Deutschland verliert nach Landratswahl die Fassung - Ein Kommentar
Sonneberg - Wer hätte gedacht, dass ein kleiner Landkreis in Thüringen bundesweit für Aufregung sorgen kann. Doch so geschah es am gestrigen Sonntag, als ein AfD-Kandidat erstmalig in das Amt des Landrats gewählt wurde. Doch ist all der anschließende Aufriss überhaupt gerechtfertigt?
Mit Robert Sesselmann (50) gewann nicht nur ein Kandidat der Alternative für Deutschland eine Landratswahl, zum ersten Mal wurde außerdem eine Landratswahl derart hochgeschaukelt, dass man anschließend meinen könnte, in Sonneberg hätte man einen neuen Kanzler gewählt.
Nur, um die Ausgangslage noch einmal klarzustellen: Sesselmann gewann in einem der kleinsten Landkreise Deutschlands (rund 57.000 Einwohner) mit 52,8 Prozent der Stimmen die Wahl zum Landrat. In einer Stichwahl.
Zweifelsohne ist es ein Erfolg für die AfD, wenn in der noch jungen Parteigeschichte erstmals ein eigener Kandidat eine Wahl gewinnt. Genauso lässt sich nicht abstreiten, dass diese Wahl demokratisch abgehalten wurde und die Bürger Sonnebergs eben so entschieden haben.
Doch der ganze Trubel um die Wahl herum ist maßlos übertrieben und macht den Landkreis Sonneberg zu etwas, was er nicht ist: "Ground Zero".
Thüringens AfD-Chef Björn Höcke (51) sprach direkt von einem "politischen Erdbeben", was von Sonneberg ausgehen würde. Für den AfD-Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla (48) war diese Landratswahl "erst der Anfang" und für die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang (29) eine "Warnung an alle demokratischen Kräfte" sowie ein Anlass, zusammenzurücken und "die Demokratie zu verteidigen".
Riesen Trubel um die Landratswahl in Sonneberg
Die Liste an überspitzten Aussagen von Politikerinnen und Politikern zur Wahl in Sonneberg könnte endlos weitergeführt werden.
Noch schlimmer wurde die Wahl in den sozialen Medien aufgegriffen. Unter dem Hashtag #Sonneberg wurde sekündlich der Stand der Auszählung geteilt. Die Website des Wahlamts Thüringen brach unter dem riesigen Andrang komplett zusammen.
In dem Livestream des rechten und AfD-nahen Magazins "Compact" wurde vor über 13.000 Zuschauern eine Flasche Sekt geköpft, als der Wahlsieg Sesselmanns feststand.
Insgesamt wurde über alle Medien hinweg der Eindruck vermittelt, als könne die AfD plötzlich bundesweit mit Wahlergebnissen von über 50 Prozent rechnen. Pure Angstmacherei, die wieder mal niemandem hilft, außer der AfD selbst.
Natürlich bildet die Landratswahl in Sonneberg zu einem geringen Grad die aktuelle Stimmungslage in der gesamten Bundesrepublik ab und sollte die anderen Parteien zumindest zum Nachdenken anregen.
Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass es sich immer noch um eine LANDRATSWAHL in einem Bundesland handelt, in dem die Rechtspopulisten längst großen Einfluss besitzen. Das Ergebnis kann gar nicht so überraschend gekommen sein, wie jetzt alle tun.
Landrat gleich Bundeskanzler?
Ich sehe bereits sämtliche E-Mails voller Beleidigungen in mein Postfach eintrudeln, aber das muss einfach mal gesagt werden: Diese Landratswahl in Sonneberg war eine Landratswahl wie in jedem anderen Landkreis auch.
Von einer Landtagswahl auf die Bundesebene zu schließen, okay. Aber von einer Landratswahl?
Wahrscheinlich kennen die wenigsten überhaupt den Landrat aus ihrem eigenen Kreis, aber seit Sonntag werden dem Amt plötzlich magische Kräfte zugeschrieben.
Zur Erinnerung: Der Landrat leitet den Kreistag und vertritt seinen Kreis nach außen. Im Kreistag von Sonneberg sitzen zudem auch noch weitere Parteien, außer der AfD.
Immerhin der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager (64, CDU), äußerte sich am Sonntag auf normale Weise zu dem Ausgang der Landratswahl in Sonneberg: "Es ist zu betonen, dass es sich um das Ergebnis einer demokratischen Wahl handelt. Für die anderen Parteien sollte das Wahlergebnis ein großer Ansporn sein, im politischen Wettstreit überzeugender zu sein."
Titelfoto: Bildmontage: Martin Schutt/dpa