So schlecht steht es um den Wasserhaushalt in der Lausitz: "Wir spüren den Klimawandel"
Senftenberg - Die Niederschläge der vergangenen Tage können nicht darüber hinwegtäuschen: 2022 geht als weiteres Dürrejahr in die Geschichte ein. Nach wie vor herrscht Wasserknappheit in Sachsen. Die stark gefallenen Fluss- und Grundwasserpegel sowie die trockenen Böden legen Zeugnis darüber ab. Die Lausitz trifft der Wassermangel dabei besonders hart. Die einstige Bergbauregion setzt große Hoffnungen auf den Tourismus und die Entwicklung ihres Seenlandes. Jeder Tropfen Wasser wird gebraucht, um die Tagebaurestlöcher zu füllen. Ein Report aus der Flutungszentrale in Senftenberg.
"Ich habe den wohl spannendsten Job Deutschlands, den es derzeit für einen Hydrologen gibt", findet Maik Ulrich. Der 45-Jährige leitet seit knapp einem Jahr die Flutungszentrale der Lausitzer- und Mitteldeutsche Bergbauverwaltungsgesellschaft (LMBV). Die anhaltende Trockenheit stellt ihn fast täglich vor neue Herausforderungen.
"Wir haben enorme Defizite beim Grundwasser und in den Bergbauseen. Langfristig können wir leider keine Entspannung der Lage erwarten. Wir spüren den Klimawandel. Fehlende Niederschläge und der gestiegene Wasserbedarf verschärfen die Situation", stellt Ulrich fest.
In diesem Sommer fiel die Schwarze Elster wieder einmal in ihrem Flussbett trocken. Die Flutung der neuen Seen geriet ins Stocken. Damit wackelt der Zeitplan zum Beispiel für die geplante Vollendung vom Sedlitzer und vom Großräschener See.
Das wiederum versetzt Anwohner und Investoren in Unruhe, die sich vor Ort vom wachsenden Tourismus viel versprechen.
Mutter Natur braucht ihren Wasserhaushalt zurück
Die Lausitz lechzt nach Wasser. Bauern ebenso wie Bergbausanierer. Deren größtes "Kapital" ist gegenwärtig das Grundwasser, das aus den aktiven Tagebauen herausgepumpt wird.
Maik Ulrich und sein Team haben den Wasserhaushalt und -bedarf in der Region zwischen Spree, Schwarze Elster und Neiße im Fokus. Ulrich: "Unsere Hauptaufgabe besteht in der Erschließung maximaler Wassermengen für die Flutung und Nachsorge der Restlöcher der LMBV und die optimale Verteilung durch gezieltes Steuern der Prozesse."
Nicht nur zu diesem Zweck betreibt die LMBV heute dutzende Zu-, Ab- und Überleiter, Brunnen-, Pumpen- und Reinigungsanlagen.
Das Unternehmen hat sich auf die Fahnen geschrieben, nicht nur die geschundene Landschaft zu sanieren. Es will zudem Mutter Natur einen Wasserhaushalt zurückübergeben, der sich weitgehend selbst reguliert.
Braunkohlebergbau drückte den Grundwasserspiegel nach unten
Das hört sich einfach an - ist in der Realität aber ein Mammutprojekt für Generationen. Auf Erfahrungswerte kann man dabei kaum zurückgreifen. Nirgendwo in der Welt hat man in solchen Dimensionen jemals gedacht und gehandelt.
Der Hydrologe erklärt: "Die Braunkohlegewinnung der Vergangenheit griff tief und nachhaltig in den Wasserhaushalt der Region ein." Bis zu 190 Millionen Tonnen Kohle wurden zu DDR-Zeiten jährlich in der Lausitz gefördert.
Damit die Tagebaue "trockene Füße" hatten, mussten gleichzeitig insgesamt 1,2 Milliarden Kubikmeter Wasser gehoben (also abgeleitet) werden. Stellenweise wurde das Grundwasser so bis zu 100 Meter tief abgesenkt.
Der Bergbau drückte den Grundwasserspiegel auf einer Fläche von rund 2000 Quadratkilometern. Durch ihn entstand insgesamt ein Minus von etwa 13 Milliarden Kubikmetern Wasser.
Die LMBV ist seit 1990 zuständig für rund 1300 Quadratkilometer dieser Fläche (Wasserdefizit 7 Mrd. Kubikmeter). "Bis 2019 konnten bereits etwa sechs Milliarden Kubikmeter dieses Defizits aufgefüllt werden", berichtet Maik Ulrich.
"Verteilungskämpfe" ums Wasser: Könnte Berlin austrocknen?
Die Flutungszentrale sammelt sämtliche Messwerte zum Wasser in der Region. Dabei hat sie den aktiven Bergbau ebenso im Blick haben wie die Rekultivierung, die Wassergüte, die Flusspegel sowie die Wasserstände vom Berzdorfer See (bei Görlitz), der Lausitzer Seenkette (zwischen Hoyerswerda und Senftenberg) und der Bergbaufolgeseen südlich des Spreewaldes.
Behörden aus Sachsen, Brandenburg und Berlin sitzen dort mit am Tisch. Gemeinsam betreiben sie das strategische Wasser-Management und bestimmen wöchentlich, welche Speicher wie viel Wasser abgeben an Flüsse, Seen und Kanäle.
Schon jetzt werden hinter verschlossenen Türen "Verteilungskämpfe" ausgetragen, denn es gibt immer weniger nasse "Verhandlungsmasse". So muss inzwischen knallhart abgewogen werden zwischen den Interessen von Talsperrenbetreibern, Binnenschiffern, Fischern oder Touristen.
Das Horror-Szenario schlechthin: Berlin "trocknet" aus, weil die Spree zu wenig Wasser führt.
Wird die Elbe angezapft?
Woher könnte die Lausitz noch mehr Wasser bekommen? Mit dieser Frage beschäftigt sich aktuell eine Studie des Bundesumweltamtes.
Sie soll konkret erörtern, wie Überleiter von der Elbe oder der Oder in das Flussnetz der Region Entspannung bringen könnten und welche Kosten und Risiken mit solchen Transferleistungen verbunden wären.
Diese Ideen sind alle nicht neu. Vorläufige Analysen besagen, dass es bereits enorme Effekte für die Lausitz hätte, wenn die Elbe ihr im Winter und Frühjahr ein Prozent ihres Wassers "spenden" würde.
Das Elbwasser wäre für das sich entwickelnde Seenland mehr als nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Zumal perspektivisch mit dem geplanten Kohleausstieg das Wasserangebot erheblich zurückgehen wird.
Rasche Entscheidungen in der Sache sind allerdings nicht zu erwarten. Die Entscheidung zum Bau solcher "Bypässe" ist ein Politikum von nationaler Tragweite.
Titelfoto: Rainer Weisflog