Neue Ideen bringen wieder Läden in die Dörfer: Das Comeback von Tante Emma
Frohburg - "Kommt, wir kaufen unseren Konsum!" - diese Losung euphorisierte im Herbst die Einwohner von Kohren-Sahlis (Landkreis Leipzig).

Auf den Gabentischen lagen viele 100-Euro-Anteilsscheine einer neuen Genossenschaft. Damit ist sichergestellt, dass schon bald ein Supermarkt im 1000-Seelen-Städtchen eröffnet wird.
Einen Schritt weiter ist bereits Falkenau, Ortsteil von Flöha.
Am Donnerstag wurde hier Sachsens erster "Tante-Enso-Laden" eröffnet. Das ist ein Modell, welches das Tante-Emma-Laden-Konzept neu erfunden hat. Und eine Hoffnung für viele Gemeinden, die derzeit keine Nahversorgung im Ort haben.
Trotz der Eiseskälte Volksfeststimmung im 1500-Einwohner-Ort Falkenau: Neben dem Glühweinstand läuft der Grill heiß, die große Gruppe der Kita Falkennest singt ein Lied, eine Konfettikanone knallt los und der Bürgermeister schneidet ein rotes Band durch.
Großstädter werden vielleicht gelangweilt die Augen rollen - ja, hier wird halt ein neuer Supermarkt eröffnet. Doch in kleinen Gemeinden ist dies für die Menschen - besonders die Älteren - ein Feiertag wie Ostern und Weihnachten zugleich.

Erster Tante-Enso-Laden 2019 in einem Dorf in Niedersachsen eröffnet

Im Laden wird es auf 200 Quadratmetern ein Supermarkt-Vollsortiment von etwa 3500 Artikeln geben. Und wer eine Tante-Enso-Chipkarte hat, kann hier zu jeder Tag- und Nachtzeit (24/7) eintreten und seinen Einkauf erledigen. Man scannt seine Waren selbst ein und bezahlt mit Karte.
Der Clou: Anders als bei ähnlichen Konzepten, bei denen man seine Produkte aus Automaten zieht, ist hier an jedem Werktag vormittags für vier Stunden mindestens eine Verkäuferin im Laden, Donnerstag und Freitag auch nachmittags. Das ist besonders für die ältere Generation von Bedeutung, weil man mit Bargeld zahlen kann und auch jemanden für ein Schwätzchen findet.
In Deutschland gibt es etwa 3000 Gemeinden, wo es zwar eine Nachfrage nach einem Laden im Ort gibt, die den großen Ketten aber zu popelig sind. Der erste Tante-Enso-Laden wurde 2019 in einem Dorf in Niedersachsen eröffnet. Nach der Pandemie begann 2022 die Expansion. Falkenau ist der erste Laden in Sachsen und der 33. in Deutschland.
Träger ist das Start-up "MyEnso" aus Bremen, ein als Genossenschaft organisiertes Unternehmen. Enso (japanisch für Kreis) will den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Das bedeutet auch, dass die Leute vor Ort bestimmen sollen, welche Lieblingsprodukte es im Laden gibt.
Einige Falkenauer wünschten sich, dass sie hier auch die Salate von "Esina" aus Chemnitz kaufen können - also sind sie im Sortiment.

Konsum in Kohren-Sahlis musste im Sommer schließen


Bevorzugt werden ebenfalls lokale und regionale Anbieter, welche zum Teil ihre Regale selbst befüllen. In Falkenau gibt es etwa die Wurst der Landfleischerei Memmendorf, Obst und Gemüse von der Erzeugervermarktung Ost (Sitz Dresden) und die Eier von Jörg Fischer aus der Nähe.
Ortswechsel: Aus Kostengründen schloss im Sommer der Konsum in Kohren-Sahlis. Die Vorwarnzeit betrug gerade einmal sechs Wochen. Lautstarke Proteste und Tausende Unterschriften bei Petitionen halfen nichts. Der Bürgermeister von Frohburg, in welches Kohren-Sahlis 2021 eingemeindet wurde, bekam die Not und den Zorn der Einwohner ebenfalls zu spüren.
Karsten Richter (47, CDU): "Ich habe selbst zum Hörer gegriffen und bei MyEnso nachgefragt. Sie brauchten nur kurze Zeit für eine Standortanalyse, dann haben wir eine Kooperationsvereinbarung unterschrieben. Das A und O der Geschichte ist aber, dass die Leute wirklich einen Laden und hier auch einkaufen wollen."
Sie wollten! Und sie hängten sich richtig rein. Damit garantiert ein Markt eröffnet wird, müssen mindestens 300 Personen für je 100 Euro einen Genossenschaftsanteil von MyEnso zeichnen (bundesweit derzeit 27.910 Teilhaber).
Auf der völlig überfüllten Bürgerversammlung gab es viele leuchtende Augen, binnen der angestrebten Frist wurden 426 Anteile gezeichnet. Inzwischen wird der alte Konsum umgebaut. Bürgermeister Richter hofft auf eine Eröffnung im zweiten Quartal.

"Wir haben uns als Stadt zu diesem Projekt bekannt"


In Falkenau war die Stimmung zunächst skeptisch. Hier hatte man 2010 selbst eine sachsenweit viel gelobte Genossenschaft für einen Dorfladen gegründet, die im letzten Sommer Insolvenz anmelden musste.
Ortschaftsrat Dirk Herbrich: "Mit der Zeit mussten wegen steigender Personalkosten die Öffnungszeiten reduziert werden, weniger Leute konnten daher hier einkaufen, die Waren waren weniger frisch und teurer - ein Teufelskreis."
Doch als die Profi-Genossenschaftler ihr Tante-Enso-Konzept vorstellten, war die Euphorie greifbar - 351 Kunden aus Falkenau zeichneten 381 Anteile.
Flöhas Oberbürgermeister Volker Holuscha (62, Die Linke): "Wir haben uns als Stadt zu diesem Projekt bekannt und auch eine Werbekampagne angeschoben." Weil Flöha Vermieter der Immobilie bleibt, wurde das ehemalige Kino jetzt mit 30.000 Euro an kommunalen Mitteln renoviert.
Als Vision gibt MyEnso an, mittelfristig 800 bis 1000 Dorfläden in Deutschland zu eröffnen und so den Lebensmittelhandel auf dem Lande zu revolutionieren. Derzeit befinden sich drei weitere sächsische Gemeinden in der Prüfung.
Infos gibt's unter: myenso.de.
Titelfoto: Kristin Schmidt