Schwindelerregender Job in Sachsen! Die Baumkletterer im Einsatz
Colditz - Ungewöhnlich warmes Aprilwetter begrüßt Baumpfleger Benjamin Healey (39) und seinen Kollegen Thomas Sydenham (30), als sie mit ihren Transportern vollgepackt mit Werkzeug und Seilen am Schlosspark Colditz (Landkreis Leipzig) ankommen. Die beiden Baumkletterer sollen hier eine alte Kastanie einkürzen. Dabei erzählen sie von ihrem außergewöhnlichen Beruf, den Hürden und der Begeisterung für die holzigen Riesen.
"Das Wetter habe ich extra bestellt", sagt Benjamin zufrieden. Der 39-Jährige ist groß gewachsen, muskulös und mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen. In London geboren, wächst Benjamin, kurz Ben, in Wales auf, lernt dort die Bäume kennen, wie er selbst sagt.
Mit Anfang 20 gerät er in einen schweren Motorradunfall und kann laut dem Arzt nie wieder laufen. "Doch so was lasse ich mir nicht sagen. Ich wollte ihm und mir das Gegenteil beweisen, immerhin kenne ich meinen Körper besser als er."
Wieder gesund arbeitet er in einem Park, bekommt dabei vom örtlichen Gartenmeister einen ersten Einblick in die Pflanzenwelt und merkt, dass in ihm die Neugier aufsteigt. "Ich habe ein natürliches Interesse für Bäume entwickelt", erinnert sich Ben. "Dasselbe, das ich heute auch noch habe."
Er entscheidet sich 2006 dazu, am Sparsholt College in Winchester (England) Arboristik (Lehre von Bäumen) zu studieren und so viel wie möglich über Bäume und ihren Erhalt zu lernen.
Wegen der Liebe ließ sich Baumkletterer Ben in Sachsen nieder
Danach arbeitet der reiselustige Ben auf der ganzen Welt, steigt in Australien auf ausgebrannte 80-Meter-Eukalyptusbäume, lebt fünf Jahre in Schweden und sechs Monate in Südamerika. "Wo Bäume sind, ist Arbeit", fasst der 39-Jährige zusammen.
Nach zehn Jahren als Subunternehmer beschließt Ben 2018, sesshaft zu werden, gründet seine Firma ATG Klettern. Grund ist wie so oft die Liebe: "Ich habe meine Frau in Dresden kennengelernt", schwärmt er und erzählt, dass ihm die Entscheidung, hier zu bleiben, leichtgefallen sei.
"Meine Frau arbeitet als Gymnasiallehrerin, hat schon eine Tochter und ihre ganze Familie wohnt hier - und ich habe aus meinem Auto gelebt", sagt er und lacht herzlich. Auf die Frage nach Fernweh erklärt Ben: "Das war ein tolles Leben, aber alles hat seine Zeit und rückblickend war es eine sehr gute Entscheidung."
Seitdem wohnt er mit seiner Familie in Großweitzschen, klettert vorrangig auf sächsische Bäume und ist froh, kein Handtuch mehr auf dem Autoboden trocknen zu müssen.
Neue Baumpfleger werden ständig gesucht
Heute verschneiden Ben und Thomas, die sich 2014 über Thomas’ Bruder (ebenfalls Baumpfleger) bei den Aufräumarbeiten nach Sturm Ela in Düsseldorf kennengelernt haben, in Colditz eine etwa 25 Meter hohe Kastanie. Der von Fäule und Bakterien befallene Baum ist nicht mehr standsicher und steht in einer Windschneise. Gefährlich für die umliegenden Kleingärten.
Um die Windlast rauszunehmen und der sogenannten Sekundärkrone eine Chance zu geben, sollen die Experten die Äste um bis zu sieben Meter einkürzen. "In der Vorbereitung haben wir uns den Baum aus allen Perspektiven angeschaut und einen guten Ankerpunkt besprochen", erklärt Thomas, während Ben gekonnt ein Wurfseil auf den großen Baum wirft und Kletterseile nachzieht. "Der Baum sieht von unten aber oft anders aus als von oben", ergänzt Thomas. Das Duo muss also im ständigen Austausch stehen, manchmal auch ohne Worte.
Ben steigt auf den Baum, klemmt sich nur am Seil hängend in die Krone und schmeißt die Kettensäge an. Die abgesägten Äste knacken laut, sausen nach unten und landen - durch eine Bremsvorrichtung verlangsamt - mit einem dumpfen Knall auf dem Boden. Baumpflege ist keine saisonale Arbeit, sondern ein ganzjähriger Prozess. "Im Winter ist Fällsaison und im Sommer passieren meist Pflegearbeiten, Totholzpflege und Verkehrssicherung", erklärt Thomas. "Aber es kommen jedes Jahr neue Regelungen dazu", ergänzt Ben.
Neue - und gute - Baumpfleger sind eher spärlich zu finden. Ben sucht stets neue Leute, erzählt er, auch weil die Baumwelt seiner Meinung nach noch viel Potenzial birgt. "Aber das Problem steht bei den meisten zwischen den Beinen und das ist das Ego", sagt er. Dabei sei der Job nur 30 Prozent "Macho-Männer-Arbeit", wie Ben sie nennt, und 70 Prozent Aufräumen.
Er sucht Leute, die statt roher Gewalt Interesse und Köpfchen mitbringen. Immerhin hat er diesen Sommer noch etwa 2000 Bäume vor sich, die er erklimmen und pflegen muss.
Titelfoto: Norbert Neumann