Sächsische Familie meistert riesige Aufgabe: Hier haben 400 Tiere ein Zuhause
Brockau - Erst waren es Tauben und ein verschollenes Kaninchen. Dann kamen Schafe, Enten, Hühner und Wachteln dazu. Im vogtländischen Brockau betreibt die fünfköpfige Familie Sagan einen Gnadenhof für ausgesetzte, kranke und altersschwache Nutz- oder Haustiere - und rettet sie damit vor dem Kochtopf.
Die Tiere kommen aus Qualzuchten oder wenn ihre Besitzer selbst krank wurden. In der Tierlebensfarm "Goldenes Herz" werden die geschundenen Geschöpfe wieder aufgepäppelt. Manche sehen hier das erste Mal in ihrem Leben echtes Gras!
Sie schaute verlegen, gurrte verwirrt und wollte nur ihren Frieden. Zuletzt checkte am vergangenen Montag eine blutjunge Stadttaube aus Plauen im Rettungscamp ein. "Wir müssen die Kleine mit der Hand aufziehen", erklärt Katja Sagan (43).
"Das ist gar nicht so einfach, weil Wasser nicht in den Schnabel, sondern über eine Sonde gehen muss, damit es nicht in die Lungen läuft." Katja hat sich längst als Taubentagesmutti vom Tiergnadenhof bewährt, konnte sie doch schon mit Hunderten Tauben trainieren.
Eigentlich war der Hof der Sagans rein pflanzlich aufgestellt. In ihrer Kräutermanufaktur bauen sie heimische Kräuter an, mixen exotische Teemischungen für ihre Kunden. Alles Bio. Doch dann wurde ein Nachbar krank.
Wer sollte sich auf seinem Hof um die Tiere kümmern? Kühe, Hunde, Hühner, Gänse, Katzen, ein Papagei und - 200 Tauben! Das übernahmen die fünf Sagans in tierischer Nachbarschaftshilfe: mehrmals täglich füttern, ausmisten, Kühe morgens auf die Weide und abends wieder reinbringen.
Was sie nicht ahnten: Ein Tier hatte sich versteckt. "Nach vier Tagen fragte uns ein Angehöriger des Nachbarn, wie es denn eigentlich dem Kaninchen gehe", erzählt Katja. Welches Kaninchen? "Wir suchten überall fieberhaft nach dem Tier und entdeckten es schließlich völlig entkräftet in der hintersten Ecke im Kuhstall." Der kleine Rammler konnte wieder aufgepäppelt und damit gerettet werden.
Jedes Tier auf dem Gnadenhof hat eine rührende Geschichte
Als der Nachbar starb, machten die verwaisten Tiere die Herzen der Sagans ganz weit. "Wir gründeten spontan eine Tierlebensfarm, obwohl wir keine Ahnung von Nutztieren hatten", sagt Familienvater Rüdiger (37).
Nachbars Tiere mussten dafür nur 50 Meter auf das 3000 Quadratmeter große Grundstück der Familie umziehen. Von heute auf morgen war die Kräutergärtnerei zum Altersheim für Nutztiere geworden. Die Kühe konnten an andere Gnadenhöfe vermittelt werden, doch die Tauben blieben. Rüdiger: "Wir mussten eine Voliere bauen, weil die Brieftauben sonst zurückgeflogen wären."
Das 60 qm große Taubenhaus wird gerade auf 90 qm vergrößert. Damit es nicht noch mehr Tauben werden, muss Rüdiger die Eier regelmäßig gegen Plastikeier austauschen.
Jedes Tier kommt mit einer rührenden Geschichte auf den Gnadenhof. Zwei Bergschafe wurden einmal direkt von einem Schlachthof in Thüringen gerettet. "Die beiden sind sogenannte Panikschafe, die bei jeder Kleinigkeit erst mal ängstlich Reißaus nehmen - wer weiß, was sie alles erlebt haben", sinniert Katja.
Bei der ersten Tierrettung ging es um über 40 Römertauben von einem Züchter im Raum Chemnitz. "Sie waren in schlechtem Zustand, wir mussten ihnen stundenlang die Krallen säubern", erzählt Katja. Später fand ein ausgebüxter Zwerghahn Zuflucht in der Rettungsfarm.
Aktuell leben fast 400 Tiere auf der Farm
"Bei einem Züchter im Erzgebirge suchten wir ihm noch vier Zwerghühner, die nicht zuchtfähig waren und wohl im Kochtopf gelandet wären." Außerdem picken 20 sogenannte Ausstallungshühner ihr Gnadenbrot in Brockau. Sie waren nach 15 Monaten schon zu alt fürs Eierlegen, lebten in einem Stall ohne Tageslicht.
"Bodenhaltung" wird das beschönigend genannt. "Uns standen die Tränen in den Augen, als die Hühner bei uns erstmal das Grün von Gras beäugen konnten", erzählt Katja. "Den Blick, wie sich die fast federlos gerupften Hühnchen dabei verwundert anguckten, werden wir nie vergessen."
Manchmal werden die Sagans zur Rettung sogenannter Hochzeits- oder Einwegtauben gerufen. "Die werden bei Trauungen freigelassen, gehen in Freiheit aber elendig kaputt", erzählt Katja. Anfang des Jahres kamen noch zwei Lämmer dazu, die vom Muttertier verstoßen worden waren. Katja: "Sie waren zwei Wochen alt, mussten alle drei Stunden die Flasche bekommen - ein Rund-um-die-Uhr-Einsatz für die ganze Familie."
Derzeit leben fast 400 Tiere auf der Farm: allein 300 Tauben, 60 Hühner und Hähne, acht Wachteln, vier Kaninchen, drei Schafe, zwei Lämmer und drei Enten. Hündin Dora (10) kam aus Rumänien. Wegen ihrer Inkontinenz wollte sie keiner haben. Jetzt ist sie Sohn Lios (14) Liebling.
"Wir sind ein Gnadenhof und kein Tierheim, vermitteln deshalb auch keine Tiere", stellt Katja klar. So bleiben ihre Lieblinge bis zum letzten Atemzug behütet und verlassen ihre Arche nur auf einem Weg - über die "Regenbogenbrücke", die direkt in den Tierhimmel führt. Dann trauern die Sagans zusammen wie um einen lieben Familienangehörigen und schämen sich keiner Träne ...
Große Reisen sind nicht drin
Seitdem sie ihr Tierasyl betreiben, muss die Familie auf vieles verzichten. Aus ihren einwöchigen Wanderurlauben im Allgäu sind Tagesausflüge in die nähere Umgebung geworden. "Wenn wir mal auf große Bauernmärkte wie in Bad Tölz fahren, versorgt unsere älteste Tochter die Tiere." Dann muss Lilli-Jane (19) allein Wasser wechseln, füttern, ausmisten und die Ställe säubern.
Die ganze Familie stemmt den Gnadenhof zusätzlich zur Arbeit in ihrer Kräutermanufaktur. Rüdiger Sagan (37) baut gerade neue Behausungen für Tauben, Hühner und Enten. 400 Euro gibt die Familie jeden Monat allein für Futter aus. Dazu kommen Tierarztkosten. Rüdiger: "Da sind Sach- oder Geldspenden jederzeit gern gesehen."
Für einen neuen Ententeich wurde diese Woche gerade Geld für eine Folie gespendet. Wer auch helfen möchte: www.gnadentiere.de.
Titelfoto: Bildmontage: IMAGO/blickwinkel, Sven Gleisberg