Surf-Pioniere der DDR: Sie erfanden Bretter, die die Welt bedeuteten
Dresden - Diese Familie konstruierte Surfbretter, als in der DDR noch nicht einmal das Wort "Surfen" existieren durfte. Ingrid (75, OP-Schwester) und Peter Wagner (78, Diplomingenieur) waren Teil einer Dresdner Tüftlertruppe, die vor genau 40 Jahren erstmals Surfbretter in Heimarbeit bauten - mit viel Improvisationstalent und unter geschickter Verwendung von Technik und Material, das ein Dresdner Chemiebetrieb abwarf.
Zu DDR-Zeiten musste Surfen noch Brettsegeln heißen. Surfbretter wurden Segelbretter genannt. Und weil es die nicht einfach wie heute zu kaufen gab, baute sie sich der gelernte DDR-Bürger einfach selbst zusammen.
Tüftler-Zellen rund um Familie Wagner aus Dresden-Kaitz waren 1977 die Technologie-Pioniere.
"Die Maße eines Segelbretts wurden einmal im Experimentierheft ‚Jugend+Technik‘ veröffentlicht", erinnert sich Peter Wagner.
Doch wie sollte man in der Mangelwirtschaft an das spezielle Material herankommen - Glasfasermatten, Glasgewebe und Epoxidharz in 30-Kilo-Megapackungen?
Freunde aus dem VEB Chemieanlagenbau Dresden kamen genau an dieses Material in genau den benötigten Größenordnungen. Dort wurden nach der Arbeit auch die Musterformen für die Ober- und Unterschalen des künftigen Boards gebaut. "Wir 'ditschten' dann Glasfasergewebe und Kleber in den Formschalen zusammen, ließen alles aushärten."
Die Hohlräume der rund 3 Millimeter dicken Ober- und Unterschalen wurden anschließend durch leichtes, aber stabiles Schaumpolystyrol verstärkt.
Wagner: "Dafür sammelten wir im Bekanntenkreis Verpackungsmaterial von Waschmaschinen und Fernsehapparaten." Zum Schluss wurden die beiden damit stabilisierten Hälften mit dem Zweikomponenten-Kleber bestrichen und miteinander verklebt.
Dann ging’s in die Küche.
Denn damit man auf der glatten Brett-Oberfläche im Wasser nicht ausrutschte, wurde die Trittfläche mit einem Gemisch aus Zucker und Kleber bestrichen. "Die Zuckerkristalle waren allerdings scharfkantig spitz, dass sie noch mit grobem Sandpapier stumpf geschliffen werden mussten."
Die ersten Bretter Marke Eigenbau brachten zwischen 28 bis 30 Kilo auf die Waage. Zum Vergleich: Heute wiegt ein vergleichbares Surfbrett rund 12 Kilo. „Die Surfbrett-Bauwut griff in unserer Straße wie eine Krankheit um sich“, erinnert sich Ingrid Wagner. „In den Garagen wurde überall fleißig ‚geditscht‘ und verklebt.“
Doch das funktionierte nur im Sommer. Bei Wintertemperaturen härtete der Kleber nicht aus.
Bei den Wagners wurde das Hobby sogar zur Fließbandarbeit, denn auch ihre drei Kinder wollten "brettsegeln" und brauchten dafür eigene Bretter.
Doch kein Surfen ohne Segel. Den Schnitt kopierte Wagner von einem Originalsegel aus dem Westen. „Dafür räumten wir das Wohnzimmer aus, legten Packpapier auf den Boden, um darauf den Schnitt mit Stecknadeln zu übertragen. Das Segel selbst bestand aus Schlüpferstoff, den wir in der CSSR kauften - wie auch den Segelmast aus Dural-Aluminium.“ Wagner wurde zum Segel-Schneider der Surfer-Clique: "An meiner Veritas-Nähmaschine habe ich insgesamt 150 Segel genäht."
Die Maschine nahm er auch zu Wettkämpfen mit, um vor Ort sofort reparieren zu können.
Bei zahlreichen Wettfahrten wie der Himmelfahrts- oder Energiearbeiter-Regatta oder beim Rheumapokal (hieß so, weil er im kühleren Herbst stattfand) sammelte die ganze Familie zudem Medaillen und Urkunden im Brettsegeln ein.
Boards und Segel wurden erst auf den Familien-Trabi, dann aufs Dach eines Wartburgs geschnallt.
"So ging’s ab zum Surfen an den Knappensee, Senftenberger See, nach Ungarn und ans Schwarze Meer."
Dort waren die Wagners mit ihrer Ausrüstung Marke Eigenbau immer ein Blickfang.
Sie konnten die Bretter nicht nur meisterhaft bauen, sondern beherrschten sie auf den Wellen auch meisterlich.
Neopren-Anzüge aus verklebten Fetzen
Die Wagners hatten ihre eigenen Bretter und Segel. Doch wenn der Wind blies, froren sie beim Surfen. "Anfangs zogen wir deshalb Taucheranzüge an." Bis zur Konfirmation von Sohn Falk.
Der bekam 50 D-Mark aus dem Westen geschickt. "Für das Geld bestellten wir bei einer Westberliner Firma, die Neopren-Anzüge herstellt, zwei Säcke voller Abfälle."
Ein Bekannter aus Westberlin fädelte das Geschäft ein, sollte die Säcke auch über die deutsch-deutsche Grenze schmuggeln. Doch das ging schief. "Ein DDR-Zollbeamter entdeckte die beiden 25-Kilo-Säcke, verbot die Einfuhr." Erst Tage später, als ein nicht so strenger Zöllner kontrollierte, funktionierte die Schleusung der Fetzen.
Den Stoffabfall setzte Wagner Flicken für Flicken zu Neoprenanzügen zusammen: "An allen Nahtstellen wurden die Fetzen verklebt."
Durch Verwendung verschiedener Farbabfälle erhielt der Anzug sogar ein stylisches Design. Die Flicken reichten für insgesamt sieben Neopren-Anzüge. Die ungewöhnlichen Patchwork-Dresse hängen bis heute im Kleiderschrank der Wagners.