Sachsens letztes Universal-Genie: Er baute die ersten Elbe-Dampfer und schuf die Göltzschtalbrücke
Steinberg - Er war der größte Erfinder Sachsens und entstammte doch einer bettelarmen Familie aus Wernesgrün (Vogtland): Johann Andreas Schubert baute die erste deutsche Lokomotive "Saxonia", die ersten sächsischen Elbe-Dampfschiffe und konstruierte die Brücken über Elster- und Göltzschtal.
Die Gemeinde Steinberg mit Wernesgrün bewahrt die Erinnerung an das Genie. Bürgermeister Andreas Gruner (49, parteilos) sagt stolz: "Schubert ist ein ewiges Vorbild aus dem Vogtland."
Am 19. März 1808 wurde Andreas Schubert als achtes Kind armer Tagelöhner geboren. Die Kinder mussten arbeiten, um zu überleben. Andreas und ein älterer Bruder trugen Rußbutten aus Holz bis Reichenbach. 1817 verlief sich Andreas bei Werdau. Da fuhr eine Pferdekutsche vorbei. Als blinder Passagier sprang er ans Heck. Und wurde entdeckt.
Die Kutsche gehörte dem Leipziger Polizeipräsidenten Ludwig Ehrenfried von Rackel. Statt ihn davonzujagen, "verliebten" sich von Rackel und Frau in das Kind, weil es ihrem toten Sohn ähnlich sah. Rackel fuhr nach Wernesgrün, überredete den Vater, Andreas aufziehen zu dürfen.
Mit der Bildung in Leipzig und Dresden ging Schuberts Stern auf. Thomasschule, Königstein, Freimaurer-Institut, Studium der Architektur an der Bauschule, 1828 Lehrer für Buchhaltung und Mathematik am TU-Vorgänger Technische Bildungsanstalt Dresden, 1832 Professor. Mit 24!
Auf einer Englandreise 1834 lernte der Vogtländer die Industrie Manchesters kennen, widmete sich nach der Rückkehr dem Maschinen- und Eisenbahnbau.
Schubert schuf die Göltzschtalbrücke, die größte Ziegelbrücke der Welt
Sein Unterricht galt als "fesselnd". Doch Schubert wollte mehr. Er gründete 1836 die Maschinenbauanstalt Übigau, konstruierte 1837 die ersten sächsischen Dampfschiffe "Königin Maria" und "Prinz Albert".
Kurz darauf fertigte er die erste deutsche Dampflok "Saxonia". Trotz seiner genialen Konstruktionen wurde sein Ausflug in die Wirtschaft kein Erfolg. Er kündigte 1839 und ging zurück an die Hochschule.
Dort widmete sich Andreas Schubert dem Bau der Bahnstrecke nach Bayern. Am schwierigsten war die Überbrückung von Göltzsch und Elster. In der Not berechnete der Vogtländer 1846 erstmals die Statik von Brücken. Die Göltzschtalbrücke mit 26 Millionen Ziegelsteinen ist bis heute die größte Ziegelbrücke der Welt.
1859 erhielt Schubert das Ritterkreuz des Verdienstordens. Er ging 1869 in Pension und starb ein Jahr später an einem Magenleiden. Das Grab des Universalgelehrten liegt auf dem Inneren Matthäusfriedhof in Dresden.
Als Demokrat in Ungnade
Ein kritisch-liberaler Geist war der geniale Erfinder Johann Andreas Schubert. Als Unterstützer der Revolution von 1848/49 fiel er zeitweise bei Sachsen-König Friedrich August II in Ungnade.
Im April 1848 unterzeichnete der Wernesgrüner einen Aufruf zur Wahl der deutschen Nationalversammlung. Schubert war im wilden Dresden Dreh- und Angelpunkt. Revolutionär August Röckel schlüpfte in seinem Haus in der Friedrichstraße unter. Gottfried Semper, Richard Wagner und Anarchist Bakunin trafen sich dort heimlich.
Das hatte Folgen. 1851 wurde Schubert nicht zur Eröffnung der Brücken eingeladen, die er erst möglich gemacht hatte. Er wurde auch als Direktor der Bildungsanstalt übergangen. Erst 1859 erhielt der Vogtländer das Ritterkreuz des Verdienstordens.
Seine Spuren bis heute
Andreas Schubert starb im Oktober 1870 in Dresden. In der Erinnerung lebt der geniale Konstrukteur aus Wernesgrün weiter.
Dafür sorgt auch Landrat Thomas Hennig (46, CDU): Er will die von Schubert technisch möglich gemachte Göltzschtalbrücke zum touristischen Pfeiler des Vogtlandes machen. "Dieser geniale Bau hat Potenzial, viel mehr Besucher anzulocken. Deshalb werden wir weiter um die Aufnahme als UNESCO-Weltkulturerbe kämpfen."
In Steinberg pflegt Bürgermeister Andreas Gruner (49) das Erbe: "Wir wollen noch mehr Menschen mit dem Werk begeistern." Die Orts-Chronisten Günter Bäuerle (77) und Gabi Nitsche (62) sammeln alles zum berühmten Sohn der Gemeinde im Heimatmuseum.
Bisher gibt es ein Denkmal in der Brauereistraße und das Geburtshaus in der Andreas-Schubert-Straße. Seine erste Schule ist nach dem Erfinder benannt. Andreas-Schubert-Straßen gibt es in Dresden, Ebersbach, Neustadt/S., Leipzig, Auerbach, Netzschkau und Reichenbach/V.
1985/2008 würdigten Briefmarken den Erfinder. In Dresden wurden ein Gymnasium und TU-Gebäude nach ihm benannt.
Andreas Schubert hatte sechs Kinder aus zwei Ehen.
Industrie-Champions aus Wernesgrün
Wernesgrün kennen viele - als Bierdorf im Vogtland. Neben der Brauerei kommt noch ein Champion aus dem heutigen Steinberg.
Der Haar-Kosmetikkonzern Wella aus Darmstadt hat hier seine Wurzeln und seit 2020 wieder seine größte Produktionsstätte (300 Mitarbeiter). Ursprung war der Betrieb des Friseurs Franz Ströher in Rothenkirchen ab 1880. 1900 erfand er einen wasserdichten Haartüll.
Die Marke Wella ließ sich die Familie 1925 auch für Dauerwell-Apparate schützen. Nach 1945 wurde das Unternehmen nach Darmstadt verlegt, in Rothenkirchen produzierte es als VEB Londa. Nach der Wende übernahm Wella die DDR-Firma Londa, kaufte zudem die Marke 4711. Heute gehört das Unternehmen den US-Konzernen Coty und KKR.
Deutlich älter ist die Geschichte des Brauwesens in Wernesgrün. 1436 entstand das erste Bier. Vor 130 Jahren gab es sechs Brauereien, die Familien Männel und Günnel setzten sich durch. Die DDR vereinigte die Großbrauereien zu Wernesgrüner, heute Teil der Carlsberg-Gruppe.
Titelfoto: picture alliance / Shotshop, Repro: Maik Börner, Maik Börner