Stasi-Agentin erzählt ihre Geschichte zwischen Nationalsozialismus-Opfern: Wie passt das zusammen?
Hamburg – Unter dem Motto "Horizonte öffnen" wird Hamburg Anfang Oktober die diesjährigen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit ausrichten. Als Teil des Programms wird Nicole Heinrichs Theaterstück "Monika Haeger: Inside Stasi" in den Ausstellungsräumen des Mahnmals St. Nikolai gezeigt, welches an die Opfer der Bombenangriffe während des Zweiten Weltkriegs erinnert. Warum genau das so gut zusammenpasst, hat TAG24 im Gespräch vor Ort erfahren.
Im Sommer 1943 wurde die ehemalige Hamburger Hauptkirche St. Nikolai von den Alliierten während der "Operation Gomorrha" fast komplett zerbombt, nur der Kirchturm überragt die Ruinen im Zentrum der Stadt noch. Heute ein Mahnmal gegen den Krieg.
Schon seit den 1990er Jahren ist das über tausend Jahre alte Gebäude ein Ort des Erinnerns und der Begegnung, einer der Höhepunkte war sicherlich der diesjährige Besuch von König Charles (74) im März.
Doch wie die Geschichte selbst befindet sich auch die Erinnerungskultur stets im Wandel.
"Wir merken, dass gerade jetzt, wo wieder Krieg in Europa herrscht, dieser Ort sich auch dafür eignet, mit politischen Systemen, Diktaturen und Kriegen auseinanderzusetzen, die nicht primär Zweiter Weltkrieg und Nationalsozialismus zum Thema haben. Wir sind kein Elfenbeinturm", betonte Dr. Nele Maya Fahnenbruck, Geschäftsführerin des Förderkreises Mahnmal St. Nikolai e.V., im Gespräch mit TAG24.
Sie und ihr junges Team wollen mit einer Neuausrichtung des Veranstaltungsprogramms eine größere Bandbreite an Menschen abholen: "Unsere Idee ist es, niedrigschwelliger an die Themen heranzugehen und auch Angebote für Menschen zu schaffen, die wir nicht sofort durch beispielsweise unsere Ausstellung abholen können!"
Für ein Demokratiebewusstsein ist viel Empathie-Fähigkeit notwendig
Und genau deswegen passe auch Nicole Heinrichs Monodrama "Inside Stasi" so gut in die Mauern des historischen Gebäudes und zum neuen Slogan des Förderkreises: "Geschichte verstehen, Perspektiven sehen".
Zwischen Bombennachbildungen und Informationstafeln über die Opfer des Nationalsozialismus wird Monika Haeger (gespielt von Anja Kimmelmann) in Heinrichs inszenierter One-Woman-Show von ihren Taten als Stasi-Spionin erzählen. Ohne Reue und stets mit dem festen Glauben daran, "das Richtige" im Sinne des Sozialismus getan zu haben.
Kein Widerspruch, so Fahnenbruck. Für ein Demokratiebewusstsein sei viel Empathie-Fähigkeit notwendig. Diese könnte beispielsweise durch den Perspektivenwechsel beim Hineinversetzten in Protagonisten wie die Stasi-Agentin verstärkt werden.
"Egal, ob das jetzt DDR-Diktatur oder Nationalsozialismus ist. In beiden Fällen lässt ein politisches System nicht mehr zu, sich frei zu entwickeln. Hoch spannend daran ist, zu sehen, wie wir mit diesem Grad der Einschränkung unseres Verhaltens umgehen würden. Diese Frage kann sich jeder stellen."
Heinrich: "An diesem Ort sieht man direkt die Auswirkungen von Diktatur und Gewaltherrschaft"
Heinrichs Stück stellt die Besucher zudem vor folgende Frage: Wie weit gehe ich für meine guten Zwecke? Die "Haeger"-Haltung, wie die Regisseurin sie nennt, also all seine Zwecke damit zu rechtfertigen, auf der "guten Seite" zu stehen, stecke in jedem Einzelnen von uns.
"Mein Stück hat auch Gegenwartsszenen und diese zeigen aktuelle, politische Haltungen mehrerer Parteien – nicht nur der AfD – und wie leicht man in die Haeger-Haltung abdriften kann. Und gerade an diesem Ort hier, sieht man dann direkt die Auswirkungen von Diktatur und Gewaltherrschaft", sagte Heinrich im Gespräch.
"Mich hat ganz besonders diese Vitrine mit den Alltagsgegenständen berührt, die durch den Krieg zerstört worden sind."
"Wir zeigen hier quasi die Weiterführung der Deutschen Geschichte!"
Entstanden ist die Idee des Zusammenwirkens von Spielort und Theaterstück durch die Förderung der Landeszentrale für politische Bildung. "Wir haben ein Ort gesucht, an dem ich mein Stück aufführen kann und der auch zur Dachmarke 'Horizonte öffnen' des Tags der Deutschen Einheit passt", so Heinrich. "Als dann das Mahnmal vorgeschlagen wurde, war ich gleich Feuer und Flamme."
"Wenn man die Geschichte der Ostdeutschen hört, ist einem oft nicht so bewusst, dass diese 40 Jahre länger Diktatur durchmachen mussten als die West-Deutschen. Auf die nationalsozialistische ist nahtlos die sozialistische gefolgt. Wir zeigen hier quasi die Weiterführung der Deutschen Geschichte und ich möchte durch mein Stück auch an die Opfer der SED-Diktatur erinnern und ihnen gedenken."
Am 25. und 27. September wird "Monika Haeger – inside stasi" im Mahnmal St. Nikolai aufgeführt. Tickets gibt es unter hamburg.de und gegebenenfalls Restkarten an der Abendkasse. Mehr Informationen und weitere Veranstaltungen unter mahnmal-st-nikolai.de.
Titelfoto: Montage: Marcus Brandt/dpa, TAG24, Felix Krebs