Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt: Brauchen Sachsens Schüler Nachhilfe für Europa-Wahl?
Dresden - Erstmals dürfen in Deutschland zur Europawahl am 9. Juni auch 16- und 17-Jährige abstimmen.
Möglich macht das eine Absenkung des Wahlalters.
Bei knappen Wahlergebnissen könne das Votum der Jugendlichen durchaus einen Unterschied machen.
Doch sind die Heranwachsenden überhaupt auf dieses Ereignis ausreichend vorbereitet und bereit, Verantwortung zu übernehmen?
Außerdem: Welche Sachsen haben überhaupt Chancen auf einen Platz im EU-Parlament?
Möglichkeit, erstmals voten zu dürfen, hat etwas bei den Teenagern bewegt
Mehr als 230.000 junge Menschen (im Alter unter 23 Jahren) dürfen allein in Sachsen 2024 erstmals an einer Europawahl teilnehmen - darunter knapp 70.000 16- und 17-Jährige - laut Angaben des Statistischen Landesamtes. Die Möglichkeit, erstmals voten zu dürfen, hat etwas bei den Teenagern bewegt.
"Grundsätzlich ist durch die Herabsetzung des Wahlalters in den älteren Jahrgängen das Interesse an dieser Wahl als Wählende gestiegen. Viele Schulen arbeiten vielseitig im Voraus zu Wahlen mit den Inhalten der verschiedenen Parteien und informieren ihre Schüler*innen nach ihren Möglichkeiten", berichtet der Landesschülerrat (LSR) auf Nachfrage.
Da der Rat für die Schülerschaft nur zu bildungspolitischen Themen Position bezieht, mag er nicht sagen, ob die Herabsetzung des Wahlalters überfällig war. Er kann aber berichten, dass die junge Generation durchaus politisch engagiert ist.
"Was das konkret für die Wahlbeteiligung der 16- bis 18-Jährigen bei der Europawahl bedeutet, bleibt abzuwarten", gesteht aber ein Sprecher des LSR.
Schülervertreter sehen Schulen in der Pflicht
Das ganze Thema "Wählen" diskutieren die Schülervertreter differenziert und reflektiert. Sie meinen, dass da "Nachhilfe" nötig ist. "Prinzipiell muss die politische Bildung gestärkt und Querschnittsthema in der Schule werden. Explizite Vorbereitungen der Schüler*innen als Wählende würde aber eine Ungleichbehandlung der jungen Wählenden bedeuten", heißt es im LSR-Statement dazu.
Die Schülervertreter sehen dort grundsätzlich die Schulen in der Pflicht. Ihrer Meinung nach ist deren Aufgabe als Bildungseinrichtung, "demokratisch denkende und handelnde Menschen zu erziehen, die eigenverantwortlich am demokratischen Diskurs teilnehmen können".
Die Lehrer spielen dabei eine zentrale Rolle. Wenn sie entsprechende Kompetenzen den Schülern vermitteln, "dann werden die Erwachsenen von morgen langfristig gesehen bedachte Wahlentscheidungen treffen können, ohne dass Nachhilfe nötig ist", ist der Landesschülerrat überzeugt.
Sollten Politiker Hausverbot in Schulen bekommen? Nö. Der LSR meint: "Der Besuch von Politiker*innen und Verbänden kann ein belebender Teil des demokratischen Diskurses in den Schulen sein." Den gewählten Schülervertretern ist dabei aber wichtig, dass ausgeglichene Diskussion entstehen und ermöglicht werden.
Sie verbinden damit die Hoffnung, dass sich die Schüler auf dieser Grundlage ein fundiertes und differenziertes Bild machen können, um umsichtig eine Wahlentscheidung zu treffen.
Diese Kandidaten aus Sachsen haben gute Chancen
Bei der EU-Wahl gehen aus Sachsen diverse aussichtsreiche Kandidaten ins Rennen. Wer könnte 2024 einen der 96 deutschen Sitze in Brüssel und Straßburg ergattern? Ein Chancen-Check.
AfD
CDU
Grüne
SPD
Matthias Ecke (40) vertritt Sachsen schon als EU-Parlamentarier und hat Platz 10 inne. • Gute Chancen.
Linke
Carola Rackete (35, Linke) soll das Büro der scheidenden Abgeordneten Cornelia Ernst übernehmen. Die Seenotretterin mit Kapitänspatent steht bei ihrer Partei auf Platz 2. • Sicher drin.
FDP
Der Kubschützer Bäckermeister Stefan Richter (45) erscheint auf Listenplatz 14 der Liberalen. • Braucht ein mittleres Wunder.
BSW
Der langjährige Chef der früheren Zwickauer Paracelsus-Klinik Prof. Jan-Peter Warnke (64/Hauptwohnsitz heute an der Ostsee) zieht für das Wagenknecht-Bündnis auf Listenplatz 5 in den Wahlkampf. • Gute Chancen.
Womöglich bald Schluss mit dem Flickenteppich
In puncto Wahlrecht ist Deutschland ein Flickenteppich. An Landtagswahlen dürfen 16-Jährige bislang nur in Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein teilnehmen.
Die Debatten dazu sind lebhaft. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (55, SPD) erklärte jüngst, dass man "mit der Bundestagswahl und den Landtagswahlen nachziehen" sollte. Der Wahlrechts-Experte Hermann Heußner (64) von der Hochschule Osnabrück plädiert auch dafür.
Seine Forschungen zeigen, dass im Alter von zwölf bis 14 Jahren ein Entwicklungsschub einsetze. Dadurch seien die Teenager in der Lage, sozial, ethisch und politisch zu denken und auch die Interessen anderer zu sehen.
Kritik am Wahlrecht ab 16 kommt vor allem aus der Union. So findet es der Abgeordnete Philipp Amthor (31, CDU) widersinnig, wenn Jugendliche weitreichende politische Entscheidungen treffen dürften, aber andererseits noch nicht einmal einen Handyvertrag abschließen dürfen ohne elterliche Zustimmung.
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