Sie sind so unauffällig wie gottesfürchtig: Hausbesuch bei den Mormonen
Freiberg - Am heutigen Sonntag vor 175 Jahren gründeten Mormonen in den USA die Stadt Salt Lake City - bis heute Zentrum der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage", wie die Mormonen sich offiziell nennen. Etwa 40.000 Mitglieder hat die Kirche in Deutschland - aber nur zwei Tempel! Einer (der Erste!) steht seit 1985 in Freiberg, ist zuständig für Gläubige aus halb Osteuropa. Ein Ortsbesuch.
Strahlend weiß liegen Tempel und Gemeindehaus an einer Freiberger Ausfallstraße, adrette Blumenbeete zieren den Eingang. Vom Turm grüßt ein vergoldeter Prophet.
Weiß wie der Tempel sind auch die Anzüge der Herren, die hier Dienst tun. Tempelpräsident Ralf Bartsch (74, früher Unternehmensberater) empfängt uns freundlich und erklärt, wie es noch zu DDR-Zeiten zum Bau des Freiberger Tempels kam.
"1968 kam einer der zwölf Apostel unserer Kirche aus den USA nach Görlitz. Er sprach davon, dass wir alles erreichen können", erinnert sich Bartsch. Als junger Mann war er damals dabei - und schwer beeindruckt.
Etwas später, Mitte der Siebziger, war plötzlich politisches Tauwetter angesagt: Die SED-Staatsführung wollte sich nach außen tolerant geben. Trotzdem waren die damals etwa 5000 "DDR-Mormonen" mehr als überrascht, als die Genossen den Bau eines Tempels nicht nur genehmigten, sondern sogar selbst vorschlugen.
In Freiberg gehören die Mormonen längst dazu
"Dies war der erste Tempel hinter dem Eisernen Vorhang", sagt Ralf Bartsch heute noch stolz. Das Einzugsgebiet reicht weit nach Osteuropa, "von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer", wie der Präsident betont.
Und was findet dort denn nun statt? Vor allem "heilige Handlungen", für die "normale" Gemeindehäuser nicht ausreichen. Zum Beispiel Taufen von Verstorbenen, für die aber - natürlich - nicht die Toten selbst, sondern stellvertretend lebende Vertreter anwesend sind.
Mit diesem Ritus soll es Familien ermöglicht werden, auch den Ahnen die Chance auf einen Einzug ins Paradies zu sichern, wie Ralf Bartsch beschreibt. "Blutopfer gibt es hier nicht", lacht er, doch es ist ihm auch ernst damit, ein paar Vorurteile auszuräumen.
Die Vielweiberei, an die viele beim Begriff Mormonen noch immer dächten, sei bereits 1890 abgeschafft worden. In Freiberg sei das mit dem Ausräumen von Vorurteilen aber längst gelungen. "Wir gehören hier einfach dazu", freut sich der Tempelpräsident.
Auch in Dresden gibt es zwei Gemeinden
Auch in Dresden ist das Gemeindehaus der Mormonen längst Teil des Stadtbilds. Seit 1989 steht es gleich am Großen Garten, ein imposanter Bau, ebenfalls weiß.
Handlungen wie in einem Tempel finden hier nicht statt, aber immerhin "normale" Taufen (ab acht Jahren, in einem großen Becken mit "Untertauchen"), Gottesdienste, Jugendarbeit usw.
"Es gibt hier zwei Gemeinden mit jeweils etwa 150 Mitgliedern", erklärt Luka Ortlieb (53). Einer dieser Gemeinden steht er als Bischof vor - im Ehrenamt! Tagsüber arbeitet Ortlieb als Reiseverkehrskaufmann.
Warum er dieses Amt auf Zeit ausübt? "Das Leben in der Kirche gibt mir viel Hoffnung", erklärt Ortlieb. "Es macht mich glücklich zu wissen, dass das Leben mit dem Tod nicht ein Ende hat."
Alkohol & Kaffee sind tabu
Die "Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage", auch "Mormonen" genannt, wurde 1830 in den USA von einem gewissen Joseph Smith gegründet.
Smith zufolge seien ihm erst Gott, der Vater, und Jesus Christus erschienen, später auch ein Prophet. Smith verstand es als seinen Auftrag, die Kirche wieder in der ursprünglichen Form herzustellen, also wie im Neuen Testament beschrieben.
Mormonen glauben z. B., dass Jesus noch nach seiner Auferstehung in Amerika gewirkt und gepredigt hat. Die Gläubigen sind angehalten, weder zu rauchen, noch Alkohol oder Kaffee zu trinken.
Zur Finanzierung der Kirche sollen sie möglichst einen Teil ihres Geldes ("Zehnter") spenden. Weltweit gibt es heute knapp 17 Millionen Mormonen.
Titelfoto: Ralph Kunz