Rocker-Demo vor Torgauer Knast: Hells Angels brechen ihr Schweigen
Torgau - Rocker-Demo vor der JVA Torgau: Am Samstag zogen Dutzende Hells Angels und Rocker befreundeter Clubs bei einem sogenannten "Prison Run" vors Gefängnistor und forderten die Freilassung zweier zu lebenslanger Haft verurteilter Höllenengel. Unterdessen gibt es in den Ermittlungen zur tödlichen Rocker-Schießerei 2016 auf der Leipziger Eisenbahnstraße eine faustdicke Überraschung.
Es gehört zu den jährlichen Ritualen von Rockerclubs: Ausfahrten zu Gefängnissen, um inhaftierte Mitglieder moralisch zu unterstützen. Am Samstag rollte ein Tross Hells Angels nebst Unterstützer vor die JVA Torgau. Dort entrollten die Rocker ein großes Banner mit der Aufschrift "Free Ferry 818 - Free Digga 81".
Hinter den Szenenamen verbergen sich Ferenc B. (45) und Frank M. (50). Beide gehören zu den vier Leipziger Hells Angels, die im Juni 2019 wegen gemeinschaftlichen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurden.
Hintergrund: Bei einer Auseinandersetzung mit Rockern der United Tribuns (UT) am 25. Juni 2016 auf der Leipziger Eisenbahnstraße war der UT-Anwärter Veysel A. (27) von einem Höllenengel erschossen worden.
Drei Jahre nach dem Richterspruch gab es nun eine große Überraschung: Hatten alle vier Angeklagte im Prozess noch eisern geschwiegen, vertrauten sich nunmehr drei der Hells Angels der Staatsanwaltschaft an.
Ferenc B., Frank M. und Todesschütze Stefan S. (35) hätten in den noch laufenden Ermittlungen gegen zwölf weitere Tatverdächtige umfangreiche Zeugenaussagen gemacht, teilte die Staatsanwaltschaft auf TAG24-Anfrage mit. Zum Inhalt machte die Behörde keine Angaben.
Lediglich der ebenfalls lebenslang einsitzende frühere Präsident der Leipziger Hells Angels, Marcus M. (38), lehnt eine Kooperation mit den Behörden bislang ab.
Zwölf Hells Angels warten noch auf Prozess
Aus Justizkreisen war zu erfahren, dass die Aussagen der drei Lebenslangen zu einer strafrechtlichen Neubewertung hinsichtlich der weiteren Beschuldigten führen könnte, der Tatvorwurf des gemeinsamen Mordplanes wohl nicht mehr haltbar ist.
Im Umfeld der Hells Angels wird kolportiert, dass die plötzliche Aussagebereitschaft gegenüber Ermittlungsbehörden - in Rockerkreisen eigentlich ein Tabu - kein Zufall ist, sondern aus den Reihen des wohl einflussreichsten deutschen Hells Angels Charters in Hannover "angeregt" wurde. Auch der "Prison Run" am Samstag nach Torgau war von den Niedersachsen organisiert worden.
Nach Angaben der Leipziger Staatsanwaltschaft ist ein Ende der Ermittlungen gegen die seit nunmehr sechs Jahren auf ihre Anklagen wartenden zwölf Höllenengel noch immer nicht absehbar. Nun bekommen erst einmal deren Anwälte die neuen Zeugenaussagen zur Kenntnis.
Ob sich die drei bereits zu lebenslanger Haft verurteilten Rocker von ihrer Kooperationsbereitschaft selbst einen Vorteil erhoffen können, ist ungewiss.
Für ein Wiederaufnahmeverfahren gelten hohe rechtliche Hürden, etwa nachgewiesene Falschaussagen von Zeugen oder Sachverständigen.
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