Meldestelle verzeichnet starken Anstieg antisemitischer Vorfälle in Thüringen
Erfurt - Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Thüringen (Rias) hat im Land einen starken Anstieg antisemitischer Vorfälle verzeichnet.
Im Jahr 2023 seien im Freistaat 297 solcher Vorfälle gezählt worden, sagte die Leiterin von Rias in Thüringen, Susanne Zielinski. Dies sei die höchste Zahl der ostdeutschen Bundesländer ohne Berlin. Im Jahr 2022 waren es noch 243 Vorfälle.
"Explosionsartig" angestiegen sei der israelbezogene Antisemitismus. Während in Thüringen im Jahr 2022 noch drei solcher Vorfälle bekannt wurden, waren es den Angaben zufolge vergangenes Jahr 103 Fälle. Grund seien vermutlich die Folgen des Terrorangriffs der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023.
Unter israelbezogenen Antisemitismus versteht Rias die Dämonisierung und Delegitimierung Israels als Staat - "im Gegensatz zu einer konstruktiven und sachlichen Kritik an der israelischen Regierung beispielsweise", wie Zielinski erläuterte.
Die meisten antisemitischen Vorfälle in Thüringen zählt die Recherche- und Informationsstelle aber nach wie vor zur Kategorie Post-Schoah-Antisemitismus - im Jahr 2023 wurden 142 Fälle in diese Kategorie eingeordnet und damit fast die Hälfte aller Vorfälle.
Unter Post-Schoah-Antisemitismus versteht Rias beispielsweise die Relativierung, Verharmlosung oder Verherrlichung der Schoah und Angriffe auf die Erinnerungskultur.
SPD-Abgeordneter Möller: "Muss konsequenter geächtet werden"
Von den insgesamt 297 Vorfällen konnten den Angaben zufolge 192 keinem politischen Hintergrund zugeordnet werden. 38 Vorfälle hatten laut Rias einen verschwörungstheoretischen Hintergrund, 33 Fälle gingen auf rechtsextreme oder rechtspopulistische Einstellungen zurück, und bei 25 Vorfällen handelte es sich um antiisraelischen Aktivismus.
Der SPD-Abgeordnete Denny Möller (45) bezeichnete den Angriff der Hamas auf Israel als Katalysator für Antisemitismus. "Wir müssen uns hier bewusst machen, dass Antisemitismus eben nicht nur am rechten Rand, sondern in allen politischen Spektren zu finden ist und gesamtgesellschaftlich von uns allen viel konsequenter geächtet und zurückgedrängt werden muss", sagte er.
Die Grünen-Innenpolitikerin Madeleine Henfling (41) sagte, es sei erschreckend, "wie offen israelbezogener Antisemitismus jetzt ausgesprochen und bekundet wird". Der Schutz jüdischen Lebens und die Bekämpfung des Antisemitismus seien nicht verhandelbar.
Die Linke-Abgeordnete Katharina König-Preuss (46) mahnte, es sei "dringend geboten, auf allen Ebenen gegen jeden Antisemitismus vorzugehen und deutlich Position zu beziehen".
Die Meldestelle Rias erfasst und dokumentiert antisemitische Vorfälle und nimmt dabei nicht nur Vorfälle auf, die strafbar sind, sondern auch solche unterhalb dieser Schwelle. Träger der Dokumentationsstelle ist die Amadeu Antonio Stiftung, gefördert wird sie von der Staatskanzlei.
Titelfoto: Sven Hoppe/dpa