Staatskanzlei-Chef Andreas Handschuh im Interview: "Wir müssen und werden jetzt ins Machen kommen"
Dresden - Gut 100 Tage ist die schwarz-rote Minderheitsregierung in Sachsen jetzt im Amt. Ernüchterung überschattet ihren Start. Es herrscht Ebbe in der Staatskasse. Es gibt nicht mehr viel zu verteilen. Gleichzeitig besteht Handlungsdruck. Aber woher sollen im Landtag die fehlenden Stimmen kommen für Veränderungen, die die Regierung anstoßen will? Andreas Handschuh (50, parteilos) spielt als neuer Chef der Staatskanzlei eine Schlüsselrolle im Kampf um Mehrheiten, Macht und Moneten. Im Interview mit TAG24 sprach er über seine Aufgaben und Ziele.

TAG24: Herr Handschuh, gestatten Sie mir bitte zuallererst eine private Frage. Im politischen Alltag fällt ins Auge, dass Sie anders als die meisten Politiker stets Fliege statt Krawatte zum Hemd tragen. Könnte ich Ihnen mit einer Krawatte als Präsent überhaupt eine Freude machen?
Andreas Handschuh: Aber ja. Zu manchen Anlässen oder Anzügen kann man keine Fliegen tragen. Ich bin lange Zeit an der Bergakademie in Freiberg tätig gewesen und dort auch in die Gemeinschaft der Bergleute aufgenommen worden. Zum Bergmannshabit gehört natürlich eine schwarze Krawatte.
TAG24: Binden Sie ihre Fliegen selbst?
Andreas Handschuh: Ja. Sie sind alle handgebunden. Deswegen nennt man sie korrekterweise auch Schleife.
Staatskanzlei-Chef: "Wir müssen und werden jetzt ins Machen kommen"

TAG24: Sie haben bereits die Bergakademie erwähnt. Sie waren dort viele Jahre Kanzler. Ist die Führung der Staatskanzlei damit vergleichbar?
Andreas Handschuh: Ja und Nein. Der Wissenschaft ist der Diskurs immanent. Als Kanzler hatte ich da zuzuhören, zu moderieren und zu steuern. Diese Steuerungsfunktion habe ich auch in der Staatskanzlei inne. Allerdings besteht hier meine primäre Aufgabe darin, mitzuwirken, dass für unsere Minderheitsregierung Mehrheiten erreicht werden. Ich muss also andere davon überzeugen, dass unsere Vorhaben richtig sind. Dazu gehört es, Diskurse zu führen und offen zu sein für Argumente und Positionen. Am Ende dieser Prozesse sind dann Entscheidungen zu treffen. Es geht darum, die Steuerungsfähigkeit des Staates sicherzustellen und verloren gegangenes Vertrauen der Unternehmen und Bürger in den Staat zurückzugewinnen.
TAG24: Zu ihrem Zuständigkeitsbereich gehören Verwaltungs- und Funktionalreformen. Werden Sie ihre Arbeit auf diesem Gebiet mit Zuhören beginnen?
Andreas Handschuh: Ich glaube, es ist da genug zu- und angehört worden. Die Problemfelder sind identifiziert. Wir müssen und werden jetzt ins Machen kommen. Die Überregulierung, die in vielen Bereichen stattgefunden hat, muss auf ein Mindestmaß reduziert werden. Der Anfang ist gemacht mit der Vereinfachung von Normen für neue Gesetze, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften. Als Nächstes wollen wir die Planungsverfahren für Infrastrukturmaßnahmen signifikant vereinfachen und verkürzen. Die ersten Gesetzesentwürfe dazu sind abgestimmt mit dem Infrastruktur- und dem Umweltministerium. Sie sollen noch im Frühjahr in den Landtag eingebracht werden.
Sachsen hinkt bei Dauer von Asylverfahren deutlich hinterher

TAG24: Bitte nennen Sie Beispiele, wo Sie konkret ansetzen werden.
Andreas Handschuh: Zum Beispiel bei der Umweltverträglichkeitsprüfung im Zusammenhang mit Infrastrukturprojekten. Das ist ein wichtiges Thema. Aber es ist abzuwägen zwischen dem staatlichen Interesse und den Trägern öffentlicher Belange. Das wollen wir wieder in Einklang bringen. Oder betrachten wir die Dauer von Asylverfahren. Da fällt auf, dass Sachsen mit 18,5 Monaten weit hinter der Spitzengruppe von rund sechs Monaten zurückbleibt. Hier hat das Justizministerium erste Maßnahmen angeschoben. Generell liegt die Dauer von Verfahren nicht nur an den Gesetzen, sondern auch an unseren Strukturen. Darüber hinaus nutzen wir die Möglichkeiten der Digitalisierung noch zu wenig. Da gilt es, nicht alles selbst zu entwickeln, sondern auch Dinge von anderen Ländern zu übernehmen.
TAG24: Gut, ich nehme mit, dass keine Behörde wackelt ...
Andreas Handschuh: Angesichts der schwierigen Haushaltslage müssen wir uns als Freistaat fragen, ob die Strukturen, Behörden und Einrichtungen, die wir uns gegeben haben, noch zeitgemäß sind. Ich meine, wir müssen zu strukturellen Veränderungen und Vereinfachungen kommen.
Gesamter Maßnahmen-Prozess soll noch im März starten

TAG24: Werden Sie externe Berater engagieren, um diese Veränderungen herbeizuführen?
Andreas Handschuh: Wir machen das aus der Staatskanzlei heraus und beraten das gemeinsam in kleinen Kreisen mit Vertretern aus den relevanten Ressorts. Externe Sachverständige beraten uns konkret bei bestimmten Themen – wir wollen aber kein Beratungsunternehmen zur Aufgabenkritik beauftragen.
TAG24: Wie viel Zeit haben Sie sich gegeben für die Umsetzung dieser Maßnahmen?
Andreas Handschuh: Die interne Aufgabenkritik beschäftigt uns schon lange. Viele haben daran mitgearbeitet. Wir wissen, wo uns der Schuh drückt. Es geht nun darum, die Maßnahmen in den Ressorts abzustimmen und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitzunehmen. Sie sind motiviert und bereit für Veränderungen, da bin ich mir sicher. Wir werden uns mit den Personalvertretungen abstimmen. Der gesamte Prozess beginnt noch im März und soll schnellstmöglich abgeschlossen sein.
Staatsverwaltung will keine Mitarbeiter auf die Straße setzen

TAG24: Die Opposition kritisierte in der Vergangenheit immer wieder, dass der Personalbestand in der Staatsverwaltung zuletzt stark angewachsen ist.
Andreas Handschuh: Ich bin sehr froh darüber, dass es keinen Personalaufwuchs im Regierungsentwurf des Doppelhaushaltes gibt. Wir haben sogar einen leichten Rückgang an Personalstellen. Das soll auch ein Signal sein. Es wird in bestimmten Bereichen einen Personalabbau geben. Wir werden aber niemanden auf die Straße setzen, sondern Personal verlagern. Denn gleichzeitig brauchen wir es für viele andere Aufgaben, zum Beispiel, um die Digitalisierung voranzubringen. Klar ist auch: Wegen der demografischen Entwicklung werden bis 2030 rund 15.000 Landesbedienstete in den Ruhestand eintreten. Bei der Wiederbesetzung müssen wir Prioritäten setzen. Die konsumtiven Ausgaben - und hier sind die Personalausgaben der größte Posten - müssen schrumpfen.
TAG24: Im historischen Gebäude der Staatskanzlei herrscht ein Sanierungsstau, heißt es. Etwa 50 Millionen Euro würde es kosten, das Haus zu modernisieren. Geht man das Projekt an?
Andreas Handschuh: Die dringend notwendige Gesamtsanierung wäre noch teurer. Angesichts der Haushaltslage ist sie auch nicht darstellbar. Das Gebäude wird mit kleineren Maßnahmen funktionsfähig gehalten werden bei ununterbrochener Nutzung. Das ist nicht optimal, aber wir wollen damit unseren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten.
Privat schraubt Handschuh am alten Motorrad

Andreas Handschuh (50) kam in Zschopau zur Welt. Sein Vater legte ihm ein Faible für den Motorrad-Sport in die Wiege. Nach dem Abitur entschied sich Handschuh für ein Studium der Rechtswissenschaften, Volkswirtschaftslehre und Mineralogie an der Uni Leipzig.
Der Verwaltungsjurist war Kanzler der Bergakademie Freiberg und der TU Dresden, bevor er 2022 Staatssekretär im Ministerium Wissenschaft, Kultur und Tourismus und 2024 Chef der Staatskanzlei wurde.
Als Mitglied der Staatsregierung trägt der Staatssekretär auch Verantwortung für Bundes- und Europaangelegenheiten.
Handschuh hat drei Kinder. In seiner Freizeit schraubt er gern an einem alten Motorrad der Marke DKW KS 200 (Baujahr 1938). Die Maschine stammt aus der Produktion des DKW-Stammwerks in Zschopau.
Titelfoto: Steffen Füssel