Graffiti-Künstler "Tasso" ist sauer: Kunst-Festival zieht plötzlich nach Leipzig
Meerane/Leipzig - Das größte Street-Art-Festival der Region Chemnitz wandert dieses Jahr ab nach Leipzig. Die IBUg soll im alten Reichsbahnausbesserungswerk in Engelsdorf stattfinden. IBUg-Gründungsvater, der international bekannte Graffiti-Künstler Jens "Tasso" Müller (56), findet das gar nicht gut: "Meine Grundidee eines Festivals wird kaputt gemacht."
Organisiert wird die IBUg von einem Verein, der mittlerweile selbst seinen Sitz in der Messestadt hat.
Die Vorsitzende Rahel Pötschke (29) schwärmt: "In Leipzig zu sein ist etwas ganz Besonderes." Dass Tasso verstimmt ist, kann sie nicht verstehen: "Das Festival entwickelt sich weiter. Es geht um Kunst in Industriebrachen. Es spielt nicht die große Rolle, wo die sind. In Leipzig gibt es eine gute Anbindung für Besucher."
Genau das wollte Tasso eigentlich auf den Kopf stellen: "Die Leute sollten sich in den Zug setzen, um für das Festival in die Provinz zu fahren."
Die nötigen Kontakte, um internationale Szene-Größen für diese Idee zu gewinnen, hat der Meeraner. Doch scheinen die bei den Organisatoren nicht mehr gefragt. "Wenn alles basisdemokratisch abgestimmt wird, von Leuten, die nicht das Wissen aus der Szene haben, bleibt die Qualität auf der Strecke", sagt Tasso. "Ich hatte Steve Locatelli aus Antwerpen überredet, einen seiner Totenköpfe mit Wäscheleinen in Fassadengröße aufzuspannen, Bordalo II wollte eine seiner Müllskulpturen für die IBUg bauen. Diese Stars sollten ernsthaft eine Bewerbung schicken, ob sie mitmachen dürfen. Das ist, als wenn die Rolling Stones vor dem Auftritt in ein Casting sollen."
Mit der IBUg kann sich Tasso inzwischen nicht mehr identifizieren: "Die Einzigartigkeit ist verloren gegangen."
Für mehr Kultur in der Kleinstadt
Die Abkürzung "IBUg" steht für das Wortungetüm Industriebrachenumgestaltung. Der international renommierte Graffiti-Künstler Tasso, alias Jens Müller (56), hatte 2006 die Idee, "der Kleinstadt Kultur zu geben, die Großstadtniveau hat".
Seitdem verwandeln Street-Art-Künstler leer stehende Fabriken in temporäre Galerien: Sie fügen vor Ort gefundene Materialien zu Installationen, lassen abgeblätterte Wände und alte Tapeten Teil von Bildern werden, sprühen Graffiti über graue Fassaden oder tauchen verfallene Räume in ein Multimedia-Universum.
In Tassos Heimatstadt Meerane wuchs die IBUg innerhalb von sechs Jahren zu einem Festival mit Strahlkraft.
Seit ein Verein die Organisation übernommen hat, verlor Tasso seinen Einfluss auf die IBUg und stellte selbst zuletzt 2017 aus.
Titelfoto: Kristin Schmidt