Luftnummern und Höhenflüge: Wie sich diese Gerüstbau-Firma Azubis angelt
Roßwein - Fachkräftemangel, unbesetzte Ausbildungsstellen, bedrohter Mittelstand - wenn andere jammern, sprudeln bei diesen beiden die Ideen: Dirk Eckart (57) und Walter Stuber (63) aus Roßwein (Mittelsachsen) hatten Traumjobs in schwindelerregenden Höhen im Angebot, doch keiner interessierte sich dafür. Auf der Suche nach Azubis setzten sie deshalb auf coole Aktionen, kühne Luftnummern und jetzt sogar auf Künstliche Intelligenz - mit Erfolg!
Diese Woche begannen bei der Gemeinhardt Gerüstbau Service GmbH fünf neue Lehrlinge ihre Ausbildung. Ein Lehrstück zum Nachmachen!
Man könnte denken, er wolle seine Azubis auf Höhentauglichkeit testen und darauf, ob sie schwindelfrei sind. Regelmäßig lädt Firmenchef Dirk Eckart (57) seine jüngste Belegschaft zu einem Fallschirm-Tandemsprung ein.
Erst geht es zusammen 4500 Meter hoch in die Luft, dann im freien Fall wieder hinab. Immerhin wollen die Schirmspringer Gerüstbauer werden. Aber ist das der Grund für die Höhenflüge?
Die Luftnummern - zuletzt vor zwei Jahren in Bautzen organisiert - sollen vielmehr das Zusammengehörigkeitsgefühl der jungen Belegschaft schärfen. Eckart schnürt dafür ein ganzes Tageserlebnispaket mit Firmenausflug, Tandemsprung und Grillfest. Sogar Familie, Freunde und Freundinnen seiner Azubis dürfen mit dabei sein.
Das Beste: Alles geht auf Firmenkosten. Sogar das je 160 Euro teure Video von jedem Sprung wird spendiert.
"Während alle Mädchen abgesprungen sind, hatte ausgerechnet der sprichwörtliche Haudegen der Gruppe im Vorfeld weiche Knie bekommen - sprang dann aber doch."
Werbung auf dem Pizzakarton
Im freien Fall zur Erde - nicht die einzige verrückte Idee der zwei Firmenchefs, um ihre Belegschaft bei der Stange zu halten.
Und das wortwörtlich. Immerhin lernen ihre Azubis, Stange für Stange Spezialgerüste aufzubauen. Noch vor fünf Jahren hätte Eckart übrigens alleine springen müssen: "Wir hatten akute Nachwuchsprobleme, suchten händeringend Azubis."
Sein erster Coup: "Im Januar 2019 ließen wir 12.000 Pizzakartons mit unserem Firmenlogo und dem Slogan 'Heiße Jobs für coole Typen' bedrucken." Die Kartons wurden von zwölf Pizzerien in Freiberg, Döbeln, Tharandt, Kreischa und bis nach Großenhain ausgetragen.
Für Selfies wurde zudem eine Apple-Watch als Prämie ausgelobt. So war die Firma plötzlich nicht nur bei Pizzaliebhabern in aller Munde.
Doch kaum biss ein Interessent an, machte der miserable ÖPNV in der Region einen Ausbildungsvertrag zum Wackelkandidaten. Eckart: "Also kauften wir einen Renault Traffic als eigenen Azubi-Shuttle."
Der kann neun Lehrlinge morgens an drei Haltestellen in Döbeln und zwei in Roßwein zu Ausbildungsbeginn abholen und sie nach Dienstschluss wieder heimfahren.
Der Firmennachwuchs wird gepflegt
Inzwischen gibt es Schulpatenschaften mit Vorträgen über Handwerk und seinen goldenen Boden. Die Roßweiner sind auf Bildungsmessen wie der "KarriereStart" in Dresden präsent.
Der 57-jährige Firmenchef ist sogar Videostar auf dem betriebseigenen YouTube-Kanal "GeruestbauTV", bei TikTok, Instagram und Facebook, wo ebenfalls um Nachwuchs geworben wird. "Wir müssen dahin, wo die Jugend ist - oder deren Eltern und Großeltern", ist sich Eckart sicher. Neuerdings beantwortet er mit KI-erzeugter Stimme im Chat auf der Firmenwebsite sogar Fragen.
Für jeden neu gewonnenen Azubi wird auf einer angemieteten 100 mal 30 Meter große Streuobstwiese ein neuer Baum gepflanzt. Eckart: "20 Obstbäumchen stehen schon. Zum Ausbildungsstart kommen jetzt im August weitere fünf dazu, die gehegt und gepflegt werden müssen."
So wie sein Firmennachwuchs auch. Die Azubis können sich jetzt auf Firmenkosten den Moped- oder Pkw-Führerschein finanzieren lassen. "Als Gegenleistung müssen sie sich verpflichten, der Firma drei Jahre lang treu zu bleiben." Bei diesen Konditionen ließ sich sogar einmal eine Frau als Gerüstbauerin ausbilden.
Derzeit arbeiten 47 Mitarbeiter für die Firma, darunter zehn Azubis. Der nächste Massenabsprung für sie ist für diesen Monat geplant.
"Der Fallschirmtermin im Juli musste wetterbedingt abgesagt werden. Es hatte zu stark geregnet." Doch die Azubis wissen: Aufgeschoben bedeutet bei Eckart nie aufgehoben!
Dank neuer Ideen brummt das Geschäft
Die Geschäftsführer Dirk Eckart (57) und Walter Stuber (63) hatten 2001 die Roßweiner Außenstelle einer Münchner Gerüstbaufirma gekauft. Mit den 70 Mitarbeitern gründeten sie die Gemeinhardt Gerüstbau Service GmbH. "Statt auf Masse haben wir uns auf Klasse und damit auf Spezialgerüstbau konzentriert", sagt Stuber.
So bauten die Roßweiner dieses Jahr im Trockendock der Dresdner Werft ein Gerüst um das Ausflugsschiff "Gräfin Cosel". Im April vergangenen Jahres hingen ihre Spezialgerüste für Sanierungsarbeiten zehn Wochen lang an der Dresdner Augustusbrücke ab. "Ganz ähnlich hatten wir es zuvor bei der Albertbrücke gemacht", sagt Stuber.
Im Frühjahr 2023 wurde das Material mit einem Boot zur schwimmenden Kirche VINETA auf dem Störmthaler See gefahren. Auf der Talsperre Lehnmühle im Osterzgebirge bauten sie ein 125-Tonnen-Gerüst auf. Selbstverständlich hatten die Gerüstbauer auch schon den Kirchturm am Firmenstandort Roßwein eingerüstet.
2018 zogen sie sich Eckart und Stuber aus dem Tagesgeschäft zurück und machten sich einen Namen als "verrückte Unternehmer". Ihre Ideen brachten viele Preise, wie im vergangenen Jahr den Nachhaltigkeitspreis der Handwerkskammer Chemnitz, ein. 2021 waren sie Finalisten als "Unternehmer des Jahres".
Titelfoto: Bildmontage: Petra Hornig, Sven Gleisberg