Nachgehakt beim Wirtschaftsexperten: Müssen wir uns um unser Erspartes sorgen?
Dresden - Müssen wir uns jetzt Sorgen um die Kaufkraft und unser Erspartes machen? TAG24 fragte bei Prof. Joachim Ragnitz (60), Vize-Chef des Dresdner ifo-Instituts nach.
TAG24: Herr Prof. Ragnitz, die Inflationsrate liegt bei über sieben Prozent. Ist das erst der Anfang und müssen wir uns auf noch höhere Preise einstellen?
Prof. Joachim Ragnitz: Im März wurde der vorläufige Höhepunkt bei den Benzin- und Dieselpreisen erreicht. Seither sind diese wichtigen Güter schon wieder etwas billiger geworden. Das macht Hoffnung, dass die Inflationsrate im April wieder etwas niedriger liegen wird. Aber wir sehen ja auch, dass viele Unternehmen - gerade auch im Einzelhandel - die Preise erhöhen wollen, weil sie einem enormen Kostendruck ausgesetzt sind. Entwarnung kann deswegen nicht gegeben werden. Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute gehen davon aus, dass der Anstieg der Verbraucherpreise erst im kommenden Jahr wieder deutlich zurückgehen wird.
TAG24: Müssen jetzt die Löhne steigen?
Prof. Joachim Ragnitz: Natürlich führt die hohe Inflation zu massiven Kaufkraftverlusten bei den Arbeitnehmern. Aber die Nutznießer der steigenden Preise sind ja nicht die deutschen Unternehmen, sondern vor allem die Anbieter von Energierohstoffen. Wenn man jetzt die Löhne erhöht, wird der Inflationsdruck nochmals steigen, weil zusätzlich zu gestiegenen Vorleistungskosten dann auch noch steigende Lohnkosten hinzukämen. So bitter es ist: Die Kaufkraftverluste kann man in der Breite nicht kompensieren. Denkbar sind höchstens staatliche Hilfen für die besonders betroffenen Einkommensbezieher, also jene mit niedrigen Löhnen oder Renten.
Wird der Preis-Schock noch größer als in der Corona-Krise?
TAG24: Könnte der Preis-Schock für die Wirtschaft noch größer als in der Corona-Krise werden?
Prof. Joachim Ragnitz: Die Corona-Krise war ja eigentlich nur für wenige Branchen wirklich problematisch, vor allem für jene, die unter den Lockdown-Maßnahmen litten. Die aktuelle Krise betrifft sehr viel mehr Wirtschaftszweige: Energie ist deutlich teurer geworden.
Hinzu kommen verstärkte Lieferengpässe bei ganz vielen Waren, nicht nur solche, die aus der Ukraine oder aus Russland bezogen werden. Das große Problem ist, dass hiervon viele Produktionen betroffen sind, die ganz am Anfang der Wertschöpfungskette stehen.
Wenn beispielsweise die Chemische Industrie ihre Produktion einschränken muss, leiden darunter alle Verwender von chemischen Produkten, weil alternative Lieferquellen so schnell nicht aufgetan werden können.
Leider sind die Unsicherheiten über den weiteren Kriegsverlauf so groß, dass sich keine wirklich validen Prognosen über die weitere konjunkturelle Entwicklung machen lassen. Meine Sorge ist aber, dass die deutsche Wirtschaft tatsächlich in eine schwere Rezession gerät, die das Ausmaß der Corona-Krise noch übertrifft.
Bleiben die Energiepreise dauerhaft hoch?
TAG24: Herr Prof. Ragnitz, könnte unsere Wirtschaft ein Gas-Embargo überhaupt verkraften?
Prof. Joachim Ragnitz: Ein Gasembargo wäre schon schlimm, vor allem für die ostdeutsche Wirtschaft, die nahezu ausschließlich mit Erdgas aus Russland beliefert wird. Aber die Politik geht dieses Problem ja bereits an, so zum Beispiel mit der Erschließung alternativer Gaslieferquellen.
Wenn es gelingt, die bestehenden Gasspeicher bis zum Herbst wieder zu füllen, muss man sich keine zu großen Sorgen machen. Wenn dies allerdings nicht funktioniert, werden Teile der Industrie große Probleme bekommen. Und weil dazu vor allem auch wieder die Hersteller von Grundstoffen und Vorleistungsgütern zählen, zieht sich das dann auch durch die industrielle Wertschöpfungskette durch. Verkraften kann man das. Es wird aber kein Zuckerschlecken.
TAG24: Stichwort Energiepreise. Werden sie auch unabhängig von Kriegs- und Corona-Auswirkungen langfristig hoch bleiben?
Prof. Joachim Ragnitz: Die aktuell hohen Preise spiegeln auch die Unsicherheiten über die weitere Preisentwicklung wider und sind auch deswegen so hoch. Wenn der Ukraine-Konflikt – was niemand vorhersagen kann – sich nicht mehr so lange hinzieht, wird auch wieder Ruhe in die Märkte einkehren.
Aber man sollte nicht hoffen, dass wir wieder so niedrige Energiepreise haben werden wie 2019 oder 2020. Schon wegen der auch sicherheitspolitisch erforderlichen Diversifizierung der Energieimporte wird Energie künftig teurer sein als damals, und auch die Bemühungen um einen Ausstieg aus den fossilen Energien werden die Preise nochmals treiben. Letzten Endes sind hohe Energiepreise aber auch Marktsignal, dass es sich lohnt, in energiesparende Technologien zu investieren oder auch im privaten Bereich Energie einzusparen. Insoweit darf man hohe Energiepreise auch nicht nur negativ betrachten.
Gibt es auch Nutznießer der Inflation?
TAG24: Bürger müssen beim Einkaufen jetzt tiefer ins Portmonee greifen. Doch gibt es eigentlich auch Nutznießer steigender Inflation?
Prof. Joachim Ragnitz: Na ja, Nutznießer sind derzeit vor allem die Energielieferanten – und die sitzen zumeist im Ausland. Aber natürlich profitieren auch manche Unternehmen in Deutschland von den steigenden Preisen: Wenn beispielsweise die Strompreise steigen, haben auch die Anbieter von heimischem Wind- oder Solarstrom etwas davon. Und natürlich profitieren all jene, die früher einmal Kredite aufgenommen haben und jetzt real weniger zurückzahlen müssen.
Für die meisten Unternehmen bedeuten die steigenden Preise für Vorleistungen aber höhere Kosten, und wenn sich diese nicht vollständig an die Verbraucher weitergeben lassen, schrumpfen auch deren Gewinnmargen. Es überwiegen also wohl eindeutig die Inflationsverlierer.
TAG24: Eigentlich müssten bei steigender Inflationsrate jetzt die Zinsen steigen. Wie beurteilen Sie die anhaltende Null-Zins-Politik der Europäischen Zentralbank?
Prof. Joachim Ragnitz: Die Europäische Zentralbank hat den Auftrag, den Geldwert zu stabilisieren. Insoweit: Ja, es wäre Zeit für eine restriktivere Geldpolitik. Aber höhere Zinsen würden ja nicht dazu beitragen, die gestiegenen Kosten der Unternehmen zu verringern, sondern sie können nur über eine Dämpfung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage preisstabilisierende Wirkungen entfalten. Und da steckt die EZB jetzt in einem Dilemma, denn angesichts der ohnehin labilen Konjunkturlage wäre eine restriktivere Geldpolitik der sichere Weg in eine Rezession.
Ehrlich gesagt, habe ich deswegen auch ein gewisses Verständnis für die zögerliche Haltung der Notenbanker. Wahrscheinlich ist es tatsächlich klüger, mit Zinserhöhungen zunächst noch einmal zu warten.
Aber zu lange sicherlich auch nicht. Wenn sich Märkte erst einmal mit dauerhaft hohen Inflationsraten rechnen oder gar eine Lohn-Preis-Spirale droht, wird die Notenbank, wenn sie ihre Aufgabe ernst nimmt, mit noch härteren Maßnahmen reagieren müssen.
Welche Tipps der Experte für Sparer und Verbraucher hat
TAG24: Was raten Sie Sparern und Verbrauchern, wie sie jetzt mit Ihrem Geld umgehen sollten? Und persönlich gefragt: Welche Maßnahmen haben Sie diesbezüglich ergriffen?
Prof. Joachim Ragnitz: Steigenden Preisen kann man natürlich nur zum Teil entgehen. Aber man kann sein Einkaufsverhalten einmal überprüfen – vielleicht doch lieber beim Discounter einkaufen als beim teureren Lebensmittelladen oder genau darauf achten, wann Benzin im Tagesverlauf billiger ist.
Das sind jedenfalls auch die Maßnahmen, die ich für mich persönlich ausgewählt habe. Wichtig scheint es mir, jetzt auch schon dafür vorzusorgen, dass im kommenden Jahr die Nebenkostenabrechnung für 2022 wohl deutlich höher ausfallen wird, so zum Beispiel durch Anpassung der Vorauszahlungen oder durch Bildung von Rücklagen.
Das ändert zwar nichts am Kaufkraftverlust, mag aber manch eine böse Überraschung in Zukunft verhindern.
Titelfoto: Thomas Türpe