Polit-Schwergewicht Karl Nolle: Vor ihm zitterten die Mächtigen in Sachsen
Dresden - Man könnte ihn den Biedenkopf-Jäger oder auch Chef-Aufklärer nennen. Aber das würde zu kurz greifen. Karl Nolle (heute 75, SPD) war Mäzen, Verleger, Politiker, Unternehmer mit sozialem Gewissen. Vor allem ist er der wahrscheinlich letzte echte Sozialdemokrat, den Sachsen auf Promi-Ebene zu bieten hat. Auch wenn Haltung nicht vererbbar ist: Er entstammt einer alten SPD-Familie. Seine spätere Frau Christl lernte er bei den Jusos kennen.
Empfang in der Dachwohnung in Dresden-Striesen. Unter ihm ein Haus, das ihm nicht mehr gehört, ein Betrieb, der mal seiner war. Karl und Christl haben so ziemlich alles verloren, was es an feststehenden materiellen Dingen gibt. Aber inzwischen ist alles geklärt, betonen sie und zeigen die Urteile des höchsten sächsischen Finanzgerichts und des Pendants auf Bundesebene.
Das Wohnrecht im aufgepfropften Dachgeschoss ist ihnen geblieben, natürlich die Liebe und die Familie. Einen Korridor gibt es nicht: Das erste Zimmer ist ein Bastelraum. Hier entstehen Modellflugzeuge - flugfähig, wie er betont. Die akkurate Ordnung setzt sich wenige Meter weiter am papierbeladenen Schreibtisch fort.
Los geht das Sachsen-Abenteuer am 9. November 1989 abends mit dem Besuch bei Verwandten und Freunden. Noch mit Visum. Unterwegs im Auto hörten sie vom Mauerfall. Am nächsten Abend in der Kreuzkirche bewegt ihn die erste politische Predigt, die er in seinem Leben hört.
Ab Sommer 1990 führt er auf Bitten eines Freundes die Wertermittlung für die Druckbetriebe der "Sächsischen Zeitung" durch, auch des Teilbetriebs in Striesen. Später berät er die Druckerei und erwirbt vom Alteigentümer die Rückübertragungsrechte.
Die eigene Druckerei in Hannover führt derweil Christl weiter.
Nolle wird Betrug vorgeworfen
In der neuen Heimat wird er schnell bekannt, gründet die Dresdner Bürgergesellschaft und das Lichtdruck-Museum, ruft die Reihe "Kultur im Drucksaal" ins Leben, fungiert als Vorsitzender des Druckereiverbandes für die drei südöstlichen Bundesländer.
In der Dresdner Druckerei dürfen sich die 90 Angestellten über eine Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft freuen. Was heute kaum jemand weiß: Erst 1998 werden er und Christl wieder in die SPD aufgenommen, aus der sie 1983 wegen "Kungelei" mit den Grünen rausgeflogen waren.
Ab 1999, wieder führt Christl die Firma, mischt er die Landespolitik auf. Als Abgeordneter peitscht er die CDU durch Miet-, Paunsdorf- und Mietwagenaffäre. Die Mächtigen Sachsens zittern vorm ihm.
So kippt er CDU-Sozialministerin Christine Weber (heute 71, Rücktritt wegen Fluthilfegeldern) und Olympiastaatssekretär Wolfram Köhler (heute 52, Rauswurf wegen Provisionszahlungen in der Familie).
Die Landesregierung, so Nolle, "revanchiert sich" mit ungewöhnlich häufiger Steuerprüfung. Ihm wird - unberechtigt - Betrug mit Investzuschüssen vorgeworfen. Banken und Auftraggeber ziehen sich zurück. Später plündern Partner die Firma, so Nolle. Insolvenzen treten ein. Nolles stehen alles gemeinsam durch, auch dank der Familie. Groll? Nein, dafür ein erfülltes Leben. Wenn nicht solche Sachen passiert wären, die doch zu denken geben:
"2010. Da wollte mir wohl jemand was in die Schuhe schieben und hat an meinem Haus Marihuana-Pflanzen abgestellt."
Das ist Karl Nolle
Nolle wird am 9. März 1945 im niedersächsischen Auetal geboren.
Nach einer Lehre als Elektromechaniker macht er das Abitur nach, studiert Geschichte, Politikwissenschaft, Soziologie, Psychologie. 1968 entsteht in Hannover die erste eigene Druckerei.
1973 gründet er mit dem späteren SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder eine eigene Firma.
1991 übernimmt Nolle die "Dresdner Offsetdruck" von der Treuhand, bereits ein Jahr zuvor gründet er mit anderen das noch immer existierende Dresdner Stadtmagazin "SAX".
Von 1999 bis 2012 sitzt er im Landtag.
Titelfoto: Eric Münch