Mit eisernem Willen durchs weite Weiß: Gelähmter Ex-Bergsteiger erfüllt sich seinen Traum

Pirna - Veit Riffer (54) nahm als Bergsteiger in der Sächsischen Schweiz gern Herausforderungen an. Ein Kletterunfall stoppte 1999 seine Kraxel-Karriere. Seither ist der Pirnaer querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl. Seinen Tatendrang und Lebenshunger bremst das nicht.

Der Wasalauf führt die Sportler durch die schwedische Landschaft Dalarna auf dem Vasaloppsleden.
Der Wasalauf führt die Sportler durch die schwedische Landschaft Dalarna auf dem Vasaloppsleden.  © IMAGO/TT

Er tourt mit dem Handbike Alpenpässe hinauf. Sein Traum als Wintersportler erfüllte sich am vergangenen Montag: Der Informatiker nahm in Schweden an einem Wettbewerb des legendären Wasalaufes teil - mit Unterstützung von zwei Freunden im Gespann.

Diese Tour im hohen Norden und das 90-Kilometer-Rennen wird das Trio bestimmt ein Leben lang nicht vergessen.

"Es ist wohl der Traum jedes ambitionierten Ski-Langläufers, einmal beim Wasalauf zu starten. Ich habe selbst viele Jahre mit einer Teilnahme geliebäugelt. Allein die Tatsache, dass das Rennen eine Massenveranstaltung ist, schreckte mich bis dato ab. Als Veit im Herbst vergangenen Jahres sagte, dass er dort 2023 antreten möchte, war ich sofort Feuer und Flamme", erzählt Carsten Kretzschmar (50).

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Der Dresdner ist mit Veit Riffer und Christiane Grammlich (49) befreundet. Die aktiven ehrenamtlichen Bergretter und ihr Bergwacht-Ex-Kollege gehen gemeinsam seit drei Jahren im Winter in die Ski-Spur.

Mit dem Auto nach Schweden

Kurz nach dem Start. Noch 89 Kilometer liegen da vor dem Trio.
Kurz nach dem Start. Noch 89 Kilometer liegen da vor dem Trio.  © privat

Beim Langlauf nutzt Veit als Querschnittgelähmter einen Schlitten. Er betreibt den Wintersport inzwischen ausschließlich in Tandem-Formation. Dabei führt ein Sportler mithilfe eines Gestänges seinen Schlitten, während er auf dem Schlitten sitzend nach Leibeskräften mit seinen Ski-Stöcken mit schiebt. Veit sagt lachend: "Meine Schlittenkonstruktion ist eine Eigenbau-Lösung, die ein tschechischer Freund für mich konstruiert hat."

Der Langlauf mit Veit im Schlepptau macht Christiane doppelt Freude. "Sport mit Freunden ist schöner als allein. Das Tandem-Fahren ist zudem ein super effektives Training für mich", erklärt die Langstrecken-Spezialistin.

Carsten übernimmt bei gemeinsamen Touren vielmals den verantwortungsvollen Job des Bremsers. "Abfahrten sind im Tandem tückisch bis kreuzgefährlich. Da ist es gut, wenn hinten jemand mithilfe eines Seils das Abbremsen unterstützt, um das Sturz-Risiko für Veit und den Fahrer so gering wie möglich zu halten", erklärt der Bergsportler.

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Nach Schweden brachen die drei vergangene Woche gemeinsam mit dem Auto auf. Auf Empfehlung der Wasalauf-Veranstalter hatten sie Startplätze für den freien Wettbewerb "Öppet Spår" (Offene Spur) am Montag gebucht.

Trio frohen Mutes

Christiane mit Veit auf dem Schlitten während des Rennens. Die Veranstalter konnten sich nicht daran erinnern, dass in der jüngsten Geschichte so ein Tandem das 90-Kilometer-Rennen gemeistert hat.
Christiane mit Veit auf dem Schlitten während des Rennens. Die Veranstalter konnten sich nicht daran erinnern, dass in der jüngsten Geschichte so ein Tandem das 90-Kilometer-Rennen gemeistert hat.  © privat

Nach monatelanger Vorbereitung fieberten sie dem Start entgegen. Eine erste Schrecksekunde gab es bereits beim Auspacken im Hotel. Beim Transport hatte Veits Schlitten gelitten. Mangels Werkzeug "reparierte" Carsten das Gefährt mit einer Bandschlinge notdürftig.

Vorm Einschlafen quälen vor allem Veit Fragen: Halte ich die 90 Kilometer durch? Hält der kaputte Schlitten durch? Werden wir schnell genug unterwegs sein können? Das Reglement vom Vasaloppet (so heißt der Lauf auf Schwedisch) kennt kein Erbarmen. Wer da zu langsam ist, wird disqualifiziert.

Um 1 Uhr morgens klingelt am Renntag der Wecker für das Trio. 80 Minuten vorm Startschuss um 7 Uhr stehen die Sachsen im Startbereich in der Kälte. Der Start und der erste Hammeranstieg gelingen mühelos.

Auf der äußerst rechten Spur schwimmen sie gut mit. Weil Klärchen herrlich lacht, ist das Trio frohen Mutes.

In unübersichtlicher kurviger Abfahrt passiert dann genau DAS

Tausende Langläufer aus aller Welt nehmen jedes Jahr am Wasalauf teil. Das Teilnehmerfeld am Montag zählte insgesamt 3080 Starter.
Tausende Langläufer aus aller Welt nehmen jedes Jahr am Wasalauf teil. Das Teilnehmerfeld am Montag zählte insgesamt 3080 Starter.  © imago/Bildbyran

Am Berg und auf ebenen Abschnitten kann Christiane als "Zugmaschine" sogar staunende Läufer überholen. Carsten sichert dabei das Gespann ab und organisiert freie (Überhol-)Spuren.

Doch bei den Abfahrten verliert das Trio merklich Zeit. Bergab bremst Christiane lieber im Schneepflug, als ein Risiko einzugehen. Die Spur ist tückisch bei den vorherrschenden niedrigen Plusgraden. Im Schatten besteht die Loipe aus Eis. In der Sonne aus Schneematsch.

In einer unübersichtlichen kurvigen Abfahrt passiert dann genau das, wovor alle Angst hatten: Im sulzigen Schnee gibt es keine Spur mehr, die den Schlitten vom Ausbrechen abhält. Veit auf seinem Schlitten schleudert es plötzlich so, dass er sich quer auf der Rennstrecke wiederfindet und sein Schlitten umstürzt.

Auch Christiane reißt es daraufhin zu Boden. In einer nicht einsehbaren Kurve liegen nun Menschen und Mobil im Schnee auf der Wettkampfstrecke! So beginnen Massenstürze ...

Mal gewinnt man, mal verliert man

Das Motto des Wasalaufes lautet: „In der Spur der Väter – für die Siege der Zukunft.“ (I fäders spår - för framtids segrar.). Es steht auf dem Banner über der Ziellinie.
Das Motto des Wasalaufes lautet: „In der Spur der Väter – für die Siege der Zukunft.“ (I fäders spår - för framtids segrar.). Es steht auf dem Banner über der Ziellinie.  © imago/Bildbyran

"Wir hatten da unglaubliches Glück im Unglück. Hinter uns kam kein großer Pulk von Fahrern. Die, die heranrasten, schafften es, im letzten Moment an uns vorbeizufahren. Gott sei Dank hat sich niemand bei diesem Sturz verletzt.

Und der Schlitten ging auch nicht zu Bruch", erinnert sich Christiane. Fortan sind sie und Carsten als Bremser noch vorsichtiger bei Abfahrten. Christiane gesteht: "Je mehr Strecke wir zurücklegten, desto mehr wuchs meine Sorge, auf den letzten Kilometern doch noch zu scheitern."

Etwa 30 Kilometer vorm Ziel schwinden ihre Kräfte und Christiane zermartert sich den Kopf. Sie müsste das Steigwachs auf ihren Skiern erneuern, traut sich aber nicht. Als erfahrene Langläuferin weiß sie, dass das Nachwachsen bei Plusgraden einem Roulette-Spiel gleicht.

Mal gewinnt man, mal verliert man. "Nachdem sie dann doch noch einmal Wachs auf ihre Ski aufgetragen hat, lief es wieder wie geschmiert", berichtet Veit grinsend.

Veit überglücklich

Die drei Freunde glücklich nach ihrem Einlauf im Ziel.
Die drei Freunde glücklich nach ihrem Einlauf im Ziel.  © privat

Zu diesem Zeitpunkt sind sie längst die Sieger der Herzen dieses Rennens. Ihre Ankunft wird inzwischen an den Verpflegungspunkten mit Ansagen angekündigt. Die drei ernten bereits Kilometer vor dem Ziel Beifall für ihre Leistung. Vorbeiziehende Athleten muntern sie auf, zollen ihnen Respekt, motivieren sie, nicht aufzugeben.

Daran denken nach 75 Kilometern sowieso weder Veit, noch Christiane oder Carsten! Sie haben sich ihr Rennen und ihre Körner gut eingeteilt. Nach elf Stunden, einer Minute und 58 Sekunden fahren sie in Mora über die Ziellinie.

Veit überglücklich: "Wir waren 90 Minuten und damit um Welten schneller als in meiner besten Vorausberechnung! Ich bin Christiane und Carsten unendlich dankbar, dass ich das gemeinsam mit ihnen erleben konnte."

Titelfoto: Bildmontage: Imago/Bildbyran/privat

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