Sachsen suchen ihre Familie: DRK hilft nicht nur dabei, Weltkriegs-Vermisste zu finden!

Sachsen - Kaum zu glauben: Auch 79 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges suchen noch immer Sachsen nach ihren im Krieg verschollenen Angehörigen. Hilfe gibt es beim DRK-Suchdienst. Der hilft inzwischen auch dabei, in den Kriegswirren von Syrien oder in der Ukraine plötzlich verschwundene Verwandte oder auf Migrationsrouten vermisste Flüchtlinge zu finden. Wir haben eine Schicksalsdetektivin bei ihrer Arbeit begleitet, verzweifelt gesuchte Familienangehörige zu finden.

"Oft tränenreiche Suchen": Claudia Holbe (47) ist die Leiterin des DRK-Suchdienstes in Dresden.  © Stefan Häßler

Im Büro von Claudia Holbe (47) fließen regelmäßig Tränen. Um sie zu trocknen, hat die Leiterin des DRK-Suchdienstes in Dresden immer eine Packung Taschentücher parat. "Denn die Schicksale von Vermissten sind oft tragisch."

So kamen kürzlich zwei Ukrainerinnen zu ihr, die verzweifelt ihre Väter an der Front suchten. Zwei Somalier hatten auf der Flucht den Kontakt zu ihren Angehörigen verloren, und eine Afghanin war auf der Suche nach ihrer Mutter. Aktuell recherchiert Claudia Holbe für 16 Suchanfragen allein aus Dresden.

Dafür fragt sie die Suchdienste der anderen 190 Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften weltweit ab. "Sehr hilfreich ist auch die Bilddatenbank bei www.tracetheface.org im Internet, weil dabei keine Fehler durch eine falsche Schreibweise der ins Deutsche übertragenen Namen auftreten können", erklärt Holbe.

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Gesucht wird dort nach Gesichtern und Nationalitäten und eben nicht nach Namen. Fotos kann man nur über eine DRK-Beratungsstelle einstellen lassen. Taucht also ein Konterfei auf, ist das ein Indiz dafür, dass die Gesuchten leben, nicht in Gefangenschaft und selber auf der Suche nach Angehörigen sind.

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Familienmitglieder suchen noch immer nach vermissten aus dem Zweiten Weltkrieg

Kann auf die Zentrale Namenskartei mit rund 50 Millionen Karteikarten in München zurückgreifen: 2023 haben sich deutschlandweit 7 806 Angehörige im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg an den DRK-Suchdienst gewandt, im 1. Halbjahr 2024 waren es 3987.  © imago images/Wolfgang Maria Weber

Aber immer noch suchen Familienmitglieder auch nach Vermissten aus dem Zweiten Weltkrieg. Sie leiden darunter, nicht zu wissen, was mit ihren Angehörigen passiert ist. "Viele Familien wollen selbst nach vielen Jahrzehnten endlich zu erlösender Gewissheit über das Schicksal ihrer Familienangehörigen gelangen", erklärt Holbe das ungebrochene Interesse.

Manchmal werden auch Unterlagen für Erbschaften benötigt, wenn ein Angehöriger nicht für tot erklärt wurde. Oder sogenannte Wolfskinder, die von Pflegefamilien aufgenommen wurden, weil ihre Eltern vertrieben wurden, suchen nach ihren familiären Wurzeln.

Für die Schicksalsklärungen kann Claudia Holbe auf das Archiv der Zentralen Namenskartei zurückgreifen. Darin schlummern rund 50 Millionen Karteikarten und Informationen zu Vermissten und Suchenden.

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So wurde in Kriegsgefangenenlagern für alle Soldaten eine Akte mit Angaben zu Name, Familie, Beruf, Kindern und Krankheiten (z.B. Typhus) angelegt. Holbe: "Manchmal sind auch die Nachlässe Verstorbener wie Fotoalben, Feldpostbriefe oder Uhren beigelegt." Nach dem Ende der Sowjetunion wurden die Archive geöffnet.

Die Chancen stehen nicht schlecht

Aus den Augen, doch nie aus dem Sinn: Die Suche nach Angehörigen aus Konflikten.  © dpa/Uwe Zucchi

"Die Erfolgsquote bei Suchanfragen nach Vermissten aus dem Zweiten Weltkrieg liegt immerhin bei 43 Prozent", sagt Holbe. Wer Vermisste sucht, sollte allerdings so viele Angaben wie möglich machen können: Neben dem Namen und Dienstgrad sind auch die militärische Laufbahn, die Einheit und Angaben zur Feldpostnummer hilfreich. Die Daten abgeschlossener Fälle werden übrigens gelöscht.

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Wenn sich die Spur der Großväter verliert

War er russischer Gefangener? Heinrich Halke († 90) verstarb im Jahr 2006.  © Archiv/privat

Auch Dr. Kai Kranich (42) will das Schicksal seiner beiden Großväter klären. Opa Heinrich Halke (* 13.2.1915 - † 5.1.2006) wurde gleich nach der Ausbildung in der väterlichen Gärtnerei zum Wehrdienst einberufen. "Mir ist jetzt erst so richtig bewusst geworden, wie viel Jugendzeit mein Opa durch den Wehrdienst förmlich verloren hatte", sagt Kranich.

"Ich konnte bislang nur herausfinden, dass seine Division in russische Gefangenschaft geriet." Diese Information hatte sich Kranich bereits 2013 bei der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen Deutschen Wehrmacht (heute: Zentrale Personenkartei der Wehrmachtauskunftsstelle, WASt) besorgt.

Sein Großvater kämpfte auch im Polen- und Frankreich-Feldzug. Doch ging er später wirklich gemeinsam mit seiner Kompanie in russische Gefangenschaft?

Wenig plausibel, immerhin wurde er am Ende aus britischer Gefangenschaft entlassen. Kranich: "Zwei Jahre zwischen 1943 und 1945 fehlen völlig in seiner Biografie. Er wollte nie mit der Familie darüber sprechen." Jetzt sucht Kranich beim DRK-Suchdienst nach Unterlagen über Opa Heinrichs Gefangenschaft: "Es gibt das Gerücht, dass sich Einheiten der Infanteriedivision meines Opas nach Bornholm absetzen konnten."

"Er galt nicht gerade als mustergültiger Soldat", weiß sein Enkel

Kam auf dem Balkan in Kriegsgefangenschaft: Gerhard Kranich († 81) war Kraftwagenfahrer einer Transporteinheit.  © Archiv/privat

Auch in der Biografie seines zweiten Großvaters Gerhard Kranich (* 7.2.1907 - † 28.7.1988) klaffen Lücken. Bei der WASt war bekannt: Gerhard Kranich war auf dem Balkan in Kriegsgefangenschaft geraten.

"Er galt nicht gerade als mustergültiger Soldat, konnte sich meist clever 'durchwurschteln'", weiß sein Enkel. "Er war als Kraftwagenfahrer in eine Transporteinheit abkommandiert.

In der Gefangenschaft soll er als Gärtner eingesetzt worden sein." Die Spur verliert sich in einem Quarantänelager in Pirna. Kranich: "Ich habe Opa Gerhard nur als Kind kennengelernt, umso mehr interessiert mich sein Schicksalsweg."

Erforscht das Schicksal seiner Großväter: Dr. Kai Kranich (42), Pressesprecher vom DRK-Landesverband Sachsen.  © Norbert Neumann

Für seine Recherchen kann Kranich übrigens den kurzen Dienstweg nutzen, arbeitet er doch selbst als Pressesprecher beim DRK-Landesverband Sachsen.

Tod an der Ostfront

Plötzlich war der Kontakt abgebrochen: Noch heute wird nach dem Schicksal von Soldaten der Schlacht von Stalingrad an der Ostfront des Zweiten Weltkriegs gesucht.  © imago/UIG

Die Schülerin Lara Rading aus Dresden forschte nach dem Schicksal ihres an der Ostfront vermissten Urgroßvaters Heinrich Evers. Er galt jahrzehntelang als "vermisst im Osten 1944".

Eine Anfrage beim DRK-Suchdienst ergab: Aus Archivbeständen des Russischen Staatlichen Militärarchivs (RGWA) - Kriegsgefangenenakte und Karteikarte - ging hervor, "dass Heinrich Evers im Juni 1944 im Gebiet Witebsk, Weißrussland, in sowjetische Gefangenschaft geriet, und am 15. Januar 1945 im Lager Nr. 112 (Berditschew, Gebiet Shitomir/Ukraine) registriert wurde. Er starb am 24. März 1945 an Dystrophie 3. Grades", war also im Lager verhungert.

Ungelöste Kriegsschicksale, ungeklärte Vermisstenfälle: Deutsche Kriegsgefangene auf dem Khodynka-Feld in Moskau.  © imago stock&people
Suchte ihren vermissten Urgroßvater Heinrich Evers: Lara Rading aus Dresden.  © picture alliance/dpa/Carsten Koall

Evers wurde auf dem Lagerfriedhof bestattet.

Vier Stellen beraten in Sachsen

Allein im Freistaat kann man sich an vier regionale DRK-Suchdienstberatungsstellen wenden.  © IMAGO/Rust

In Sachsen wurden im ersten Halbjahr 2024 insgesamt 141 Anfragen und Beratungen registriert, im vergangenen Jahr waren es 248 Vorgänge.

Deutschlandweit gingen 2023 bei den insgesamt 90 DRK-Suchdienstberatungsstellen über 10 000 Anfragen zur Suche und Schicksalsklärung ein. Allein im Freistaat kann man sich an vier regionale DRK-Suchdienstberatungsstellen in Dresden, Leipzig, Chemnitz und Weißwasser wenden.

Der DRK-Suchdienst wird seit 1953 vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) gefördert. www.drk-suchdienst.de

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