Wegen Schäden im Tagebau Turów: Zittau verklagt Polen!
Von Pia Lucchesi
Zittau - Die Stadt Zittau wird den polnischen Staat verklagen. Das hat der Stadtrat jetzt einstimmig beschlossen. Hintergrund ist die jüngst erfolgte Abbaugenehmigung bis 2044 für den Tagebau Turów durch das polnische Klima- und Umweltministerium.
"Nach wie vor werden unsere Einwände ignoriert, wobei sie selbst nach polnischem Recht eindeutig zu bearbeiten und zu beantworten sind. Es verstärkt sich der Eindruck, dass zuständige Behörden bewusst so agieren", ärgert sich Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker (47).
Die Große Kreisstadt Zittau wird nach polnischem Recht klagen. Ein polnischer Rechtsanwalt soll die Kommune dabei vertreten.
Zittau ist direkt betroffen von den Auswirkungen des benachbarten Braunkohletagebaus (Setzungen im Boden, Grundwasserabsenkungen). Um weiteren Schaden abzuwenden, kämpft die Stadt gegen die Verlängerung/Fortführung der Abbaugenehmigung.
Die Große Kreisstadt ist überzeugt, dass das polnische Prüfverfahren über die Umweltverträglichkeit (UVP) für die verlängerte Bergbautätigkeit im Tagebau Turów nicht rechtskonform erfolgt ist, reichte eine Klage ein, um eine "bestandskräftige" Umweltentscheidung zu erwirken.
Bis jetzt kämpft Zittau allein für sich und seine Bürger. "Aus Sicht der Stadt haben aber auch der Freistaat Sachsen und die Bundesrepublik zu prüfen, inwieweit die bestehenden nationalen und internationalen Gesetzlichkeiten beachtet wurden", so ein Rathaussprecher.
Auch Tschechien klagt gegen Polen
Die Linksfraktion hat eine Anhörung im Landtag beantragt. Nach Recherchen der Linkspartei gibt es gegenwärtig im Zittauer Becken keine einzige Messstelle, die die Grundwasserbeschaffenheit misst.
Die Abgeordnete Antonia Mertsching (37) sagt: "Die Folgen von Turów werden also gar nicht erfasst! Wir fordern die Staatsregierung auf, umgehend Messstellen vor Ort zu installieren, wo Tausende Menschen von den Folgen des Tagebaus Turów betroffen sind."
Übrigens: Auch Tschechien hat Polen wegen Turów bereits verklagt. Vergangenes Jahr haben sich die Polen "freigekauft". Nach Zahlung von 45 Millionen Euro zog Tschechien seine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof zurück.
Die Chancen für Zittau, mit dem Gerichtsweg etwas zu erreichen, dürften also nicht aussichtslos sein ...
Kommentar: Im Stich gelassen
Von Gerhard Jakob
Dass der gigantische Braunkohle-Tagebau im polnischen Turów auch in Sachsen seine Schäden hinterlässt, ist für die hiesigen Grenzbewohner schon lange ein Ärgernis.
Das abgesenkte Grundwasser bei den Nachbarn sorgt für Setzungsbewegungen, Risse und bröckelnden Putz in Sachsen. Auch tschechische Gebiete im Dreiländereck sind davon betroffen. Dort wollte man sich die Schäden nicht länger gefallen lassen und wehrte sich erfolgreich vor Gericht.
Und in Sachsen? Hier lässt der Freistaat seine Grenzgemeinden im Stich, verweist nebulös auf Berlin. Aber während in anderen Angelegenheiten Ministerpräsident Kretschmer keine Gelegenheit auslässt, die Berliner Politik lautstark zu schelten (z. B. "Die 'Energiewende ist gescheitert"), scheint seine Regierung in Sachen Tagebauschäden durch die polnischen Nachbarn unter die Blinden und Taubstummen gefallen zu sein. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.
Dass ein Gang vor den Kadi aussichtsreich ist, haben unsere tschechischen Nachbarn bewiesen. Die zogen gegen die Polen vor den Europäischen Gerichtshof. Und der entschied: Polen muss den Tagebaubetrieb bis zum Ergebnis des Hauptsacheverfahrens einstellen. Angedrohtes Zwangsgeld. Eine halbe Million Euro - pro Tag Weiterbetrieb. Mit einem saftigen Vergleich konnte Polen das Fiasko abwenden - nach Zahlung von 45 Millionen Euro zog Prag seine Klage zurück.
Der sächsischen Staatsregierung wäre ein vergleichbarer Mut zu wünschen gewesen. Jetzt muss es das kleine Zittau eben alleine stemmen.
Titelfoto: Montage: dpa/Eventpress Hoensch, Thomas Türpe