Wieso schafft es die Kripo in Sachsen nicht, 30 Morde aufzuklären?
Sachsen - In Sachsen gelten noch immer 30 Tötungsverbrechen als ungeklärt. Die ältesten Fälle, wie der 1987 begangene Mord an der Plauener Stickerin Heike Wunderlich (18), stammen aus DDR-Zeiten. Der jüngste - die Hinrichtung des Anwaltssohnes Diego Morales (23) in Leipzig - aus dem Jahr 2013.
30 ungeklärte Morde - das bedeutet auch, dass mindestens ebenso viele Mörder vermutlich noch unter uns sind. Sie leben unerkannt neben uns, als Nachbarn, Kollegen oder Vereinskameraden.
Doch Mord verjährt nicht! Deshalb haben die fünf sächsischen Mordkommisionen die alten Fälle noch immer auf dem Radar. "Ermittlungen werden dann wieder aufgenommen, wenn neue Hinweise oder Tatsachen bekannt werden, die erfolgversprechend sind", sagt LKA-Sprecher Tom Bernhardt (45).
Und Rainer Baacke (54), Chef der Leipziger Mordkommission, ergänzt: „Wenn im Tagesgeschäft genug Luft ist, dann holen wir die alten Akten auch so mal raus und suchen nach neuen Ansätzen.“ Nicht zuletzt sorgt die ständige Weiterentwicklung der DNA-Analyse für neue Hoffnung, die Mörder doch noch hinter Schloss und Riegel zu bekommen.
Spuren, die jahrelang als nicht auswertbar galten, geben durch verfeinerte Analysetechnik nunmehr genetische Fingerabdrücke preis.
Generell gehört Sachsen aber zu den sichersten Bundesländern. Statistisch gesehen werden hier im Jahr zwei von 100.000 Bürgern Opfer eines Tötungsverbrechens. In Hessen (4,2), Bremen (4) und Berlin (3,8) lebt es sich da weit gefährlicher.
Zudem ist die Mordrate beständig gesunken. Gab es 1995 noch 42 Mord-und 105 Totschlagsdelikte, waren es im letzten Jahr 20 bzw. 58 Verbrechen gegen das Leben.
Die Aufklärungsrate liegt bei 95 Prozent.
Kann die DNA-Analytik auch alte Mordfälle lösen, Dr. Nixdorf?
Seit 1998 gehört die DNA-Analyse auch in Sachsen zum kriminalistischen Standard. Im LKA arbeiten 15 Experten den Kriminaldienststellen im Lande zu, werten jedes Jahr rund 20 000 DNA-Proben aus. Chef der Abteilung ist der Molekularbiologe Dr. Ralf Nixdorf (46).
MOPO24: Sind die Chancen gestiegen, alte Mordfälle über DNA zu klären?
Nixdorf: Ja. Die Methodik ist in den letzten Jahren extrem sensitiv geworden. Zum Beispiel Hautzellen, die beim Griffkontakt übertragen werden, waren früher nicht auswertbar. Heute sind diese nicht sichtbaren Griffkontakte im Einzelfall verwertbar.
Chemikalien und Technik sind zudem mittlerweile so ausgefeilt, dass man auch minimale Anhaftungen typisieren kann.
MOPO24: Welches sind die häufigsten DNA-Träger, die ein Täter am Tatort verliert?
Nixdorf: Hautzellen und Speichel. Unsere Haut regeneriert sich über den Tag mehrfach, der Körper verliert so Unmengen an Hautzellen.
MOPO24: Welche Spurenträger taugen am besten für die DNA-Analyse?
Nixdorf: Blut, Speichel, Sperma, auch Urin und Kot.
MOPO24: Welche Information lassen sich denn aus einem genetischen Fingerabdruck erlesen?
Nixdorf: Auswerten dürfen wir nach dem Gesetz nur die nicht codierenden Sequenzen. Der genetische Fingerabdruck ist zunächst mal die Länge von bis zu 16 DNA-Abschnitten, die sich in einer Kombination aus 32 Zahlen widerspiegeln. Und wir wissen das Geschlecht. In anderen Ländern wie den Niederlanden und den USA gestattet der Gesetzgeber noch die Auswertung phänotypischer Merkmale, wie ethnische Herkunft, Augen- und Haarfarbe.
MOPO24: Kann sich DNA irren?
Nixdorf: Nicht die DNA aber ihr Beweiswert kann unsicher sein. Denn eine gesicherte DNA trägt keinen Datumsstempel. Sie erzählt uns also nicht, ob sie wirklich etwas mit einer Tat zu tun hat oder schon vorher da war bzw. hinterher dazugekommen ist.
Vergewaltigt und erdrosselt - seit 28 Jahren sucht Kripo Heikes Mörder
Plauen - Es ist eines der ältesten ungeklärten Verbrechen in Sachsen: Am 10. April 1987 wurde Heike Wunderlich (18) im Voigtsgrüner Wald an der Talsperre Pöhl tot aufgefunden.
Die junge Stickerin aus dem VEB Plauener Gardine war in der Nacht zuvor vergewaltigt und erdrosselt worden. Ihr Moped S51, mit dem sie von einer Freundin in Plauen aus gegen 21.45 Uhr nach Hause ins benachbarte Altensalz fahren wollte, lag neben der Leiche.
Auch 28 Jahre nach dem Verbrechen lässt die Kripo in ihren Ermittlungen nicht locker.
„Mord verjährt nicht“, sagt Hauptkommissar Enrico Petzold (47), der den Fall 2005 übernommen hat. Vor zwei Jahren erst kam er in dem Fall ein ganzes Stück weiter.
Petzold hatte gehört, dass an der Uni Mainz eine neue Methode zur DNA-Bestimmung angewandt wird.
Er schickte ein damals an der Leiche gesichertes Fremdhaar nach Mainz.
Mit Erfolg: Die Experten konnten daran eine männliche DNA sichern. Nach Auffassung des Ermittlers stammt sie mit hoher Wahrscheinlichkeit von Heikes Mörder.
Allerdings: „Der Abgleich mit der Interpol-Datenbank ergab keinen Treffer“, sagte Petzold MOPO24.
Bisher! Denn der tüchtige Ermittler ist zuversichtlich, dass er den Fall eines Tages doch noch lösen und der Familie von Heike den Mörder präsentieren kann.
Dazu bittet er auch 28 Jahre nach der Tat noch um Zeugenhinweise: „Wer war 1987 und danach öfter wandern oder Pilze suchen im Voigtsgrüner Wald?
Gibt es noch Waldarbeiter, Förster oder Jäger, die noch nicht von der Polizei befragt wurden?“
Anwaltssohn Diego Morales - hingerichtet im Drogenkrieg
Leipzig - Auf eine Mauer des Schweigens stoßen die Ermittler bis heute im Fall des am Pfingstsonntag 2013 in Leipzig erschossenen Diego Morales (23).
Als sich der Deutsch-Bolivianer am Abend an den Gleisanlagen in der Nähe des Leutzscher Bahnhofs mit seinem Mörder traf, ging es nach Erkenntnissen der Soko Connect um Drogengeschäfte, in die der Sohn eines ehemaligen Anwalts verwickelt gewesen sein soll.
Dem Spurenbild zufolge muss Morales noch versucht haben, seinem Mörder zu entkommen.
Doch der stoppte den Flüchtenden erst mit einem Schuss in den Oberschenkel. Kurz darauf wurde Morales zweimal in den Oberkörper und dann aus nächster Nähe in den Kopf geschossen.Er verblutete zwischen den Gleisen.
Wem der in Leipzig lebende Deutsch-Bolivianer mit luxemburgischen Pass, der für eine Security-Firma arbeitete, in die Quere kam, ist bislang unklar.
2013 tobte in der Stadt ein erbitterter Drogen-Krieg zwischen einer Araber-Bande und einem mazedonisch-albanischen Mafia-Clan.
Die Gebrüder Silbermann - waren sie die ersten Opfer des NSU?
Dresden - Bis heute ungeklärt ist auch der Doppelmord an den Dresdner Gebrüdern Silbermann. Die übel zugerichtete Leiche von Sven Silbermann (24) war am 11. November 1995 hinter einem Sportplatz am Emerich-Ambros-Ufer gefunden worden.
Der stadtbekannte Skinhead war mit einer Eisenstange malträtiert, stranguliert und dann mit Messerstichen in den Hals getötet worden. Vier Tage später trieb im Moritzburger Mittelteich die Leiche seines zwei Jahre jüngeren Bruders Michael. Auch er war brutal zusammengeschlagen worden.
Die Ermittler gehen davon aus, dass Sven, der aus der Neonaziszene aussteigen wollte, einem Racheakt zum Opfer fiel, sein Bruder als mutmaßlicher Zeuge auch sterben musste.
Brisant: Im Prozesses gegen die Terrorzelle NSU wurde kürzlich bekannt, dass die Polizei bereits im Januar 1998 in der Jenaer Bombenwerkstatt der Rechtsterroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe einen Zeitungsartikel über den Doppelmord fand.
Zudem hatte ein Mundlos-Vertrauter im NSU-Verfahren Andeutungen gemacht, dass Mundlos Sven Silbermann persönlich kannte und ihn für einen V-Mann der Behörden hielt.
Vor dem Hintergrund einer möglichen Verstrickung des NSU wird der Fall Silbermann jetzt vom BKA neu aufgerollt.
Das mysteriöse Verschwinden der Justizsekretärin Barbara Beer
Leipzig - Am Abend des 24. Juli 1996 verabschiedete sich Barbara Beer (49) von ihrem Ehemann Hans-Jochen. Mit ihrem Renault Clio wollte sie zu einem spontanen Kegelabend mit Kollegen fahren. Es war ein Abschied für immer.
Die Justizsekretärin, die am Leipziger Amtsgericht arbeitete, verschwand an diesem Tag spurlos.
Im Februar 1997 wurde der Clio verlassen auf einem Aldi- Parkplatz gefunden. Drei Jahre später entdeckten ABM-Kräfte in der Raßnitzer Elsteraue (Sachsen-Anhalt) einen Schädel und Skelettteile. Es brauchte noch einmal drei Jahre, bis Rechtsmediziner der unbekannten Leiche durch eine Kopf-Weichteil-Rekonstruktion am Computer ein Gesicht gaben.
Es war Barbara Beer, wie eine DNA-Analyse später bestätigte.
Bis heute ist die Kripo in dem Fall nicht weitergekommen. Fest steht bisher nur: Den Kegelabend im Kollegenkreis gab es gar nicht, die zweifache Mutter muss sich mit jemand anderem getroffen haben.
Hinweise, wonach die auch für die juristische Abwicklung von Grundstücksverkäufen zuständige Justizsekretärin bei ihrer Arbeit auf kriminelle Immobilienschiebereien gestoßen sei und möglicherweise deshalb „beseitigt“ wurde, fanden sich später in Akten des Verfassungsschutzes zum so genannten „Sachsensumpf“.
Doch auch dieser Ermittlungsansatz führte ins Leere.
Was geschah mit Sonnhild Israel?
Von Nordfried Hoenig
Johnsdorf - 19. Mai 1992: Nach einem Besuch bei ihrem Vater verschwindet Sonnhild Israel (33) aus Johnsdorf spurlos. Der Vater erstattet sofort Vermisstenanzeige. Wo ist die junge Oberlausitzerin?
Fest steht nur: Die Frau plante die Scheidung von ihrem Mann, hatte schon einen neuen Freund in der Nähe von Hamburg, wollte zu ihm. Doch dort kam sie nie an.
Der Vermisstenfall ruht bei der Polizei, bis 1998 ein anonymer Anrufer die Staatsanwaltschaft auf den Plan ruft. Der Zeuge behauptet, dass nach dem Verschwinden von Sonnhild Israel auffällig viele Bauarbeiten auf dem Grundstück der Eheleute stattgefunden hatten.
Ließ der Mann etwa die Leiche seiner Frau verschwinden?
Ein Staatsanwalt schickt die Polizei zum Graben - fast zwei Monate lang. Die Fahnder buddeln Rabatten um, sieben Erde, untersuchen sogar den Swimmingpool. Ergebnislos. Auch auf zwei benachbarten Grundstücken wird die Leiche der Frau nicht gefunden.
Trotzdem kommt der Mann von Sonnhild Israel wegen Mordverdachts in U-Haft. Am 25. Januar 2001 wird am Landgericht Görlitz der Mordprozess gegen ihn eröffnet: Keine Leiche, kein Geständnis - Freispruch!
Sachsen muss später dem Freigesprochenen wegen der Schäden durch die Grabungen auf dem Grundstück Entschädigung in sechsstelliger Höhe zahlen.
Sonnhild Israel wurde inzwischen für tot erklärt, ihre Leiche jedoch nicht gefunden.
Ist sie vielleicht nur untergetaucht?
Mordender Punker bleibt weiter verschollen
Dresden - Der Dresdner Computer-Ingenieur Thomas Hummel (26) wollte am 18. März 1991 zu einem Fortbildungskurs im Hygiene-Museum. Dort kam er nie an:
Er wurde auf dem Weg zur Straßenbahnhaltestelle in Laubegast ermordet.
Jugendliche hatten beobachtet, wie ein Punker um 6.15 Uhr auf Hummel einstach, flüchtete. Das Gesicht des Täters (ca. 1,85m) war schwarz vermummt, er hatte einen bunten Irokesenschnitt, trug eine Bomberjacke in Tarnfarben.
Handelte es sich bei dem Mord um eine Beziehungstat?
Wurde Hummel, der sich in einem Bürgerkomitee bei der Auflösung der DDR-Kampfgruppen engagierte, von Stasiseilschaften ermordet?
Und immer wieder führten Spuren in die Punkerszene, mal nach Dortmund, mal nach Thüringen. 2002 meldete sich eine Frau bei der Kripo. Sie wolle den Täter gekannt haben. Es sei „Steini“ und sie habe ihn bei der Bunten Republik Neustadt gesehen.
2003 wurde an der Kleidung von Hummel die mögliche DNA des Täters isoliert. Doch sie war nicht in der zentralen Datenbank gespeichert. 2011 landete der Fall bei „Aktenzeichen XY ungelöst“.
Es gab 167 Hinweise. „Steini“ wurde bisher nicht gefunden.
Mord an Katzen. Jule lässt Ermittler nicht ruhen
Von Andrzej Rydzik
Riesa - „Wer eine hilflose alte Frau über Minuten misshandelt und mit dieser extremen Brutalität tötet, muss seine Strafe bekommen.“ Ein Mordopfer lässt Volker Wichitill (57), Leiter der Dresdner Mordkommission, einfach nicht los - Vera Marotz.
Am 20. Oktober 2004 wurde die Rentnerin aus Nünchritz bei Riesa totgeprügelt. Erst als ihr Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert war, ließen die Täter von ihr ab.
Wie sich das grausame Verbrechen in der Mordnacht zugetragen hat, wissen nur die Täter.
Fakt ist:
Die Rentnerin (†66), die viele wegen ihrer Tierliebe auch Katzen-Jule nannten, war gegen 1.30 Uhr zu Fuß mit einem Handwagen voller Trödel unterwegs.
Sie war auf dem Weg von Nünchritz zu einer Scheune ins benachbarte Grödel. Volker Wichitill ist davon überzeugt, dass sie dabei auf eine Gruppe alkoholisierter junger Leute traf.
„Es gab in der Nacht mehrere Sachbeschädigungen. Fenster- und Autoscheiben wurden eingeschlagen, Autospiegel abgetreten, Gartenleuchten beschädigt“, erinnert sich der Kriminalist.
„Ein Hausbesitzer in Nünchritz alarmierte die Polizei, nachdem ein geworfener Kürbis seine Jalousie beschädigt hatte. Als er vor sein Haus trat, sah er trotz Dunkelheit Vera Marotz mit dem Handwagen Richtung Grödel laufend - das letzte Lebenszeichen von ihr."
Eine Streife fand schließlich die tote Rentnerin in einer Blutlache liegend am Straßenrand zwischen den Ortschaften.
Wichitill gehen die Bilder der Leiche noch heute nahe: „Ihr Gesichtsschädel war zertrümmert, sie hatte massivste Verletzungen am Rumpf. Das war starker Tobak.“ Unter den Fingernägeln der Toten fanden Gerichtsmediziner schnell die DNA einer Frau. Die Rentnerin muss sich im Todeskampf an sie gekrallt haben.
„Die Unbekannte muss nicht die Mörderin sein. Aber sie war dabei, hat das zerschlagene Gesicht der wehrlosen Frau noch heute vor Augen“, ist Wichitill sicher.
Seither haben nun schon mehr als 2500 Frauen aus der Region Speichelproben abgegeben, über 5500 Leute wurden überprüft - ohne Treffer. Volker Wichitill jagt die Mörder trotzdem weiter.
Denn: „Wer einmal über die Brücke gegangen ist, so brutal getötet hat, könnte es wieder machen...“
Wer kennt die Mutter des toten Babys Max?
Schwarzenberg - Der Name Max Winter löst in Schwarzenberg im Erzgebirge noch immer tiefe Betroffenheit aus. Denn so hieß das Baby, das im Winter 2011 tot in einem Altkleider- Container gefunden wurde.
Bis heute ist die Mutter, die noch ein zweites Kind umgebracht hat, nicht gefasst. Eingehüllt in ein hellblaues DDR-Frottierhandtuch, verpackt in einer Weihnachts- Einkaufstüte, fand ein Containerfahrer am 19. Januar 2011 den toten Säugling.
Gerichtsmediziner fanden schnell heraus, dass der Junge, der später von Standesamt- Mitarbeitern seinen Namen bekam, Augenblicke nach der Geburt erstickt worden war.
Vergeblich versuchte eine Sonderkommission die Mutter mittels Speichelproben im Erzgebirge zu überführen.
Anfang Juni 2012 der nächste Schock: In einem Straßengraben im tschechischen Rotava, 50 Kilometer von Schwarzenberg entfernt, fand ein Spaziergänger ein totes Baby. Es war Max‘ Bruder, der auch erstickt worden war.
Bis heute hat die Zwickauer Kripo gut 3000 Hinweise und etwa 2800 weibliche Speichelproben ergebnislos überprüft.
Fotos: O. Landgraf, dpa, Erzfoto, privat, Archiv, Bruno Sattelmeier, Thomas Türpe, M. Lippmann, Polizei, D. Knofe, imago