Verantwortliche schlagen Alarm: In Sachsens Rettungswesen knirscht es gewaltig
Dresden - "Wer in Sachsen Hilfe braucht, bekommt sie auch. Jeder wird gerettet! Es bleibt niemand unversorgt auf der Straße", stellt Frank Krause (46), Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Notärztliche Versorgung (ARGE NÄV) in Sachsen, klar. Aber er weiß auch, es knirscht im System. So wird es schwerer, Notärzte zu finden, Notaufnahmen sind überlastet und Rettungsfristen werden in bis zu 40 Prozent der Fälle nicht eingehalten.
Passiert ein schwerer Unfall, sind in wenigen Minuten Rettungswagen und Notarzt vor Ort.
Dafür tragen die Landkreise und kreisfreien Städte sowie die ARGE NÄV Verantwortung. Letztere ist seit 2005 ausschließlich dafür zuständig, ausreichend Notärzte für die Einsatzfahrzeuge zu akquirieren.
Bei 78 Notarztstandorten in Sachsen und Zwölf-Stunden-Schichten müssen so jedes Jahr etwa 54.000 Schichten besetzt werden.
Dies funktioniert in den meisten Fällen auf freiwilliger Basis der Notärzte, die nach ihrem Dienst oder in ihrer Freizeit Extra-Schichten schieben.
Reicht das nicht aus, werden Verträge mit Krankenhäusern geschlossen oder als letzte Möglichkeit Standorte europaweit ausgeschrieben. Das sei zum Beispiel in Flöha, Weißwasser oder Torgau der Fall.
Notarztbörsen in Deutschland würden dann die Lücken im Dienstplan füllen.
Notärzte werden immer mehr zu Bagatellfällen alarmiert
Trotzdem gibt es unkalkulierbare Ausfälle. "Die Notärzte haben alle ein Berufsleben, Familie und Kinder", erklärt Frank Krause. Krankheit oder Personalnotstand in den Kliniken könnten da zu Ausfallzeiten führen.
So gab es 2022 circa 900 unbesetzte Dienste. Krause: "Wenn ein Dienst unbesetzt ist, strahlen Nachbarstandorte ein und der nächstgelegene Notarzt wird geordert oder der Hubschrauber kommt".
Immerhin: Die Besetzungsquote liegt konstant bei über 98 Prozent. "Da sind wir bundesweit ganz vorn dabei", sagt er.
Doch es werde immer schwerer, Notärzte für den Job zu begeistern. "Bei uns kommt vieles zusammen. Das Anspruchsverhalten, der Fachkräftemangel, die Work-Life-Balance", meint Frank Krause.
Kaum jemand möchte noch seine Freizeit mit der Familie opfern. Auch die gestiegene Vergütung könnte nur noch wenige Ärzte locken, da das Gehalt aus der Haupttätigkeit auskömmlich scheint.
So gilt inzwischen: "Wenn ein Notarzt altersbedingt ausscheidet, brauchen wir drei junge Ärzte, die ihn ersetzen". Auch, weil immer mehr Notärzte gefrustet sind. Zu oft müssten sie zu Bagatellfällen ausrücken.
"In 30 bis 70 Prozent der Einsätze sagt uns der Notarzt, es hatte keinen Mehrwert, dass er da war."
Notaufnahmen brauchen Entlastung
Durchschnittlich 140 Notfallpatienten am Tag versorgen die Notaufnahmen des Uniklinikums Dresden. 50.000 waren es insgesamt im Vorjahr. Eine hohe Zahl, schätzt Markus Gondert (44), Ärztlicher Leiter der Zentralen Notaufnahme am Uniklinikum, ein.
50 Prozent davon würden aus eigenem Ermessen, also ohne Einweisung oder mit dem Rettungsdienst kommen. Die häufigsten Gründe seien Brüche, Beschwerden im Bauchbereich und Atemnot.
Alles dringende Notfälle? "Für den Patienten, der sich bei uns vorstellt, schon. Der Patient hat Sorgen, Beschwerden, ein medizinisches Problem und weiß sich nicht zu helfen", zeigt Gondert Verständnis.
Doch einer Großzahl seiner Patienten könnte auch in Bereitschaftspraxen geholfen und die Notaufnahmen so entlastet werden. Als Wegweiser dorthin dient die 116 117.
Der telefonische Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung vermittelt unter anderem auch Hausbesuche. Wer trotzdem die Notaufnahme aufsucht, muss mit langen Wartezeiten rechnen.
"Wir machen eine medizinische Ersteinschätzung und je nach Dringlichkeit ergeben sich unterschiedliche Kategorien, in welcher Zeit ein Patient gesehen werden muss", erklärt Markus Gondert, der einen weiteren Anstieg der Zahlen in den nächsten Jahren sieht. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir auch über das Älterwerden der Bevölkerung einen weiteren Zufluss an Patienten bekommen werden", sagt er.
Deshalb müssten jetzt schon die Strukturen angepasst werden. Gondert: "Das bedeutet nicht nur mehr auf die Notfallmedizin spezialisiertes ärztliches und pflegerisches Personal. Wir müssen auch unsere Raumplanung, unsere Ressourcen optimieren."
Zudem müsse es Kooperationen geben, die dafür sorgen, dass die weniger dringenden Fälle direkt im ambulanten Bereich behandelt würden und gar nicht erst in die Notaufnahme kommen.
Fristen oft nicht zu halten
In Sachsen muss das ersteintreffende Rettungsmittel innerhalb von zwölf Minuten beim Patienten sein.
In 95 Prozent der Fälle muss diese Zeit eingehalten werden. Doch die Realität sieht anders aus. Keiner der elf Rettungswachenbereiche in Sachsen schafft diese Quote.
Anhand einer Kleinen Anfrage im Sächsischen Landtag wird deutlich, den besten Schnitt im Vorjahr erzielten der Rettungszweckverband Südwestsachsen mit 89 bis 90 Prozent und Dresden mit 85 bis 88 Prozent.
Schlusslicht waren der Landkreis Leipzig mit nur 60 bis 68 Prozent und Leipzig mit 66 bis 70 Prozent.
Die Ursachen dafür seien vielseitig, meint die Stadt Leipzig. "Das System der Notfallrettung ist davon geprägt, dass ein wesentlicher Anteil unserer Patienten (ca. 40 bis 60 Prozent) grundsätzlich von anderen Systemen versorgt werden müsste, d. h. es liegt nach Indikation der Notfallrettung kein lebensbedrohlicher Zustand vor", heißt es auf Nachfrage.
Zudem seien die Bedarfszahlen aufgrund der langen Vorlaufzeiten bis zur Umsetzung schon wieder veraltet und ein "enormer Fachkräftemangel und deutlich steigende Lieferzeiten bei Fahrzeugen und Geräten verhindern zeitnahe Aufwüchse".
Ehrenamtler werden knapp
Nicht minder prekär ist die Situation von Rettungsdiensten, die auf ehrenamtliche Helfer angewiesen sind. "Es wird von Jahr zu Jahr schwieriger", sagt Sebastian Knabe (31), Geschäftsführer des Landesverbands Sachsen der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG).
So seien die 18 DLRG-Wachstationen an Badestellen zwar "bedarfsdeckend" besetzt. Doch Krankheit, Urlaube oder Freizeitvorhaben der Wasserretter seien da nicht einkalkuliert.
Als Ursachen sieht er unter anderem die "fehlende gesellschaftliche Anerkennung für das Ehrenamt" und dass inzwischen die Prioritäten der Menschen eher beim Eigen- statt beim Gemeinwohl liegen würden. Ehrenamt koste schließlich viel Zeit.
Umso wichtiger wäre ihm eine größere Wertschätzung von staatlicher Seite - "Stichwort Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeit zur Rentenanwartschaft, Bildungsurlaub oder die Übernahme von Verdienstausfallkosten", zählt Knabe auf.
Zumindest letzteres könnte mit der Novellierung des Sächsischen Gesetzes über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz künftig auch für den Wasserrettungsdienst geregelt werden.
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