Diese Frau gräbt mit nackten Händen in Ameisenhaufen
Berlin – Christina Grätz steht in einem mannshohen Erdloch im nördlichen Umland von Berlin. Im Hintergrund rauscht der Autobahnverkehr vorbei. Mit einem Spaten und ihren bloßen Händen hat sie die Stelle ausgebuddelt. Um die Biologin herum: Millionen von Waldameisen.
Für die Tiere steht an diesem Tag ein Umzug an. Mehr als 200 Ameisennester werden über Wochen verteilt wegen geplanter Ausbauarbeiten am Berliner Ring (A 10) versetzt, wie Grätz erläutert. In der Umgebung sollen die geschützten Arten ein neues Zuhause finden. Für die Ameisenumsiedler bedeutet das Akkordarbeit.
Der Arbeitstag beginnt um vier Uhr morgens. "Dann sind die meisten Ameisen noch im Nest", sagt die Biologin.
Die Botanikerin aus Südbrandenburg beweist in dem Erdloch starke Nerven. Ihre Kleidung ist übersät mit Ameisen, überall krabbelt und zwickt es. Die Tiere beißen in ihre Haut und verspritzen ein Giftsekret.
In der Luft liegt etwas Saures. Aber Grätz ist beharrlich: "Es tut mir weh, Tiere zurücklassen zu müssen." Deshalb gräbt die 42-Jährige weiter und weiter, um so viele der Kahlrückigen Waldameisen wie möglich mitzunehmen.
Für den Transport werden die Tiere samt Erde und dem Material, aus dem sie ihre Nester gebaut haben, in große Säcke verpackt. Mit ihrem Geländewagen fährt sie dann langsam durch ein Waldstück – auf der Suche nach einer neuen Heimat für die Tiere.
"Es muss genug Licht da sein, es muss Futter in der Nähe sein", beschreibt sie das geplante neue Zuhause für ihre Fracht auf dem Anhänger. Bei einem morschen Stück Holz ist sie am Ziel. Solche Stücke verwenden Ameisen im Nest gerne als Rückzugsraum für die Königin, wie Grätz erläutert.
Gemeinsam mit einer Mitarbeiterin packt sie die Säcke mit den Ameisen aus und verteilt sie in einem neu ausgehobenen Loch. Zum Schluss wird noch ein Rand aus Zucker um den neuen Hügel gestreut - Futter. "Die Tiere sollen zur Ruhe kommen und nicht gleich mit der Nahrungssuche beschäftigt sein", sagt Grätz.
Die sichtbaren Ameisenhügel machen nur einen kleinen Teil des Nestes aus. "Der größte Teil des Ameisennestes liegt unter der Erde", erzählt Grätz. Dort unten offenbart sich das gesamte Nest samt Königinnen, Puppen, Eiern und Larven. Manchmal brauche sie einen Tag, um ein einziges Nest zu versetzen, sagt Grätz.
Nach Einschätzung von Ameisenschutzwarten müsste es in vielen Regionen Deutschlands eigentlich mehr Ameisenumsiedler geben. Allein in der Hauptstadtregion bestehe wegen großer Straßenbauvorhaben und der Erweiterung des Siedlungsraums um Berlin entsprechender Bedarf, sagt die 1. Vorsitzende des Vereins Brandenburgische Ameisenschutzwarte, Katrin Möller.