Sächsisches Bergsteigen soll Kulturerbe werden

Sachsen/Berlin - Hat das "Sächsische Bergsteigen" das Zeug, in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit eingetragen zu werden? Immerhin entscheidet die Kultus-Ministerkonferenz am Mittwoch in Berlin, ob diese spezielle Tradition der Kletterei zumindest für die nationale Liste vorgeschlagen wird. Doch was ist das Besondere, welches die Menschheit von den sächsischen Bergsteigern lernen und bewahren könnte?
Eine einzigartige Landschaft zum Verlieben - viele sächsische Bergsteiger engagieren sich im Elbsandsteingebirge auch aktiv für den Naturschutz.
Eine einzigartige Landschaft zum Verlieben - viele sächsische Bergsteiger engagieren sich im Elbsandsteingebirge auch aktiv für den Naturschutz.  © Andreas Vitting

Als die UNESCO 2019 den Alpinismus auf Antrag von Frankreich, Italien und der Schweiz in die Menschheitsliste der bewahrenswerten Traditionen eingetragen hat, dürften sich einige sächsische Bergsteiger die Augen gerieben haben.

Zwar betonen auch die Alpinisten die Werte des Miteinanders und des verantwortungsvollen Umgangs mit der Natur. Doch ein so streng gelebtes Regelwerk wie für die Sachsen ist dort nicht verbindlich.

Schon die philosophische Herangehensweise unterscheidet sich. Während Alpinisten den Berg bezwingen wollen, möchten die Sachsen ihren Fels respektvoll wie eine Braut erobern.

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Für erstere ist die Erstürmung des Gipfels das Ziel, in der sächsischen Tradition der Weg dorthin. Und der kann durchaus etwas länger dauern.

Selbstbeschränkung und Verantwortung

Die frühesten sächsischen Bergsteiger kamen aus der Turnerschaft. Die Technik wurde bewahrt.
Die frühesten sächsischen Bergsteiger kamen aus der Turnerschaft. Die Technik wurde bewahrt.  © Helmut Schulze

So schreibt der Sächsische Bergsteigerbund (SBB) in die Bewerbung, die er federführend für die weit gefächerte sächsische Bergsteigerszene initiierte: "Selbstbeschränkung und Eigenverantwortung nehmen einen hohen Stellenwert ein. Einen Kletterweg (noch) nicht zu klettern und bis zur Durchsteigung mit Geduld und Demut einen weiteren persönlichen Reifungsprozess zu durchlaufen, hat beim Sächsischen Bergsteigen einen besonderen Wert."

Diese Tradition ist auch den Besonderheiten unseres größten Klettergebietes geschuldet.

Da der Elbsandstein stark erosionsgefährdet ist, muss sich der Bergsteiger besonders felsschonend verhalten. So wurde die Sächsische Schweiz vor etwa 130 Jahren die "Wiege des Freikletterns".

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Die 1913 erstmals veröffentlichten Regeln, die nur sanft angepasst noch heute verbindlich sind, formulierte der aus dem Vogtland stammende Oscar Schuster.

Ein Überblick

Schlingen sind die wichtigsten Sicherungswerkzeuge der sächsischen Kletterer.
Schlingen sind die wichtigsten Sicherungswerkzeuge der sächsischen Kletterer.  © Helmut Schulze

Die wichtigsten:

  • Künstliche Hilfsmittel sind untersagt, der Kletterer darf ausschließlich natürliche Griffe und Tritte nutzen und sich mit der eigenen Körperkraft fortbewegen.
  • Seile, Schlingen, Karabiner etc. dürfen ausschließlich zur Sicherung verwendet werden.
  • Die gegebene Felsoberfläche darf nicht verändert werden.
  • Sicherungsringe dürfen nur vom Erstbegeher eines Kletterwegs angebracht werden.

Darüber hinaus ist die Verwendung von Magnesia und Klemmkeilen untersagt, ebenfalls das Klettern am feuchten Fels. Das Seil für den Nachsteiger sollte nicht über den Felsen schleifen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Natur nicht geschädigt wird.

Thomas Böhmer, SBB-Vorstand für Ausbildung: "Daher lernen die sächsischen Bergsteiger seit Generationen zunächst nicht etwa das Einschlagen oder Bohren von Sicherungen, sondern das Knoten von Schlingen, die in einen Felsriss platziert werden. Auch die Jüngeren müssen den Berg aus eigener Kraft bewältigen und dürfen nicht am Seil hochklettern."

Der SBB ist bestrebt, die Ausbildungskurse zu erweitern.

Tourismus und Naturschutz

Die "Wiege des Freikletterns" nach strengen Regeln liegt in der Sächsischen Schweiz. Inzwischen haben weltweit viele Bergsteiger dieses Ethos verinnerlicht
Die "Wiege des Freikletterns" nach strengen Regeln liegt in der Sächsischen Schweiz. Inzwischen haben weltweit viele Bergsteiger dieses Ethos verinnerlicht  © Helmut Schulze

Bevor der Bergsteigerbund 2021 die Bewerbung für die Kulturerbe-Liste anging, führte er unter seinen 16.000 Mitgliedern eine Umfrage durch. Die Resonanz war überwiegend positiv und begeistert.

Einige kritische Stimmen erwähnten die Gefahr der Kommerzialisierung. Denn ein Massentourismus wie an anderen Orten, wo Seilschaften vor dem Berg Schlange stehen müssen, ist im Nationalpark schon aus Naturschutzgründen nicht gewünscht.

Mit der Eintragung auf die nationale Liste ist nicht vor 2025 zu rechnen. Thomas Böhmer: "Durch die Bewerbung und möglicherweise den Titel versprechen wir uns insbesondere mehr Aufmerksamkeit für unsere Belange. Eines unserer wichtigsten Anliegen ist es, die Ausübung des traditionellen Sportes auch in Zukunft in der bisherigen Art zu ermöglichen und die sächsische Bergsteigerkultur weiter zu pflegen."

Und falls es doch nicht für die höchsten Weihen als Menschheitserbe genügt, darf man sich damit trösten, dass große Teile der weltweiten Kletterszene die Natur schonenden Regeln aus Sachsen ohnehin weitgehend übernommen und verinnerlicht hat. Auch Bergsteigerchöre, das Boofen und die Tradition der Gipfelbücher wurde hierzulande kultiviert und zur Blüte gebracht.

Info: kulturerbe-saechsisches-bergsteigen.de.

Darum schützt die UNESCO immaterielles Kulturerbe

Ein Gipfelbuch in der Blechdose wurde erstmals 1893 im Bielatal platziert.
Ein Gipfelbuch in der Blechdose wurde erstmals 1893 im Bielatal platziert.  © Thomas Türpe

Im Gegensatz zu den unbeweglichen Bauten oder Landschaften der Welterbestätten stehen beim immateriellen Kulturerbe Kulturformen im Mittelpunkt, die von praktischem Wissen und Können der Menschen getragen werden.

Dies reicht von Kunst- und Handwerkstechniken über mündliche Überlieferungen bis hin zu speziellen Aufführungspraktiken. Es repräsentiert eine lebendige Alltagskultur, die von Generation zu Generation weitergegeben wird.

In die repräsentative UNESCO-Liste der Menschheit hat es aus Sachsen bisher die Genossenschaftsidee und (gemeinsam mit anderen Ländern) der Orgelbau geschafft.

Auf der nationalen Liste sind derzeit zwölf lebendige sächsische Traditionen eingetragen, unter anderem die Bergparaden, Bräuche der Sorben, der vogtländische Musikinstrumentenbau, die Knabenchöre und das Singen des Steigerliedes.

Titelfoto: Bildmontage: Helmut Schulze, Andreas Vitting

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