Nach Razzia und Festnahmen in Colditz: So tief verwurzelt ist das Nazi-Problem
Colditz - Im März dieses Jahres förderte eine Großrazzia bei der stadtbekannten Neonazi-Familie N. in Colditz (Landkreis Leipzig) kiloweise Drogen und Waffen zutage. Der MDR zeigte nun in einem "exactly"-Beitrag den großen Einfluss des verhafteten Vaters Ralf und seiner Söhne Andreas und Uwe auf.
Die Sendung beschäftigt sich vor allem mit den Geschehnissen der vergangenen 20 Jahre in Colditz - geprägt von einer "rechtsextremen Dominanz", gewaltsamen Übergriffen von Neonazis und einer kollektiven Angst der restlichen Bevölkerung.
So berichtet der Colditzer Harmut Lehmann, der sich Nazi-Aufmärschen in seiner Heimatstadt mutig gegenüberstellt, von einem Angriff im Jahr 2005.
Als Mitarbeiter einer Werkstatt wurde er zu einer angeblichen Motorradpanne gerufen. Vor Ort zerrten ihn dann drei Leute in eine Bushaltestelle und traten brutal auf ihn ein - mit den Worten "Überlege dir, mit wem du dich in Colditz anlegst". Gleich darauf fuhr Uwe N. am Tatort vorbei. Zufall?
Das Elektrogeschäft der Familie L., deren Söhne Punkkonzerte organisiert hatten, wurde im Februar 2008 von Hunderten Neonazis heimgesucht und mit Sprengstoff beschädigt, auch die Scheibe eines nahe gelegenen Dönerladens musste dran glauben. Innerhalb kurzer Zeit wurden insgesamt 14 Notrufe an die Polizei abgesetzt - die Beamten griffen jedoch nicht ein.
Mittendrin im Geschehen: Ralf N., der danach wegen Beamtenbeleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.
Eine mögliche Erklärung für die damalige Passivität und auch darüber hinaus die nur schleppenden und ungenauen Ermittlungen der Behörde: Auch die Polizeibeamten sollen nicht von Einschüchterungen und Bedrohungen aus der Neonazi-Szene verschont sein. Das stellte die Soko Rex des Landeskriminalamtes fest.
MDR: In Colditz hat sich eine "rechtsextreme Dominanz" entwickelt
Die MDR-Reporter erhielten für den Beitrag Einblick in die LKA-Akten. Was sich wie ein roter Faden durch die jahrelangen Ermittlungen zieht: Zeugen gibt es kaum. Die Angst vor Racheaktionen ist zu groß. So wird eine Person zitiert: "Wer nachts draußen rumgeht, kriegt eine drauf, wenn er links ist ... oder auch, wenn er nicht dazugehört."
Selbst der damalige Colditzer Bürgermeister Manfred Heinz soll vor einigen Jahren von Uwe N. auf einem Stadtfest verprügelt worden sein. Anzeige erstattete er nicht - aus Angst, so der MDR.
Lange wurde die Gefahr von rechts in der Kleinstadt unterschätzt, so Linke-Politikerin Kerstin Köditz (56), stattdessen konzentrierte sich der sächsische Innenausschuss auf Hotspots wie Wurzen oder die Sächsische Schweiz. Und diese Ignoranz würde sich in Colditz nun mit seit der Wende tief verwurzelten und ungestörten Neonazi-Strukturen rächen.
Ralf N. und seine Söhne haben in den vergangenen Jahren insgesamt 424 Anzeigen angehäuft, die meisten wegen Bedrohung oder Körperverletzung.
"Überrascht über die Razzia waren in der Region Colditz wahrscheinlich wenige Leute, man hatte eher den Gedanken 'Warum erst jetzt?'", erklärt der aktuelle Bürgermeister Robert Zillmann (38), der in der Stadt aufwuchs.
Neonazi-Problem in der Gegend geht viel tiefer
Und doch ist die Erleichterung über die Verhaftung der Familie N. inzwischen wieder verflogen, immerhin geht das Neonazi-Problem in der Gegend viel tiefer. Nach jahrzehntelangen Einschüchterungen und Nötigungen gegen sich wehrende Mitbürger herrscht nun das Motto "Wir lassen euch in Ruhe, dafür wird man in Ruhe gelassen", so ein anonymer Betroffener.
Die komplette "MDR exactly"-Folge "Gewalt, Drogen, teure Autos - Wie kriminelle Neonazis eine Kleinstadt in Sachsen im Griff haben" könnt Ihr ab sofort in der ARD Mediathek sehen.
Titelfoto: Montage MDR ; Medienportal Grimma