Schwierige Zeiten für Kretschmer: Vier Baustellen von Sachsens Regierungschef
Dresden - In der vergangenen Woche haben sich die Ereignisse in den Zentren der Macht an Elbe und Spree überschlagen.
Nach dem Aus der Sondierungen für eine Brombeer-Koalition und der Ankündigung von Neuwahlen für die Bundesregierung müssen sich die politischen Parteien und Lager neu sortieren.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (49, CDU) steht dabei vor besonderen Herausforderungen - und vier große Baustellen.
Eine Analyse.
1. Die Koalitionsbildung drängt
Das erklärte Ziel von Michael Kretschmer ist eine "stabile Regierung für Sachsen".
Allerdings ist die nicht in Sicht. Nachdem das Schmieden eines Regierungsbündnisses von CDU, BSW und SPD gescheitert ist, gibt es für ihn drei Optionen: eine Minderheitsregierung (CDU/SPD), die Fortsetzung der Kenia-Koalition (deren Tolerierung die Linksfraktion bis zum Beschluss eines Haushaltes angekündigt hat) oder eine Regierung von CDU und AfD.
Mit wem der MP als nächstes Gespräche führt, ist offen. Fest steht: Die Zeit drängt. Laut sächsischer Verfassung (Artikel 60) muss der Ministerpräsident innerhalb von vier Monaten nach der ersten Zusammenkunft des neuen Landtages (fand am 1. Oktober statt) gewählt werden - also bis spätestens 1. Februar 2025.
Der rechnerisch letzte Tag der Frist fällt 2025 auf einen Sonnabend. In diesem Fall sieht das Bürgerliche Gesetzbuch eine Fristverlängerung bis zum nächsten Werktag (3. Februar 2025) vor. Am darauffolgenden Tag kann dann das Kabinett vereidigt werden.
Wenn es am 4. Februar 2025 keine neue Regierung gibt, wird der Landtag aufgelöst. Binnen 60 Tagen muss es dann Neuwahlen geben.
2. Das Murren an der Parteibasis
Michael Kretschmers Politik der "Brandmauer gegenüber der AfD" - welche den Vorgaben der Bundespartei entspricht - wird von der sächsischen CDU-Parteibasis nicht mehr zu 100 Prozent getragen.
Das wird im Austausch mit dem beliebten und hochgeschätzten MP so offen nicht kommuniziert. Doch in Hinterzimmern hört man vertraulich Murren und Knurren - besonders von Ortsverbänden im ländlich geprägten Raum.
Politische Akteure (und Anhänger) der Alternative sind inzwischen zahlreich in Vertretungen, Verwaltungen und Ämtern anzutreffen. Jenseits der Landtagsflure sind Lokalpolitiker, Bürgermeister und Landräte seit Monaten und Jahren damit konfrontiert, tagtäglich gangbare Wege zu suchen und zu finden, um Alltagsprobleme lösen zu können.
Am rechten Rand der christdemokratischen Partei gab es da in konservativen Positionen Annäherungen an die Alternative. Die AfD ihrerseits hat dazugelernt.
Sie gibt sich auf dem offiziellen politischen Parkett heute smarter und demokratischer als noch vor Jahren.
3. Spagat in der Bundespolitik
Michael Kretschmer muss sich täglich im Spagat zwischen Landes- und Bundespolitik üben.
Der MP ist ein Lautsprecher. Er weicht keinem Mikrofon, keiner Kamera und keiner unbequemen Frage aus. Außerhalb Sachsens nimmt man ihn wahr als konservative Stimme des Ostens, die auch eigene Meinungen jenseits vom Mainstream standhaft vertritt.
Der diplomatische Kraftakt, den der gebürtige Görlitzer Kretschmer außerdem auf der bundespolitischen Ebene zu stemmen hat, trägt eine innerparteiliche Duftnote. Der kritische Kretschmer darf bei allem, was er tut, nicht den CDU-Bundesvorsitzenden und Kanzlerkandidaten Friedrich Merz (68) beschädigen.
Sondern er muss mit Merz auf einer Linie bleiben und ihm Rückenwind geben für die anstehende Neuwahl des Bundestages. Denn da will die CDU wieder stärkste Kraft werden, um die SPD an der Spitze der Bundesregierung ablösen zu können.
4. Stimmungslage in der Wirtschaft und im Volk
Viele Sachsen neigen dazu, die Lage sehr kritisch bis pessimistisch einzuschätzen. Die diversen weltweiten Krisen und Kriege der Gegenwart schlagen darum hierzulande zweifelsohne einer Vielzahl von Menschen besonders aufs Gemüt.
Laut "Glücksatlas 2024" sank die Zufriedenheit der Menschen im Freistaat jetzt auf einen Wert von 6,87 auf einer Skala von 1 bis 10 (minus 0,05 Punkte im Vergleich zu 2023). Vielerorts wird beklagt, dass es eine Spaltung der Gesellschaft gibt. Es herrscht alles andere als Einigkeit darüber, wie die anstehenden sozialen, ökologischen und demografischen Herausforderungen hierzulande gelöst werden sollen.
Die aktuelle Talfahrt der heimischen Wirtschaft sowie die Ankündigungen großer Konzerne, Deutschland zu verlassen, befeuert die schlechte Stimmung.
Die Bremsfahrt von VW & Co. trifft viele Bewohner des Autolandes Sachsen wie ein Schlag in die Magengrube. Wie soll ein Ministerpräsident da alleine Optimismus und Zuversicht verbreiten?
Titelfoto: Robert Michael/dpa