Wie kriminell sind die Hells Angels wirklich?
Die Rockerszene in Sachsen - sie ist bunt und vielfältig, aber auch verschlossen und voller Rätsel. In unserer neuen Serie wollen wir einen Einblick in eine faszinierende, teilweise auch verstörende Subkultur geben - unverstellt, ungeschönt und jenseits üblicher Klischees. Rockerclubs haben uns ihre Türen geöffnet, Polizisten ihre Akten, ein Philosoph seine Gedankenwelt.
Interview mit zwei Ermittlern
Von Alexander Bischoff und Jens Fuge
Rocker und Kriminalität - dieses Thema füllt mittlerweile ganze Bücherschränke. Der Ruf der Szene hat in den letzten Jahren arg gelitten. Nicht zuletzt wegen der blutigen Auseinandersetzungen zwischen großen Motorradclubs.
Wie ist die Situation in Sachsen, was haben die harten Jungs wirklich auf dem Kerbholz, was ist Legende?
MOPO24 bat zwei Experten zum Gespräch: Martin Keetman (48), Chef des Leipziger Kommissariats für Bandenkriminalität und Daniel Kießling (42), Chefermittler für Rockerkriminalität, berichten erstmals öffentlich über ihre Arbeit.
MOPO24: Wie viele Motorradclubs gibt‘s denn aktuell in Sachsens Rockerhauptstadt Leipzig und Umgebung?
Kießling: Wir haben in unserem Bereich aktuell 17 Motorrad-Clubs, die immer wieder auftauchen.
MOPO24: Und auf die haben Sie alle ein Auge?
Kießling: Nein, wir wollen ja keine flächendeckende Überwachung.
MOPO24: Wann beginnt das Kommissariat für Bandenkriminalität, sich für einen Club zu „interessieren“?
Keetman: Wenn er sich auf die Fahne geschrieben hat, sich selbst außerhalb des Gesetzes zu stellen. Also die so genannten OMCG (Outlaw Motorcycle Gangs - die Redaktion).
MOPO24: Anhand welcher Informationen beurteilen Sie, ob es sich bei einem Club um einen OMCG handeln könnte?
Keetman: Am Internetauftritt - wo sie sagen, wir regeln alles selbst und haben unsere eigenen Gesetze. Das ist für mich eine Art Selbstjustiz, die ich nicht gewillt bin, hinzunehmen.
MOPO24: Wie viele OMCGs gibt's denn unter den 17 hiesigen Clubs?
Kießling: Zwei. Die Hells Angels und ihr Supporter-Club Red Devils.
MOPO24: Und wie viele Rocker rechnet die Polizei diesen OMCGs zu?
Kießling: Beide Clubs haben nach unseren Erkenntnissen zusammen etwa 40 Mitglieder - und eine Großzahl an Unterstützern.
MOPO24: Wo kommen die her?
Kießling: Das sind einige Motorrad-Clubs, die unsere OMCGs bei deren Veranstaltungen immer wieder anlaufen und huldigen - die zählen wir zu den Unterstützern.
MOPO24: Gibt es für die Polizei im Umgang mit Rockerclubs politische Vorgaben?
Keetman: Die gibt‘s. Beispielsweise das Kuttenverbot, das vom Innenministerium erlassen wurde.
MOPO24: Welche Colours dürfen aktuell in Sachsen nicht öffentlich getragen werden?
Kiesling: Das Kuttenverbot gilt in Sachsen für all die Clubs, die deutschlandweit mal irgendein Chapter oder Charter verboten bekommen haben, beispielsweise Hells Angels, Red Devils, Gremium, Bandidos, Chicanos, Outlaws und Mongols.
MOPO24: Wenn Hamburger sich daneben benehmen, gleich auch Leipzigern und Stuttgartern die Kutten zu verbieten - ist das nicht „Sippenhaft“ und ein Eingriff in die Subkultur?
Keetman: Uns ist durchaus bekannt, dass dieser Erlass rechtlich umstritten ist. Aber das müssen jetzt Gerichte entscheiden. So lange die Erlass-Lage existiert, gibt es keinen Spielraum, setzten wir sie um.
MOPO24: Rocker haben einen ziemlich „kriminellen“ Ruf. Wie kriminell sind sie wirklich?
Keetman: Zwei Drittel von denen, die in unseren OMCGs drin sind, haben schon mal mit Polizei und Justiz zu tun gehabt, einige auch mehrfach.
MOPO24: Was heißt das konkret?
Kiesling: Es wurden Ermittlungsverfahren gegen diese Leute geführt.
MOPO24: Wie viele davon mündeten in einer Anklage, wie viele führten zu einer rechtskräftigen Verurteilung?
Keetman: Das können wir nicht sagen. Wenn wir die Verfahren an die Staatsanwaltschaft abgeben, ist unsere Arbeit beendet. Da haben wir auch keinen Überblick mehr, was zu einer Verurteilung, was zu einem Freispruch führte.
MOPO24: Um welche Straftaten geht es in Ihren Rocker-Verfahren hauptsächlich?
Keetmann: Das geht quer durchs Gemüsebeet - Körperverletzungsdelikte, Verstöße gegen das Waffengesetz - wobei hierzu auch die Messer zählen, die wir bei Kontrollen einziehen - Betäubungsmitteldelikte.
MOPO24: Sind die hiesigen Clubs im Drogenhandel aktiv?
Keetman: Dazu haben wir keine Erkenntnisse. Es gibt aber Einzelpersonen mit Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz - das sind aber in der Regel Konsumentenverstöße.
MOPO24: Spielen die Rocker im Leipziger Rotlichtmilieu eine Rolle?
Keetman: Ja, die Hells Angels. Aber Rotlicht ist ja keine Kriminalität. Da die Objekte, die von den Hells Angels betrieben werden, genau so überwacht werden, wie alle anderen Leipziger Rotlicht-Objekte, hält sich die Kriminalität dort in Grenzen.
MOPO24: Nach dem Verbot von Gremium Sachsen und dem Rückzug der Bandidos ist der Hells Angels MC aktuell der Platzhirsch im Freistaat. Gibt es Erkenntnisse, dass andere Großclubs demnächst nach Sachsen drängen könnten?
Kießling: Ich denke, dass es da schon Überlegungen gibt. Wir haben in Leipzig ganz aktuell ein neues Colour am Start - die White Lions.
MOPO24: ...eine überwiegend aus Migranten bestehende Streetgang ...
Kießling: Richtig. Bisher ist das kein Motorradclub. Wenn man sich aber die Gestaltung ihrer Kutte mit dem dreiteiligen Colour anschaut, dann eins und eins zusammenrechnet - dann ist nicht auszuschließen, dass hier ein Großer bald an die Tür klopft.
MOPO24: In der Politik werden Rockerclubs oft als kriminelle Banden bezeichnet: Ganz konkret gefragt - sind die Hells Angels in Leipzig oder ist irgendein anderer MC hier aus polizeilicher Sicht eine kriminelle Vereinigung?
Keetman: Nein. Wenn dem so wäre, hätten wir längst ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet. Man muss klar trennen zwischen dem rechtlichen und dem populistischen Bandenbegriff. Nach Strafrecht ist eine Bande ein bisschen anspruchsvoller, als populistisch gesehen...
Weitere Teile der Serie:
HELLS ANGELS MC: DIE ROT-WEISSE MACHT AUS LEIPZIG
INTERVIEW MIT HELLS ANGELS-LEGENDE SONNY BARGER
Fotos: Alexander Bischoff, Jens Fuge, Bruno Satelmajer