Missbrauchsopfer wollen nicht mehr schweigen: Kirche arbeitet Schandtaten eines Gottesmannes aus Sachsen auf
Matthias Uhlig (71) erinnert sich an seinen Peiniger: "Er war Ersatz für meinen fehlenden Vater. Er war mir Hilfe. Das macht die Scham noch größer."
Die Rede ist von Kurt Ströer (1921-2013), der viele Jahre Jugendwart einer Gemeinde im heutigen Chemnitz war und später Diakon in Moritzburg wurde. Bis zu seinem Tod soll er an die hundert Jugendliche sexuell missbraucht haben.
Die Mechanik des Bösen lief knapp 50 Jahre lang reibungslos. Ströer suchte sich pubertierende Jugendliche. Onanieren sei Sünde, und wer sündigt, komme in die Hölle, sagte er ihnen.
"Immer wieder ließ er sich erzählen, ob und wie ich es getan habe", erinnert sich einer der Männer. Nur einen Ausweg stellte der Pfarrer in Aussicht: die Einzelbeichte.
Ströer führte seit 1955 Buch über seine Einzelbeichten. Es finden sich 1437 Namen von Jungen und Mädchen in seinem Notizblock.
Opfer wollen Schuldeingeständnis der Kirche
Die Opfer erinnerten sich gemeinsam an den konkreten Missbrauch: "Sehr feste Umarmungen. Die eine Hand an meinem Nacken, die andere in meiner Hose. Lange Zungenküsse eines alten Mannes."
Joachim Heimann (80) war damals 15 Jahre alt. Tage bevor er 1958 an der Kirchenmauer missbraucht worden war, fragten ihn andere Kinder, "ob ich auch schon dieses Einzelgespräch mit Ströer hatte". Für Heimann ein sicherer Beweis, dass die Dunkelziffer der Opfer dreistellig sein muss.
Die evangelische Kirche erkennt die Schuld Ströers zwar an, bekannte sich selbst aber bisher nicht für schuldig. Das fordern die Opfer ein.
Landeskirchen-Sprecherin Tabea Köbsch (46) verwies auf "regelmäßigen Austausch" mit den Betroffenen und kündigte den Beginn der gemeinsamen Aufarbeitung zum Herbst dieses Jahres an.
Titelfoto: Bildmontage: Petra Hornig