Sagenhaft! Professor weiß, warum Sachsen so reich an Mythen ist
Chemnitz - Sachsens Geschichte ist sagenhaft vielfältig; Sachsens Sagenwelt nicht minder. Am Montag startet eine zwölfteilige Serie, die "Sagen und Mythen" unserer Heimat auf den Grund geht. Zum Auftakt ordnet Literaturprofessor Christoph Fasbender (56) den Sagen-Begriff ein. Der Wissenschaftler lehrt an der TU Chemnitz. Mit ihm sprach TAG24-Redakteur Torsten Hilscher.
TAG24: Herr Prof. Fasbender, was ist eine Sage?
Fasbender: Als die Gebrüder Grimm zwischen 1810 und 1820 die Märchen sammelten, da haben sie zunächst vieles beiseite gelegt, was ihnen nicht (als) Märchen erschien. Darüber ist den Brüdern der Begriff Sage zugewachsen.
TAG24: Die haben sie extra herausgegeben.
Fasbender: Ja, nach den Märchen. Denn die sind nicht so einheitlich in Form und Rahmung haben, also "Es war einmal ..." und "Wenn sie nicht gestorben sind". Die Sagen waren ein "Kessel Buntes", der sich zunächst gar nicht so gut verkaufte.
TAG24: Inwiefern ein "Kessel Buntes"?
Fasbender: Es sind religiöse Sagen, es sind rein weltliche. Wir haben das riesige Areal der Bergbausagen. Im Grunde ein bunter, heterogener Feldblumenstrauß.
TAG24: Wie viele Sagen haben wir denn in Sachsen?
Fasbender: Oh ... Das "Sächsische Sagenbuch" aus der Mitte des 19. Jahrhunderts umfasst genau 1000. Es hätten aber auch gut und gern 10.000 sein können, so reichhaltig sieht es in Sachsen aus. Manche sind Jahrhunderte alt, manche entstehen erst um Achtzehnhundert. Manche sind 1830/40 schlicht erdichtet worden.
Was macht eine Sage aus, Herr Professor Fasbender?
TAG24: Was ist das Wesen einer Sage?
Fasbender: Wir müssen uns klar machen, dass das alles geglaubt wurde! Die allermeisten versuchen den Ursprung von etwas zu erklären. Beispiel: eine große Grube vor Freiberg. Da sind die Leute damals hin und fragten sich, wie das zustande kommt. Sie hatten die Idee von einer belebten, arbeitenden Natur, die uns etwas sagen möchte. Warum heißt der Berg so, diese Steinformation so.
TAG24: Eine Art Religion.
Fasbender: Keine Ersatzreligion. Vielmehr war es etwas für sie, das bestätigt, dass Gott in der Welt ist. Dass die Welt nicht sinnlos ist, dass sie zu uns spricht. Dass es eine Interaktion zwischen uns und den Dingen gibt. Es waren für die Menschen damals Deutungsversuche. Sie bauten sich eine Theorie.
TAG24: Was es ja immer noch gibt.
Fasbender: So ist das. Man sucht einfache Erklärungen, will herausragende Kultur- und Naturerscheinungen irgendwie einordnen.
TAG24: Zu den praktischen Dingen: Sie bereiten einen sächsischen Sagenweg vor?
Fasbender: Ja, zunächst im Vogtland. Am Projekt "Kulturweg der Vögte" haben wir bereits 2016 bis 2020 gearbeitet. Nun erwarten wir sehnlichst die Anschlussförderung. Ziel war und ist, die Gegend und auch die nahe tschechische Nachbarschaft samt Thüringen touristisch interessant zu machen: mit Blick auf die Vergangenheit. Sagen bieten da gute Ankerpunkte. Zum Beispiel über eine alte Kirche oder ein verlassenes Kloster.
Titelfoto: Uwe Meinhold