Sächsisches Bergsteigen soll Kulturerbe werden
Als die UNESCO 2019 den Alpinismus auf Antrag von Frankreich, Italien und der Schweiz in die Menschheitsliste der bewahrenswerten Traditionen eingetragen hat, dürften sich einige sächsische Bergsteiger die Augen gerieben haben.
Zwar betonen auch die Alpinisten die Werte des Miteinanders und des verantwortungsvollen Umgangs mit der Natur. Doch ein so streng gelebtes Regelwerk wie für die Sachsen ist dort nicht verbindlich.
Schon die philosophische Herangehensweise unterscheidet sich. Während Alpinisten den Berg bezwingen wollen, möchten die Sachsen ihren Fels respektvoll wie eine Braut erobern.
Für erstere ist die Erstürmung des Gipfels das Ziel, in der sächsischen Tradition der Weg dorthin. Und der kann durchaus etwas länger dauern.
Selbstbeschränkung und Verantwortung
So schreibt der Sächsische Bergsteigerbund (SBB) in die Bewerbung, die er federführend für die weit gefächerte sächsische Bergsteigerszene initiierte: "Selbstbeschränkung und Eigenverantwortung nehmen einen hohen Stellenwert ein. Einen Kletterweg (noch) nicht zu klettern und bis zur Durchsteigung mit Geduld und Demut einen weiteren persönlichen Reifungsprozess zu durchlaufen, hat beim Sächsischen Bergsteigen einen besonderen Wert."
Diese Tradition ist auch den Besonderheiten unseres größten Klettergebietes geschuldet.
Da der Elbsandstein stark erosionsgefährdet ist, muss sich der Bergsteiger besonders felsschonend verhalten. So wurde die Sächsische Schweiz vor etwa 130 Jahren die "Wiege des Freikletterns".
Die 1913 erstmals veröffentlichten Regeln, die nur sanft angepasst noch heute verbindlich sind, formulierte der aus dem Vogtland stammende Oscar Schuster.
Ein Überblick
Die wichtigsten:
- Künstliche Hilfsmittel sind untersagt, der Kletterer darf ausschließlich natürliche Griffe und Tritte nutzen und sich mit der eigenen Körperkraft fortbewegen.
- Seile, Schlingen, Karabiner etc. dürfen ausschließlich zur Sicherung verwendet werden.
- Die gegebene Felsoberfläche darf nicht verändert werden.
- Sicherungsringe dürfen nur vom Erstbegeher eines Kletterwegs angebracht werden.
Darüber hinaus ist die Verwendung von Magnesia und Klemmkeilen untersagt, ebenfalls das Klettern am feuchten Fels. Das Seil für den Nachsteiger sollte nicht über den Felsen schleifen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Natur nicht geschädigt wird.
Thomas Böhmer, SBB-Vorstand für Ausbildung: "Daher lernen die sächsischen Bergsteiger seit Generationen zunächst nicht etwa das Einschlagen oder Bohren von Sicherungen, sondern das Knoten von Schlingen, die in einen Felsriss platziert werden. Auch die Jüngeren müssen den Berg aus eigener Kraft bewältigen und dürfen nicht am Seil hochklettern."
Der SBB ist bestrebt, die Ausbildungskurse zu erweitern.
Tourismus und Naturschutz
Bevor der Bergsteigerbund 2021 die Bewerbung für die Kulturerbe-Liste anging, führte er unter seinen 16.000 Mitgliedern eine Umfrage durch. Die Resonanz war überwiegend positiv und begeistert.
Einige kritische Stimmen erwähnten die Gefahr der Kommerzialisierung. Denn ein Massentourismus wie an anderen Orten, wo Seilschaften vor dem Berg Schlange stehen müssen, ist im Nationalpark schon aus Naturschutzgründen nicht gewünscht.
Mit der Eintragung auf die nationale Liste ist nicht vor 2025 zu rechnen. Thomas Böhmer: "Durch die Bewerbung und möglicherweise den Titel versprechen wir uns insbesondere mehr Aufmerksamkeit für unsere Belange. Eines unserer wichtigsten Anliegen ist es, die Ausübung des traditionellen Sportes auch in Zukunft in der bisherigen Art zu ermöglichen und die sächsische Bergsteigerkultur weiter zu pflegen."
Und falls es doch nicht für die höchsten Weihen als Menschheitserbe genügt, darf man sich damit trösten, dass große Teile der weltweiten Kletterszene die Natur schonenden Regeln aus Sachsen ohnehin weitgehend übernommen und verinnerlicht hat. Auch Bergsteigerchöre, das Boofen und die Tradition der Gipfelbücher wurde hierzulande kultiviert und zur Blüte gebracht.
Darum schützt die UNESCO immaterielles Kulturerbe
Im Gegensatz zu den unbeweglichen Bauten oder Landschaften der Welterbestätten stehen beim immateriellen Kulturerbe Kulturformen im Mittelpunkt, die von praktischem Wissen und Können der Menschen getragen werden.
Dies reicht von Kunst- und Handwerkstechniken über mündliche Überlieferungen bis hin zu speziellen Aufführungspraktiken. Es repräsentiert eine lebendige Alltagskultur, die von Generation zu Generation weitergegeben wird.
In die repräsentative UNESCO-Liste der Menschheit hat es aus Sachsen bisher die Genossenschaftsidee und (gemeinsam mit anderen Ländern) der Orgelbau geschafft.
Auf der nationalen Liste sind derzeit zwölf lebendige sächsische Traditionen eingetragen, unter anderem die Bergparaden, Bräuche der Sorben, der vogtländische Musikinstrumentenbau, die Knabenchöre und das Singen des Steigerliedes.
Titelfoto: Bildmontage: Helmut Schulze, Andreas Vitting