So überstanden Sachsens Familien-Unternehmen die Planwirtschaft
Dresden - Am heutigen Dienstag vor genau 50 Jahren, am 8. Februar 1972, trat das Politbüro der SED eine Enteignungs-Welle los. Rund 11.800 private und halbstaatliche Firmen in der DDR sollten sich in volkseigene Betriebe verwandeln.
Die Obrigkeit raubte Familien-Firmen ihre traditionsreichen Namen. Nach der Wende schlossen viele für immer ihre Türen.
Doch mancher findige Familien-Unternehmer manövrierte sein Geschäft geschickt durch die Planwirtschaft, kaufte den eigenen Betrieb nach der Wende von der Treuhand zurück und startete neu durch.
Ein Uhrmacher aus der Sächsischen Schweiz, eine erzgebirgische Engel-Manufaktur und ein Leipziger Klavier-Bauer zeigen, wie sie sich bis heute behaupten konnten.
Wendt & Kühn: Wie ein Engelmacher den guten Namen rettete
Wenn Engel der Enteignung trotzen: Der Name "Wendt & Kühn" steht für mehr als hundert Jahre Tradition. Dabei durfte der Familienbetrieb aus Grünhainichen im Erzgebirge diesen Namen von 1972 bis zur Wende gar nicht führen. Doch die Kunsthandwerker verteidigten ihre Arbeit und ihren Ruf.
Am 28. April 1972, einem Freitag, bestellte Hans Wendt (1930-2008) seine rund 80 Mitarbeiter ins Kulturhaus Grünhainichen. Dort überbrachte er ihnen die Hiobs-Botschaft: Die Manufaktur "Wendt & Kühn" sollte den Händen der Gründerfamilie entrissen werden und als volkseigener Betrieb der staatlichen Kontrolle unterstehen.
Ein harter Schlag für Hans Wendt, der das 1915 gegründete Unternehmen in zweiter Generation leitete.
Er blieb nach der Verstaatlichung zwar Betriebsdirektor. Doch er hatte Angst, die Familien-Firma gänzlich zu verlieren, erinnert sich seine Tochter Claudia Baer (55), die heutige Geschäftsführerin: "Er hat mehrfach am Freitag seinen Schreibtisch ausgeräumt, weil er damit rechnete, am Montag seinen Job nicht mehr zu haben."
Doch unbeirrt verteidigte er die Tradition: Als die Firma umbenannt werden sollte, schlug Hans Wendt den pfiffigen Namen "Werk & Kunst" vor - und rettete damit die Initialen "W & K". Als die Obrigkeit auf die Idee kam, die Handarbeit durch Maschinen zu ersetzen, protestierte er.
"Mein Vater hat davor gewarnt, da die Produkte damit ihren Charakter verlieren würden", so Claudia Baer. Das hatte Gewicht: Zu groß war die Angst, dass die "Wendt & Kühn"-Figuren ihren Ruf verlieren könnten.
1990 war es endlich so weit: Hans Wendt konnte sein eigenes Unternehmen zurückkaufen. "Für meinen Vater war das eine Genugtuung. Er hat die Möglichkeit mit Leidenschaft beim Schopf ergriffen."
Heute hat "Wendt & Kühn" 175 Mitarbeiter, arbeitet mit Händlern in 25 Ländern zusammen - und setzt noch immer auf Handarbeit statt Fließband-Produktion.
Hans-Jürgen Mühle aus Glashütte: Vom Unternehmer zum sozialistischen Betriebsdirektor
"Am Vortag war ich noch der böse Kapitalist mit 54 Mitarbeitern - und über Nacht war ich plötzlich Direktor einer sozialistischen Produktion." Heute kann Hans-Jürgen Mühle (80) darüber lachen.
Denn in mittlerweile sechster Generation wird das Uhrmacher-Handwerk seiner Familie in der Glashütter Manufaktur "Nautische Instrumente Mühle" erfolgreich fortgeführt.
Der Tag, der für ihn alles änderte, war der 17. April 1972. Erst zwei Jahre zuvor hatte Hans-Jürgen Mühle nach dem Tod von Vater Hans dessen Unternehmen "Ing. Hans Mühle" übernommen - den einzigen Hersteller von Zeigerwerken für Druck- und Temperaturmessgeräte in Ostdeutschland.
"Wollte Staats-Chef Ulbricht noch den Sozialismus mit dem Mittelstand aufbauen, so setzte Honecker auf komplette Verstaatlichung", erinnert sich der Senior-Chef.
"Wir bekamen vom Betriebswirtschaftsrat Dresden das Angebot, den Betrieb zu verkaufen. Nur dann konnte ich mich für die Geschäftsführung bewerben."
Als dreifacher Familienvater hatte Mühle nicht wirklich eine Wahl. "Es wurde eine Inventur gemacht und der Betrieb mit 135.000 DDR-Mark bewertet", erzählt Mühle. "Das Geld kam auf ein Sperrkonto ohne Zinsen, von dem ich jährlich 5000 DDR-Mark bekam." 27 Jahre wollte sich die DDR für die "Ratenzahlung" Zeit lassen!
Aus dem Familienunternehmen wurde der VEB Feinmechanik Glashütte - und Hans-Jürgen Mühle Direktor. Als 1980 der Betrieb dem Glashütter Uhrenbetrieb (GUB) einverleibt wurde, war Mühle für den weltweiten Vertrieb für Schiffsuhren und Chronometer verantwortlich. Für die Treuhand lenkte er 1990 den Betrieb in neues wirtschaftliches Fahrwasser.
Doch die Wende war ein Neuanfang - Hans-Jürgen Mühle gründete 1994 das Unternehmen "Nautische Instrumente Mühle - Glashütte". Die Anfrage eines Werft-Kunden nach wasserfesten Armbanduhren richtete die Produktion neu aus.
"Heute fertigen wir zu 95 Prozent Armbanduhren, etwa 8000 bis 9000 Uhren pro Jahr, etwa für die Seenotretter. Aus meinen anfangs drei Mitarbeitern sind 66 geworden", sagt Mühle stolz. Sohn Thilo (53) führt seit 2007 das Unternehmen - "ich mach nur noch Führungen. Ich kann ja viel erzählen", schmunzelt der Senior.
Neustart bei Kontostand Null: "Julius Blüthner" verleiht Flügel
Die Leipziger Klavier-Fabrik "Julius Blüthner" gab auf dem Weltmarkt den Ton an, als plötzlich die Enteignung den Erfolg dämpfte.
Sie kämpfte sich durch die folgenden knapp zwanzig Jahre, um nach der Wende wieder von vorne anzufangen.
Auf den "Blüthner"-Flügeln aus Leipzig spielten klassische Komponisten wie Richard Wagner (1813-1883) ebenso wie die Beatles. Eine große Erfolgs-Geschichte - bis 1972 die Enteignung kam. "Bis dahin hat man gehofft, dass es besser wird.
Aber das hat jedes Fünkchen Hoffnung zerstört", erinnert sich der heutige Chef Christian Blüthner (55).
Sein Vater Ingbert Blüthner (85) musste ab 1972 hart kämpfen, um weiter hochwertiges Material zu bekommen und den Spitzenruf zu wahren.
Als die Wende kam, fing "Blüthner" wieder klein an: "Meine Familie hat das Unternehmen zurückgekauft. Wir hatten einen Kontostand von Null", so Christian Blüthner.
Heute ist "Blüthner" erfolgreicher denn je - jährlich verlassen rund 1000 Klaviere das Leipziger Werk.
Titelfoto: Bildmontage: Petra Hornig/Kristin Schmidt/Ralf Seegers