Produktion und Handel kommen kaum hinterher: Sachsens Rad-Markt boomt wie noch nie
Sachsen - Das Radfahren erlebt eine ungeahnte Renaissance. Gegenwärtig erzielt die Fahrradbranche Wachstumszahlen, von denen Autohändler nur träumen können.
Die Nachfrage ist so groß, dass es mittlerweile an neuen Rädern und Ersatzteilen mangelt. Gleichzeitig stehen die Zeichen aber auch auf Umbruch bei Handel und Service.
Von den "08/15-Verschleißteilen" wie Bremsbelägen, Mänteln, Schläuchen, Ketten, Kettenrädern und Ritzeln für die Gangschaltung wird manches über Monate nicht erhältlich sein, fürchtet der Verband des deutschen Zweiradhandels (VDZ).
"Die Situation wird dazu führen, dass Kunden teilweise bis in den Sommer hinein ihre Räder nicht werden nutzen können, weil sie keine Ersatzteile dafür bekommen", sagt VDZ-Vorstandsmitglied Tobias Hempelmann.
Die Engpässe werden vor allem auf die gestiegene Nachfrage, Betriebsschließungen in Fernost, Turbulenzen an den Rohstoffmärkten sowie gestörte Lieferketten wegen Corona zurückgeführt.
Statt ständig Kunden zu vertrösten, vergibt manche Rad-Werkstatt inzwischen in absehbarer Zeit keine Termine mehr.
Hempelmann: "In den nächsten vier bis sechs Wochen wird das noch so richtig kommen, denn bisher haben wir noch kein gutes Wetter gehabt, sodass die Saison verspätet startet."
Beliebtheit von E-Bikes steigt immer weiter an
2020 wurden laut VDZ in Deutschland über fünf Millionen Fahrräder verkauft (17 Prozent mehr als im Vorjahr) - davon knapp zwei Millionen E-Bikes. Im Wettbewerb um Material und Ersatzteile sowie Verhandlungen mit der Industrie ist Größe momentan von Vorteil - das spürt Robert Peschke (44), Geschäftsführer der Fahrradkette "Little John Bikes", die ihre Wurzeln im sächsischen Neukirch in der Oberlausitz hat.
Das Unternehmen besitzt deutschlandweit 41 Filialen und gehört damit zu den Big Playern im deutschen Fahrradeinzelhandel. Es setzt auf Expansion und eröffnet pro Jahr fünf bis acht neue Filialen.
Robert Peschke erwartet in den kommenden Jahren große Umbrüche. Für Rad-Shops mit kleinem Angebot und simplem Service wird die Luft dünner. Schuld daran sind der Preisdruck im System, der Trend zu Mega-Märkten für Drahtesel, gewachsene Ansprüche bei den Kunden sowie die weiter zunehmende Beliebtheit von E-Bikes.
"Allein der Handel mit diesen Rädern und deren Wartung stellt hohe Ansprüche und verlangt Investitionen. Nicht alle Fahrrad-Händler sind bereit und in der Lage, diese auf sich zu nehmen", weiß der promovierte Betriebswirt von "Little John Bikes".
Manche mögen's individuell
Immer mehr Menschen wollen keine Räder von der Stange, sondern solche, die man nach ihren Wünschen gestaltet, ausgerüstet und montiert hat.
Mittlerweile gibt es in Mitteldeutschland über ein Dutzend Manufakturen (Tendenz steigend), die sich auf diese wählerische Klientel spezialisiert hat - zum Beispiel "Veloheld" aus Dresden.
"Unsere Kunden sind rad- und gestaltungsaffin. Sie suchen das Besondere und sind nicht preissensibel", sagt Michael Nikolai (37), der bei Veloheld im Verkauf arbeitet. Seine Beobachtung: Fahrräder sind Projektionsflächen geworden. Die Manufaktur (sieben Mitarbeiter) setzt auf Rahmen aus Stahl und Titan.
Im Fokus steht bei Veloheld der Fahrspaß - neben Ästhetik und funktionaler Technik. Die Angebotspalette der Manufaktur reicht vom urbanen Stadtbegleiter über den Straßenrenner bis zum Touren- oder MTB-Offroadfahrrad. Minimum 1000 Euro muss man für ein Rad der Dresdner auf den Tisch legen.
Nikolai: "Im Jahr liefern wir etwa um die 1000 Räder aus."
Titelfoto: ronaldbonss.com /Ronald Bonss