten. Sie hatten im Jahr 2019 Scheibenpachtmodelle von rund 300 Industrieunternehmen überprüft und in zahlreichen Fällen bemängelt.
Milliarden sparen konnten die Konzerne mit einer willfährigen deutschen Politik, "die in einem kaum zu entwirrenden Geflecht mit der Wirtschaft erst dafür sorgte, dass die Konzerne Milliarden sparen konnten", heißt es im Spiegel. "Und dann, als alles aufflog, sicherstellte, dass sie keine Sanktionen fürchten mussten".
Denn ein Netzwerk aus Industrie, Lobbyisten und den besten Anwaltskanzleien "nahm Einfluss auf die Gestaltung von Gesetzen, wirkte auf Formulierungen ein und sorgte dafür, dass die Idee des Gesetzes ad absurdum geführt wurde."
Über Nacht habe die noch amtierende Regierungskoalition Amnestien durchgewunken, "die Fachleute im Bundeswirtschaftsministerium selbst als 'verfassungs- und beihilferechtlich' bedenklich einstufen".
Titelfoto: Hauke-Christian Dittrich/dpa