Sachsen soll mehr Bürgerpolizisten bekommen - vor allem im ländlichen Raum
Dresden - Sachsens will in den kommenden fünf Jahren die Zahl der Stellen bei der Polizei von aktuell 14.581 auf 14.925 anheben. Der Freistaat folgt damit den Empfehlungen einer Fachkommission, die im Auftrag des Landtages den Bedarf analysiert hat. Innenminister Armin Schuster (62, CDU) hat freudig bereits Leitplanken für den Einsatz des Personals gezimmert. So will er mehr Bürgerpolizisten im ländlichen Raum einsetzen. Diese Pläne werden begrüßt, aber auch kritisch hinterfragt.
Polizei-Hauptmeister Jens Martin (54) schiebt sein Dienstrad über den Bautzner Kornmarkt. Auf dem Fußgänger-Boulevard Reichenstraße verlangt ein dynamischer Radler das Eingreifen des Bürgerpolizisten: "Stopp, bitte absteigen!"
Der Pedalritter folgt der Aufforderung mürrisch. Auch zwei weitere Verkehrssünder hält Martin an, ermahnt sie nur. Hat der Polizei-Beamte die Strafzettel vergessen?
"Habe ich nicht", sagt Jens Martin. Aber er hat Grundsätze. Einer lautet: Erziehung geht vor Strafe. "Die Leute bezahlen bei mir zuerst mit Lebenszeit. Sie müssen sich meine Belehrungen, Hinweise und Ermahnungen anhören", sagt der Polizist.
Erst, wenn sie erneut als Unbelehrbare auffällig werden, straft Jens Martin sie ab. Sieht so heute smarte Polizei-Arbeit aus?
"Früher im Streifendienst war ich ein harter Hund. Jetzt bin ich softer. Ich habe gelernt, dass das häufig mehr bringt und manche Sachen wie Medizin nachwirken", sagt Jens Martin, der 2021 Bürgerpolizist wurde und davor bereits 18 Jahre im Streifen- und acht Jahre im Kriminaldienst der sächsischen Polizei tätig war.
Der Bürgerpolizist versteht sich als Dienstleister
Als Bürgerpolizist ist Martin zuständig für Bautzen und die Gemeinde Göda. Er will die Bürger dort zu Fuß oder auf dem Rad "abholen". Jeder kann ihn jederzeit ansprechen. Er nimmt Anzeigen und Hinweise auf, überwacht den Verkehr, berät Menschen und verfolgt, ahndet Straftaten.
Martin gibt dabei wahlweise auch schon mal den Erklärbär, Kummerkasten oder diplomatischen Vermittler, wenn Bürger über Polizei, Justiz oder ihren Nachbarn schimpfen. In seiner Funktion netzwerkt er zudem zwischen Behörden, Vereinen und gestaltet die Fahrrad-Ausbildung an Grundschulen.
Jens Martin versteht Polizei-Arbeit als Dienstleistung. Er weiß aus eigener Erfahrung, dass die Kollegen im Streifendienst angesichts einer immensen Arbeitsdichte kaum Zeit haben für längere Gespräche oder einfach minutenlanges Zuhören.
Er sieht, dass Bürgerpolizisten da Leerstellen füllen können. Sein Leitspruch: Wenn ich das Problem an der Wurzel packe, ist allen geholfen. Jens Martin: "Ich bin dankbar, dass ich genau das hier machen kann."
Das will der Innenminister
Gegenwärtig sind in Sachsen etwa 430 Bürgerpolizisten im Dienst. Armin Schuster hat für sich das politische Ziel formuliert, dass jede Kommune mit 4000 bis 5000 Einwohnern einen Bürgerpolizisten bekommt. Etwa insgesamt 800 Stellen würde er gerne dafür bereitstellen. Die nächsten Posten sollen in absehbarer Zeit dort entstehen, wo heute "weiße" Flecken auf der Landkarte sind.
Gewerkschaft begrüßt den Vorstoß
Sowohl der sächsische Landesverband der Gewerkschaft der Polizei (GdP) als auch die deutsche Polizeigewerkschaft Sachsen (DPolG) begrüßen den Vorstoß des Innenministers.
Beide stellen fest, dass es eine Entfremdung zwischen Bürgern/Gesellschaft und der Polizei gegeben hat.
"Die Bürgernähe und anlassunabhängige Streifen im ländlichen Raum sind zu begrüßen, sie steigern das Sicherheitsgefühl der Bürger und können abschreckend für Kriminelle sein", betont GdP-Chef Jan Krumlovsky.
Die Gewerkschaften sparen trotzdem nicht mit Kritik. Sie forderten beim Personal einen Aufwuchs auf über 16.000 Stellen. Es bedarf mehr Personal in allen Bereichen, erklären Krumlovsky und die DPolG-Chefin Cathleen Martin (50) unisono.
So müssen Bürgerpolizisten heute oft Lücken im Streifendienst auffüllen. Beide Gewerkschafter warnen davor nun Personal (etwa im Kriminaldienst) abzuziehen, um Bürgerpolizisten zu etablieren.
Krumlovsky: "Die Polizei Sachsens ist schon länger nicht mehr in der Lage der Aufgabenmehrung Herr zu werden. Wir sind nur noch eine 'Auftragspolizei'. Prävention und Präsenz sind fast nicht mehr im notwendigen Maß zu erfüllen. Cannabislegalisierung, das Wahljahr und die Fußball-EM in Leipzig noch nicht einmal mit berücksichtigt."
Cathleen Martin drängt darauf, die Einstellungszahlen auf 475 bis 500 pro Jahr hochzuschrauben, denn die Abbrecherquoten bei der Ausbildung liegen teils über zehn Prozent. Sie fordert weiterhin: "Die Ausbildung muss attraktiver gemacht werden."
Beschwerden gibt es immer wieder
In dieser Woche legte die unabhängige Beschwerdestelle für die Polizei in der Sächsischen Staatskanzlei ihre Jahreszahlen für 2023 vor.
Demnach gingen bei ihr 258 Beschwerden gegen Polizisten ein (Vorjahr 261). 24 Beschwerden stammten von Polizeibediensteten selbst. Der Großteil (234) kam von Bürgerinnen und Bürgern.
Albrecht Pallas (44), innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag stellt fest: "Die Beschwerdestelle hat sich bewährt. Sie macht Polizeiarbeit besser. Sie stärkt das Vertrauen der Bevölkerung in eine rechtmäßig handelnde Polizei." Der Abgeordnete attestiert der Polizei "eine gute Arbeit".
Trotzdem will er Verbesserungen und zwar "einen Polizeibeauftragten, der beim Parlament angesiedelt" ist.
Gutes Image
Sachsens Polizei genießt in der Bevölkerung hohes Ansehen. Im Sachsenmonitor 2023 gaben insgesamt 65 Prozent der Befragten an, dass sie "Sehr großes Vertrauen" (14 Prozent) und "Großes Vertrauen" (51 Prozent) der Polizei entgegenbringen.
Dem gegenüber standen insgesamt 34 Prozent, die "Wenig Vertrauen" (28 Prozent) und "Gar kein Vertrauen" (6 Prozent) haben.
Im Vergleich zum Sachsenmonitor 2021/2022 schnitt die Polizei damit etwas schlechter ab, war aber immer noch die angesehenste Organisation/Einrichtung und lag mit ihrem Ergebnis weit vor dem Verfassungsgericht, Gewerkschaften oder der sächsischen Landesregierung.
Titelfoto: Holm Helis