Wenn der Himmel zum Spielplatz wird: Sächsischer Segelkunstflieger will noch höher hinaus
Oschatz - Er hat es mit Kneifzangen und Käseecken zu tun, obwohl er weder Klempner noch Verkäufer an der Käsetheke ist. Stattdessen malt Richard Münzberger (30) Figuren in den Himmel. Es sind vergängliche Kunstwerke, denn sein Pinsel ist dabei ein bis zu 300 km/h schnelles Segelflugzeug. Mit seinen Kurzzeit-Luftgemälden wurde er vergangenes Jahr Deutscher Meister im Segelkunstflug und will noch höher hinaus - bis zum Weltmeistertitel! Doch was hat es dabei mit den Kneifzangen und Käseecken auf sich?
Er geht regelmäßig in die Luft, um das Sprichwort Lügen zu strafen, es sei noch nie ein Meister vom Himmel gefallen. Denn der Deutsche Segelkunstflug-Meister muss innerhalb von zwei Jahren mindestens 30 Starts und Landungen absolvieren, um seine Segelfluglizenz behalten zu dürfen.
Keine Sorge, er fällt immer ganz gekonnt vom Himmel - in Schleifen, Rollen oder verschlungenen Loopings - und landet sanft.
Dabei ist Münzberger nicht immer allein im Segler. Als Fluglehrer hat er oft auch einen Schüler als Co-Pilot mit im Cockpit. Oder er chauffiert Fluggäste bei Schnupperflugstunden durch die Weltgeschichte. "Als ich meine Freundin und künftige Frau Stephanie kennenlernte, flogen wir sogar mit dem Flugzeug zum Antrittsbesuch bei ihren Eltern."
Stephanie ist seitdem selbst begeistert vom Flugsport und hat längst bemerkt, dass sie sich eigentlich einen Typ mit einem recht antriebslosen Hobby geangelt hat. Immerhin muss sich ihr Richard für seine Luftnummern immer erst mit einem Motorflugzeug zu den Wolken hinaufschleppen lassen.
Oben angekommen ist er zudem auf die Gunst heißer aufsteigender Lüfte angewiesen - Thermik, die seinen Segler hebt und trägt.
Segelflugschein noch vor dem Auto-Führerschein
Der gebürtige Leipziger wuchs in Döbeln und Oschatz auf. Schon als Kind flog Klein-Richard mit seinen reisebegeisterten Eltern am liebsten in Flugzeugen in den Urlaub. "Ich kann mich sogar noch an meinen ersten Flug als Zweijähriger nach Kambodscha erinnern", versichert er.
Doch fest in den Sitzen der Flugzeugröhre hielt es ihn selten. "Bei einem Flug nach Kenia stiefelte ich durch die Kabine und passte den Piloten bei einer Toilettenpause ab. Ich fragte ihn eiskalt, ob ich mal mit ins Cockpit darf."
Er durfte - und infizierte sich dabei als Sechsjähriger wohl mit dem Flieger-Virus: "Die vielen bunt leuchtenden Knöpfe und Schalter faszinierten mich total."
Er wollte aber auch wissen, was die Lichter in den Armaturen zu bedeuten haben. Das konnte er als junges Mitglied im Oschatzer Fliegerklub lernen. Im Winter 2008 büffelte er als Schüler am Wochenende Theorie, hob im Frühjahr darauf erstmals selbst am Steuerknüppel von Segelfliegern ab, die der Verein stellt.
Statt wie die meisten innerhalb von zwei bis drei Jahren hatte er den Segelflugschein bereits nach anderthalb Jahren in der Tasche - als 18-Jähriger und früher als seinen Auto-Führerschein.
Münzberger ist Deutscher Meister im Segelkunstflug
Dann musste sich der junge Pilot entscheiden: entweder lange in der Luft bleiben oder künftig kunstvolle Pirouetten am Himmel drehen? "Beim Wandersegelflug zählen lange Flugstrecken", erklärt er. "Man sitzt bis zu neun Stunden am Stück im Cockpit, fliegt von Oschatz nach Breslau, Berlin und zurück - wenn nicht unterwegs die Thermik ausgeht und man außerplanmäßig auf einem Acker landet und sich samt Flugzeug abholen lassen muss."
85 Prozent entscheiden sich für eine Streckensegelflug-Karriere. Münzberger nicht. Er wollte Kunstflugsegler werden. Seitdem sind Kunstflugfiguren sein Metier. Sie heißen so, wie sie ihrer Form wegen am Himmel aussehen – zum Beispiel "Kneifzange" oder "Käseecke".
Bei Meisterschaften müssen in einer Höhe zwischen 400 und 1200 Metern zehn bis zwölf solcher Figuren geflogen werden. Je exakter, desto besser. "Ein Looping muss zum Beispiel rund und darf nicht oval geflogen werden, eine senkrechte Linie nicht halb schräg", erläutert der Kunstflieger.
Die schwierigsten Elemente verfolgen ihn vor Wettkämpfen bis in den Schlaf, so wie der "Chinese Loop": "Dabei muss man am höchsten Punkt eines Loopings die Maschine einmal 360 Grad um die eigene Achse drehen."
Die exakt geflogene anspruchsvolle Pflichtfigur brachte ihm bei der 25. Deutschen Meisterschaft im Segelkunstflug Anfang August 2022 auf dem Flugplatz Oschatz besonders viele Punkte und am Ende den Meistertitel unter 40 Teilnehmern ein.
Nächste Station: Die Weltmeisterschaft in Polen
Damit ist der Sachse für die Weltmeisterschaft Anfang August im polnischen Torun qualifiziert.
Beim Segelflug spielen Alter und Geschlecht übrigens keine Rolle: Der bislang jüngste Weltmeister war erst 19, der älteste 83 Jahre alt. Auch Frauen machen in der Luft gute Figuren. Mindestens fünf stehen schon auf der WM-Starterliste.
"Die stärkste Konkurrenz kommt aber aus Polen und Frankreich", kennt Münzberger seine Kontrahenten. "Die Polen leisten sich sogar eine eigene Nationalmannschaft."
Er dagegen arbeitet hauptberuflich in einem Ingenieurbüro und sucht jetzt deshalb nach Sponsoren und einem persönlichen Trainer, um als WM-Erststarter Weltklasseniveau zu erreichen.
Das nächste Mal lässt sich Richard Münzberger in Oschatz beim Fliegerfest am 2. und 3. September am Himmel bestaunen – dann vielleicht schon als frischgebackener Weltmeister?
Oschatzer Verein will WM-Gastgeber werden
Der Fliegerclub Oschatz hat rund 100 Mitglieder, davon sind 40 Prozent Frauen. Die Monatsgebühr ist mit einer Summe ab 31 Euro kaum höher als in Tennis- oder Golfvereinen.
Davon werden unter anderem für aktuell etwa 30 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 19 Jahren die Theorieausbildung samt Lehrbücher und der Flugzeug-Park finanziert.
Die Klubmitglieder sind Manager, Ingenieure, Bäcker, Lehrer oder Lageristen und kommen bis aus Thüringen, Berlin, Leipzig, Dresden, Freiberg, Riesa, Torgau oder Döbeln. Das Hobby schweißt zusammen: Man geht zusammen auch schwimmen, zum Kraftsport oder mal Eis essen.
Weil die von ihm organisierte Europameisterschaft 2022 auf dem Oschatzer Flugplatz perfekt über die Bühne ging, will sich der Verein jetzt als Austragungsort für die Weltmeisterschaft 2025 bewerben.
Weitere Infos findet Ihr unter www.flugplatz-oschatz.de.
Titelfoto: Bildmontage: privat