Zwei Frauen, 100 Tage Amtszeit: Interview mit Sachsens grüner Doppelspitze
Dresden - Die Grünen haben bundesweit aktuell mit Annalena Baerbock (41) und Robert Habeck (52) kräftig Rückenwind. In Sachsen ist die Partei an der Regierung beteiligt und hat seit 100 Tagen eine neue Führung. Damit bilden Christin Furtenbacher (37) und Marie Müser (24) die jüngste Parteispitze im Land.
Im TAG24-Interview erklären sie, was die Partei für Sachsen ändern will, wie den dünnen Mitgliederzahlen auf dem Land beizukommen ist und warum Ministerpräsident Michael Kretschmer (47) momentan keinen guten Job macht.
TAG24: Frau Furtenbacher, Frau Müser, Sie kannten sich schon vorher. Richtig eng zusammengearbeitet haben Sie bisher aber nicht. Kann das gutgehen?
Christin Furtenbacher: Die Doppelspitze ist ein Erfolgsmodell, dem viele folgen. Wir befruchten uns thematisch gegenseitig. Ich bearbeite sozialpolitische Themen, Maries Schwerpunkt ist die Wirtschaft. Die war bisher eher Spielwiese für andere Parteien.
TAG24: Wollen Sie jetzt FDP und CDU den Rang ablaufen?
Marie Müser: Eins ist klar: Wirtschaftsthemen hängen eng mit unserem Kernthema Klimaschutz zusammen. Wenn wir da den Anschluss verpassen, wird Sachsen schon bald Probleme als attraktiver Wirtschaftsstandort bekommen.
Wir suchen gezielt den Kontakt zur Wirtschaft und sprechen zum Beispiel mit Verbänden über erneuerbare Energieversorgung. Viele Unternehmen wollen beim sozial-ökologischen Umbau mit dabei sein - dafür braucht es aber die notwendigen Rahmenbedingungen.
Sächsische Grüne will mehr Einsatz in Gemeinden zeigen
TAG24: Welche Themen sind für die sächsischen Grünen sonst wichtig?
Christin Furtenbacher: Wir müssen unbedingt beim Gleichstellungsgesetz, also der effektiven Gleichstellung von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst, und beim Vergabegesetz zu Potte kommen. Bei öffentlichen Aufträgen müssen Kriterien wie Tarifbindung oder Umweltstandards berücksichtigt werden.
TAG24: In Sachsen haben die Grünen derzeit rund 3400 Mitglieder. Von den etablierten Parteien schneiden nur FDP und AfD schlechter ab. Vor allem auf dem Land sind die Grünen strukturschwach ...
Christin Furtenbacher: Wir wissen, dass hier viel Einsatz gefordert ist. In kleineren Gemeinden haben wir häufig Einzelkämpfer*innen. Insbesondere für sie starten wir ein Mentoring-Programm, bei dem erfahrenere Mitglieder unerfahrenere oder neue begleiten.
Marie Müser: "Kretschmer vernachlässigt seinen Job als Ministerpräsident"
TAG24: Hilft da vielleicht auch der Erfolg und die Anerkennung, die Annalena Baerbock und Robert Habeck derzeit auf Bundesebene einfahren?
Marie Müser: Die Bundespolitik hat immer Auswirkungen auf die Landespolitik. Entscheidend ist jedoch, dass wir als Grüne pragmatisch handeln und erklären, warum wir gerade schwierige Entscheidungen treffen müssen. Unsere ehrliche Kommunikation kommt an – das gibt Rückenwind.
TAG24: Wie nehmen Sie die regelmäßigen Krisen der Staatsregierung wahr, an der ja nicht nur CDU und SPD, sondern auch Sie als Grüne beteiligt sind?
Marie Müser: Momentan gibt es viel Unmut über den Ministerpräsidenten. In der Krise sollten alle Koalitionspartner an einem Strang ziehen. Stattdessen präsentiert Michael Kretschmer vermeintliche Lösungen zum Ukrainekrieg, die einfach nicht durchdacht sind.
Er macht gerade Parteipolitik und vernachlässigt seinen Job als Ministerpräsident. Ständig platziert er irgendwelche Vorschläge in den Medien ohne irgendeine Rückkopplung mit den fachlich zuständigen Ministerien oder den Koalitionspartnern.
TAG24: Ist das vielleicht schon Wahlkampf?
Christin Furtenbacher: Wie auch immer ... Wir haben gerade keine Wahlen, sondern mehrere Krisen gleichzeitig zu bestreiten. Da sind Antworten auf die sozialen und ökologischen Fragen gefordert, keine parteistrategischen Kämpfe oder Alleingänge.
Titelfoto: Bildmontage: Steffen Füssel