Mit völlig neu angepasstem Finanzsystem: Erster Sachse im "Club of Rome" will Probleme der Zukunft lösen
Colditz - In der vielleicht renommiertesten Denkfabrik der Welt, dem "Club of Rome", sitzt erstmals ein Sachse: Professor Dr. Dr. Stefan Brunnhuber (59). Er ist im Hauptberuf Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Kliniken in Zschadraß (Colditz), hat aber auch eine Reihe anderer Ausbildungen erfolgreich abgeschlossen. Ein unermüdlicher, gut vernetzter Denker! Als Sprecher einer internationalen Arbeitsgruppe hat Brunnhuber innovative und völlig neue Vorschläge formuliert und ausgearbeitet, um wesentliche Probleme der Zukunft zu lösen – indem man deren Finanzierung komplett neu denkt. Moderne Technik und viel Überzeugungsarbeit sind dabei vonnöten.
Kaum zu glauben, dass auch Brunnhubers Tag nur 24 Stunden, auch seine Woche nur sieben Tage hat. Das Multitalent beschäftigt sich nach Dienstschluss noch intensiv mit der Finanzierbarkeit unserer Zukunft. Und zwar nicht etwa als interessierter Laie, sondern als einer der ausgewiesensten Experten auf diesem Feld.
So ist er Mitglied des Vorstands der Weltakademie der Wissenschaften und wurde zuletzt als einziger Deutscher in die berühmte Lancet-Kommission gewählt, die ebenfalls Zukunftsfragen erörtert.
Es ist dieses Engagement, das Brunnhuber auch die Vollmitgliedschaft im "Club of Rome" einbrachte. "Man kann sich dort nicht bewerben", erklärt er. "Man wird vorgeschlagen von anderen Clubmitgliedern, wenn man sich in einigen Bereichen in besonderer Weise verdient gemacht hat."
Soll heißen: Wenn man ein Thema innovativ besetzt hat, bei dem es um den Zusammenhang von Menschheit, Planeten und Nachhaltigkeit geht. Bei dem gebürtigen Süddeutschen ist dies seit Mitte der 1990er-Jahre das Thema Finanzen und Nachhaltigkeit.
Als die Vereinten Nationen vor gut fünf Jahren ihre "17 Ziele für nachhaltige Entwicklung" formulierten – quasi eine Blaupause für eine gerechtere Zukunft der Menschheit ohne Hunger und Krieg, dafür mit Bildung und Gesundheitsversorgung für alle usw. –, haben er und sein Team mit der UN Kontakt aufgenommen. "Ich habe gesagt 'Faszinierendes Programm, aber wir haben vergessen zu klären, was das kostet und wer das bezahlen soll!'"
Bis heute bekomme man da keine klaren Antworten.
Ziel: Gerechtere Zukunft mit Bildung und Gesundheitsversorgung für alle Menschen auf der Welt
Für Brunnhuber und sein Team ist dies eine der Schwachstellen der ganzen Debatte um und über Zukunftsfragen. Auch der Club of Rome, der vor 50 Jahren erstmals mit seinem Bericht "Die Grenzen des Wachstums" einen Weckruf an die Weltöffentlichkeit sandte, habe um dieses Thema eher einen Bogen gemacht.
Auf dem Klinikgelände in Zschadraß, in einem angejahrten Ziegelbau, holt Stefan Brunnhuber weit aus, um den neuen Ansatz zu erklären. Er nennt drei Beispiele. Erstens: Windräder. Brunnhuber: "Die könnte man wie in Deutschland genauso gut auch in Ghana oder Indonesien aufbauen."
Bloß sind dort die Kapitalkosten viel höher als in Deutschland und zugleich höher als das Verbrennen von Kohle, auch wenn erneuerbare Energie langfristig sinnvoller und sauberer wäre. Mit einer veränderten Finanzierung und Risikobewertung ließe sich dies lösen.
Beispiel zwei: bewurmte Kinder. "In der Sub-Sahara gibt es Millionen von Kindern, die nicht in die Schule gehen. Warum? Weil sie bewurmt sind, ständig Durchfälle haben. Wenn jene ein Wurmmedikament bekämen für 80 Cent, würden sie morgen in die Schule gehen können." Mit zahlreichen positiven Folgen für die Volkswirtschaften dort. Nur: Auch hier fehlt das Geld.
So wie in Brunnhubers Beispiel Nummer drei: Brillen. "Eine Milliarde Menschen weltweit benötigen eine Brille", erklärt der Vordenker, der selber eine Sehhilfe trägt. "Wenn ein acht- oder zehnjähriges Mädchen nicht einmal die Tafel ablesen kann, geschweige denn einen Vertrag unterschreiben, wird sie nie in gleicher Weise am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können wie jemand, der sich eine Brille kaufen kann", erklärt er.
Diese Teufelskreise gelte es zu durchbrechen. Und hier kämen neue Finanzinstrumente ins Spiel.
Blockchain-Technologie notwendig, um Projekte zu finanzieren
Während unser System momentan eher so funktioniere, dass entstehende Schäden (z. B. die Verunreinigung von Böden bei der Viehwirtschaft, aber auch Armut) durch Steuermittel nachträglich eher schlecht als recht gemildert würden – jedenfalls nicht ausreichend, um unseren Planeten zu retten –, sieht der neue Ansatz vor, solche Projekte vorab zu finanzieren.
Zweierlei Dinge seien dazu nötig: Eine Blockchain-Technologie, mit der sich Geldströme lückenlos steuern und kontrollieren ließen. Und ein erweitertes Mandat für die wichtigsten Zentralbanken der Welt, dass sie dieses zusätzliche 'grüne' Geld quasi per Knopfdruck bereitstellen. So wie dies in der Bankenkrise 2008 geschah, nur jetzt intelligenter und besser.
Brunnhuber: "Etwa 80 bis 100 Billionen US-Dollar beträgt die Wertschöpfung aller Menschen in einem Jahr. Rund fünf Prozent davon wären zusätzlich vonnöten, um die Nachhaltigkeitsziele der UN zu finanzieren." Viel Geld. Mehr jedenfalls, als die Regierungen bislang bereitstellen.
"Die fünf Billionen Euro im Jahr müssen wir anders bereitstellen als durch Umverteilung oder weitere Privatisierung", erklärt Brunnhuber, "da ein 'Weiter so' die politischen und ökonomischen Kosten unerträglich ansteigen lässt. Wir wissen aus der Gesundheits- und Präventionsforschung, dass jede Präventivmaßnahme in der Regel um den Faktor fünf bis 15 billiger ist als die nachträgliche Reparatur."
Den Einwand, das von den Zentralbanken zusätzlich generierte Geld könne die Inflation weiter antreiben, lässt Brunnhuber nicht gelten: "Das ist Metaphysik. Inflation entsteht, wenn man einfach nur mehr Geld druckt, jedem mehr gibt, aber die Produktivität nicht verbessert."
Geld soll an der Stelle ankommen, für die es gedacht ist
Bei dem neuen Vorschlag sei das anders. "Wir verwenden das Geld ja gerade, um Kosten zu verhindern, nicht zu steigern." Zum Beispiel Klimafolgekosten, aber nicht nur. "Das Kind, das entwurmt wird oder das eine Brille aufgesetzt bekommt, hat eine enorme Produktivität."
Und der Windrad-Bau in Entwicklungsländern eben auch. So gebe es fast unzählige weitere Beispiele, wenn man einmal anfange, die Beziehung von Geld und Nachhaltigkeit neu zu denken.
Die Verknüpfung dieser Idee des "Vorbeugens statt Reparierens" mit der Blockchain-Technologie ist für Stefan Brunnhuber zentral. Schon, damit das Geld auch dort ankommt, wo es hinsoll: "Weil es garantiert, dass die ganze Wertschöpfungskette transparent und vertrauenswürdig ist."
Sich also nicht irgendwelche Potentaten und eine aufgeblähte Bürokratie daran bereichern oder der Schwarzmarkt profitiert.
Brunnhuber und ein Team von 20 Wissenschaftlern haben das alles gut leserlich, auch für Nicht-Finanzexperten in einem Bericht zusammengefasst. Titel: "Financing Our Future" (auf Englisch, 29,99 Euro).
Ausgesuchte Exemplare wurden erstmal an relevante Entscheidungsträger weltweit verschickt – eine Art Lobbyarbeit für eine bessere Welt.
Manche Menschen halten Stefan Brunnhuber für verrückt
Auch Politiker, Wissenschaftler und Wirtschaftslenker kann Brunnhuber (FDP-Mitglied, ansonsten "überparteilich", wie er sagt) überzeugen. Kein leichtes Unterfangen, wie er natürlich weiß und mitunter auch zu spüren bekommt.
Anfangs werde man für verrückt gehalten, dann vielleicht belächelt, erst nach und nach hörten die Leute wirklich zu. Typische Phasen, die man bei einer neuen Idee eben durchschreiten müsse.
"Aber", freut sich Brunnhuber und lacht, "es wird von Phase zu Phase immer besser". Zentralbanken würden bereits intern mit solchen Lösungen arbeiten, und auch der Bestseller "Das Ministerium der Zukunft" (von S. Robinson) habe – zeitgleich und ohne voneinander zu wissen – genau jene Mechanismen in einem Roman formuliert, die Brunnhuber und sein Team nun vorschlagen. "Spannend. Hier treffen wissenschaftliche Fakten auf Science-Fiction", freut der sich.
Was ihm noch Mut macht, ist, dass durch die Pandemie vielleicht erstmals in der Geschichte 7,5 Milliarden Menschen auf Veränderungen vorbereitet seien. "Wir können so nicht weitermachen und sind bereit für eine andere Welt - und dabei spielt auch eine andere Finanzierung eine zentrale Rolle", sagt Brunnhuber. Dieses Momentum gelte es nun zu nutzen.
Der Mann mit den vielen Gesichtern
Stefan Brunnhubers Lebenslauf ist außergewöhnlich prall – und bunt! Nach einem Top-Abitur ließ er sich mit dem Studieren noch Zeit, arbeitete stattdessen erst als Rettungssanitäter, lernte dann den Beruf des Kfz-Mechanikers und machte eine Weltreise.
"Mich interessiert nicht nur die eine oder andere Disziplin, sondern auch die praktische Umsetzung", begründet er diesen ungewöhnlichen Schritt.
Dann aber wurde studiert und das gleich zweigleisig: Brunnhuber studierte Medizin und Wirtschaftssoziologie und promovierte in beiden Feldern.
Neben seiner Tätigkeit als Ärztlicher Direktor einer Klinik für Psychiatrie hatte und hat Brunnhuber Gastprofessuren an verschiedenen Unis, von den USA bis Mittweida.
Vor seiner Mitgliedschaft im Club of Rome war er Senator an der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Er ist derzeit einziger Deutscher in der "Covid-19 Lancet-Kommission" unter Jeffrey Sachs (UN). Er hielt unzählige Vorträge (sogar im UN-Hauptsitz!) zu den Themen Finanzen und Nachhaltigkeit.
Ein ganz besonderer Club
Der "Club of Rome" ist ein Zusammenschluss hochrangiger Wissenschaftler und Fachleute aus unterschiedlichen Ländern und Disziplinen. Ziel und Aufgabe dieses Experten-Gremiums ist es, sich über die wichtigsten Zukunftsfragen der Menschen auszutauschen, drohende Gefahren zu erkennen und diese zu benennen.
Das hohe Renommee des Clubs macht es den Regierenden schwer, seine Vorschläge zu ignorieren.
Größere Bekanntheit erlangte der Club of Rome im Jahr 1972, vier Jahre nach seiner Gründung, als er den Bericht "Die Grenzen des Wachstums" herausgab. Darin wurde anhand von Modellierungen aufgezeigt, dass unser Planet ein ungebremstes Wachstum bei gleichbleibender Bevölkerungsentwicklung und ungezügeltem Rohstoff-Verbrauch langfristig nicht erträgt.
Der Bericht wurde allgemein als Weckruf verstanden, auch seine Folgeberichte gelten der Politik als Mahnung und Leitfaden (auch wenn sie noch immer ungenügend umgesetzt werden).
Die Zahl der Vollmitgliedschaften im Club of Rome ist auf 100 beschränkt.
Was versteht man unter Blockchain?
Die relativ neue Blockchain-Technologie ermöglicht sichere und nachvollziehbare Transaktionen im Internet. Bekannt geworden ist sie als Voraussetzung für Kryptowährungen (Bitcoin & Co.), doch tatsächlich sind viele weitere Nutzungsmöglichkeiten denkbar, etwa beim Erstellen von Krankenakten oder bei der Rückverfolgung von Lebensmitteln.
Als Blockchain bezeichnet man eine Kette von Datensätzen, die immer fortgeschrieben wird. Die Daten laufen dabei nicht über einen zentralen Rechner (wie bisher z. B. bei Online-Bankgeschäften oder beim Posten in Sozialen Netzwerken), sondern dezentral über viele, auch heimische Computer.
Das macht es Hackern schwierig bis unmöglich, diese Daten zu manipulieren.
Ein Nachteil von Blockchains ist der relativ hohe Energieverbrauch, doch arbeiten Forscher gerade daran, dieses Problem zu lösen.
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