Einmal Krieg und zurück - und bald schon wieder hin ... Franziska aus Kamenz fährt in die Ukraine
Ukraine - Sie wollte helfen, und kein Krieg konnte sie daran hindern. Die Verwaltungsangestellte Franziska Petrick (39) aus Kamenz brachte mit einem Freund Hilfsgüter in die Ukraine.
Am Ende reiste sie mit ihrem kleinen Opel Corsa quer durch die riesige Ukraine - ohne Sprachkenntnisse, ohne Ortskenntnisse, aber mit viel Enthusiasmus.
Vor Ort erntete sie viel Dankbarkeit für deutsche Hilfe im Kleinen, die schon im Großen gut funktioniert.
Jetzt steht sie in den Startlöchern für eine zweite Tour in das kriegsgebeutelte Land.
Manchmal muss Mut zum Risiko die Angst besiegen.
Franziska hat ihren kleinen Corsa vollgepackt und ist losgefahren
Weil sie keine geflüchteten Ukrainer aufnehmen konnte ("dafür fehlte der Platz in meiner Wohnung") opferte sie ihren Jahresurlaub und fuhr in die Ukraine - gemeinsam mit ihrem Freund Alexander Schüller (41) in einem Opel.
Bei ihrem Sportverein SV Einheit Kamenz hatten sie Hilfsgüter gesammelt. Im Gepäck waren Prothesen und Gehhilfen, Kindersachen und Kinderspielzeug, Malzeug, Gerätschaften für den Sportunterricht, Verbandsmaterial, Masken, OP-Kittel, aber auch Taschenlampen und Powerbanks.
"Unser Opel Corsa war vollgepackt bis unters Dach und auf dem Dach", sagt Franziska.
Das größte Abenteuer ihres Lebens
Eine Koordinierungsstelle in Dresden hatte herausgefunden, wo ihre Hilfsgüter am dringendsten gebraucht werden.
"In Schytomyr war gerade ein Heim eröffnet worden, wo Kinder aus dem umkämpften Mariupol untergebracht waren, die Elternteile verloren hatten oder Vollwaisen waren", erzählt die Wahl-Kamenzerin.
Genau dorthin sollte die Reise gehen - das größte Abenteuer ihres bisherigen Lebens. Hinter der polnischen Grenze in Lwiw heulten gleich die Sirenen. Luftalarm. "Wir haben uns an den Passanten orientiert - laufen sie weiter oder suchen sie Schutz in Hauseingängen", erzählt Franziska, die zwar kyrillische Buchstaben lesen, aber sich nicht auf Ukrainisch unterhalten kann. Zum Glück: Es war nur Fehlalarm.
Die medizinischen Hilfsgüter gingen zu einem Krankenhaus nach Ternopil bei Lwiw.
Mittels Übersetzungs-App kam man ins Gespräch
Auf der Weiterfahrt überraschte sie die Sperrstunde in Kiew. "An einem Checkpoint mussten wir nach 23 Uhr nachweisen, dass wir Hilfsgüter transportieren."
Von Kiew ging's nach Schytomyr, doch das gesuchte Heim versteckte sich. "Spät am Abend fragten wir schließlich einen Polizisten nach dem Weg - mit Händen und Füßen und mithilfe einer Übersetzungs-App", erinnert sich Franziska.
"Das Heim selbst hatte den rustikalen Flair eines DDR-Plattenbaus, war sicherheitshalber verschlossen. Kindersachen und Spielzeug wurden am Eingang an eine Erzieherin übergeben - die dankte mit einem Lächeln. "Dafür hatte sich die Reise schon gelohnt", gesteht Franziska.
Der Transport hatte geklappt. Doch Franziska wollte mehr. "Ich wollte die Stimmung im Land und die Ansichten der Ukrainer zum Krieg aus erster Hand erkunden."
Die Angst fuhr immer mit
So ging es weiter nach Butscha, dem Ort des ersten Massakers des Krieges, nach Dnipro und Krywyj Rih, der Geburtsstadt von Präsident Wolodymyr Selensky (46).
Die Angst fuhr immer mit. "In Charkiw hat es öfter geknallt um uns herum. In Cherson nahe der Frontlinie sind wir festgenommen worden. Man hat uns natürlich in Zivil und als Ausländer erkannt, als wir wahrscheinlich völlig unwissend ein militärisches Objekt fotografiert hatten", erinnert sie sich.
Beide wurden in einen Schutzbunker gebracht, hörten draußen laute Einschläge.
"Da war uns schon ganz schön mulmig. Wir wurden aber freundlich behandelt, bekamen sogar Kaffee."
Die Menschen der bedrängten Ukraine brauchen Unterstützung
Die Hälfte des Tages müssen die Ukrainer oft ohne Strom auskommen.
Auch daran mussten sich die beiden erst gewöhnen. "Immer wieder hörten wir, dass die Ukrainer ihr Land weiter verteidigen wollen. Und das, obwohl jeder Verwandte oder Freunde an den Krieg verloren hatte.
Den Eindruck, dass Drittländer über ihr Schicksal entscheiden wollen, verletzt sie", erzählt Franziska. "Wir haben zudem überall viel Dankbarkeit gespürt."
Jetzt weiß sie auch, was nach zwei Jahren Krieg vor Ort ebenso benötigt wird: Gaskocher mit Kartuschen, Akkulampen, Laptops, Hygieneprodukte, Orthesen, Prothesen, Verbandsmaterial und Lebensmittelkonserven.
Wer solche Hilfsgüter spenden will, kann sie zum Kamenzer Sportverein bringen. Dort warten sie, bis Franziska Mitte August ihre zweite Ukraine-Tour startet. www.sv-einheit-kamenz.de
Tausende Kilometer durch ein erstaunlich modernes Land
Die Reise war eine Fahrt ins Ungewisse - und hielt viel Unerwartetes parat.
"Die Ukraine ist ein modernes, digitales Land. Auf den Straßen fahren viele E-Autos. Auch das Tankstellennetz ist gut ausgebaut. Wir brauchten unseren mitgenommenen Kanister nie. Bezahlt wird meist bargeldlos mit Karte - sogar die Tickets in den Bussen und Straßenbahnen."
Am Ende wurde es eine Reise durch die gesamte Ukraine. "Während die Autobahnen noch passabel sind, muss man auf den unbeleuchteten Landstraßen aufpassen, dass man nicht in tiefen Schlaglöchern landet. In Ternopil mussten wir sogar einmal auf die Gegenfahrbahn ausweichen." Geschlafen wurde in Unterkünften an der Strecke.
Franziska: "Ich bin nicht so der Mensch, der lange im Voraus plant, bin eher ganz individuell unterwegs."
Am Ende war der Tacho des kleinen Corsa um 5000 Kilometer weitergerückt
Und immer wieder Bomben und Raketen.
Auch in Odessa pfiffen sie wieder über den Himmel. Die zwei haben auch viel Leid gesehen: "Zivilisten mit fehlenden Gliedmaßen und traurige Soldaten, die ihren Kummer einsam mit Wodka betäubten. Dass wir zuerst manchmal misstrauisch empfangen wurden, ist klar. Viele haben schließlich Angst vor russischen Spionen." In Kiew sahen sie ein Begräbnis eines gefallenen Soldaten: "Dabei defilierte ein Trauerzug durch die Straßen und manche knieten andächtig ab."
Nach knapp einem Monat auf vier Rädern war der Tacho des kleinen Opel Corsa am Ende der Reise um 5000 Kilometer weitergerückt.
Titelfoto: Montage: Christian Juppe, Privat, IMAGO/Zoonar, /Ukrinform/dpa