Neue Studie besagt: Montagsdemo-Teilnehmer haben anderes Deutschlandbild als die Mehrheit
Chemnitz/Gera - Teilnehmer der aktuell vor allem in Ostdeutschland verbreiteten Montagsdemonstrationen haben laut einer neuen Studie ein "grundlegend anderes Verständnis von Demokratie und ein anderes Deutschlandbild als die Mehrheitsgesellschaft".
Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Berliner Think Tanks Progressives Zentrum zusammen mit der Bertelsmann Stiftung und Wissenschaftlern der Technischen Universität Dresden.
An jeweils drei Montagen im November 2022 und im Januar 2023 wurden für die Studie in Chemnitz und Gera knapp 200 Interviews mit Demonstranten geführt. "Im Mittelpunkt der Analyse standen Motivationen und Perspektiven derjenigen Demonstrierenden, die nicht eindeutig der rechtsradikalen Szene zuzuordnen sind", hieß es.
Laut einer Sprecherin des Progressiven Zentrums suchten die Forscher Kontakt zu Personen, die nicht durch radikale Protestbanner oder Symbole auffielen.
Die Befragten sehen sich laut Studie als "wahre Demokraten", aus ihrer Sicht wird am "Volkswillen" vorbeiregiert. Der Staat, so der Vorwurf der Teilnehmer, handele in erster Linie nicht nach den nationalen Interessen der Deutschen.
"Jede öffentliche Abwägung, Erklärung für Zweifel oder Kompromisse vonseiten der Regierung werden als Zeichen der Schwäche oder als Beweis für eine mangelhafte Demokratie verstanden", erläutert eine Co-Autorin der Studie.
Auswirkungen der Montagsdemos auf die politische Landschaft in Ostdeutschland
Der am häufigsten genannte Grund für die Teilnahme an den Montagsdemonstrationen sei Kritik am deutschen Umgang mit dem Ukraine-Krieg gewesen, gefolgt von Unzufriedenheit mit der Corona-Politik. "Obwohl auch der Unmut über die Energiepolitik viele Menschen auf die Straße bringt, spielen soziale Sorgen im Zuge von Preissteigerungen eine untergeordnete Rolle", hieß es.
Die Forscher stellten unter den Befragten insgesamt ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber Parteien und Verdruss gegenüber Politikern fest. Vor allem den Grünen sei die Kompetenz zum Regieren abgesprochen worden.
Nach Ansicht der Forscher ergaben die Interviews das Bild einer
"gefestigten Gruppe von Protestierenden, die das Potenzial, noch
breiter zu mobilisieren, bereits mehrfach unter Beweis gestellt
hat". Die Politik könne darauf reagieren, indem sie unter anderem die politische Bildung stärke. "Die liberale Demokratie muss aktiv erklärt und für Pluralismus muss geworben werden", forderte eine Autorin der Studie.
Ein anderer Autor rechnet mit Auswirkungen der Montagsdemonstrationen auf die politische Landschaft in Ostdeutschland. "So könnte es den Organisatoren gelingen, bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Sommer und Herbst 2024 eigene Themen zu setzen und Diskurse antidemokratisch zu prägen", hieß es.
Titelfoto: Kristin Schmidt