Heute vor 40 Jahren! Als ein Wintersturm Sachsen erstarren ließ
Sachsen - Meterhohe Schneewehen blockierten Schienen und Straßen, die vereisten Tagebaue lieferten keine Kohle mehr an die Kraftwerke, in Städten und Dörfern fielen Strom und Heizung aus - heute vor 40 Jahren ließen brutale Winterstürme ein ganzes Land gefrieren. Sechs Tage lang befand sich Sachsen im Ausnahmezustand.
Eigentlich war es zu Weihnachten 1978 viel zu warm. Das Thermometer zeigte teilweise über zehn Grad plus und es goss in Strömen. "Es hatte tagelang geregnet, alles war ein einziger Sumpf", erinnert sich Siegfried Körber (69), der damals im Tagebau Nochten arbeitete. Doch in der Nacht zum 29. Dezember brach wie aus dem Nichts ein gigantischer Schneesturm über das Land herein, die Temperaturen fielen binnen Stunden auf bis zu 20 Grad unter Null.
Autos und Züge blieben in Schneewehen stecken, Strommasten knickten um und in den Tagebauen gefror der Schlamm zu Betoneis. "Zuerst gingen die Kohlewaggons nicht mehr zu, weil die Schließkanten festgefroren waren, dann fiel die Bandanlage aus und letztlich froren auch die Schaufeln des Baggers fest", berichtet Bergbau-Ingenieur Körber.
Über den Jahreswechsel lag nicht nur der Tagebau Nochten still. Weil nahezu alle Braunkohlegruben der DDR im Frost erstarrt waren und die wenigen Kohlezüge nicht mehr weiter kamen, konnten die Kraftwerke kaum noch Strom liefern.
So wurde am Silvestertag in zahlreichen Städten, darunter auch Leipzig, der Strom abgestellt. "Die Straßenbahnen fuhren nicht mehr, in den Wohnungen flackerten nur noch Kerzen", kann sich Rentnerin Christine Pfüller (81) noch gut erinnern. Wohl dem, der noch einen Kohleofen und genügend Briketts im Keller hatte. Denn die Zentralheizungen blieben kalt. Die damals noch weit verbreiteten Stadtgas-Herde liefen dagegen auf voller Flamme, die Türen der Backöfen blieben offen.
Im Tagebau Nochten bastelten kriegserfahrene Bergleute derweil aus Lötlampen Flammenwerfer. "Damit haben wir versucht, unsere Technik zu enteisen", erinnert sich Körber.
Am Neujahrstag erhielt dann die Armee den Marschbefehl. Zehntausende Soldaten schwärmten mit Panzern und schwerem Gerät in Tagebaue und Kraftwerke aus. Kranke und Schwangere wurden mit Militärhubschraubern in Kliniken geflogen.
"Wir hatten das Glück, dass die Soldaten und Offiziere vom Flugplatz Rothenburg nach Nochten kamen", erzählt Bergmann Körber. Denn die Jungs hatten Flugzeugtriebwerke auf ihre Lastwagen montiert. Mit diesen mobilen Düsenaggregaten feuerten die Soldaten Kohlebaggerschaufeln und Antriebe der Bandanlage frei.
Nach zwei Tagen lief die Kohleförderung wieder, gingen in immer mehr Städten die Lichter wieder an. "Vor dem Hauptbahnhof brannten überall kleine Feuer, um die vereisten Straßenbahn-Weichen wieder gängig zu bekommen", erinnert sich die Leipzigerin Pfüller an die gespenstische Szenerie.
Wie viele Menschen während der Sechs-Tage-Eiszeit zu Tode kamen, wurde in der DDR geheim gehalten. Eine sehenswerte Dokumentation über den Katastrophenwinter 1978/79 sendet der MDR am 2. Januar um 20.15 Uhr.
Titelfoto: Michael Helbig, MDR/Egon Nehls