Kritik an Abschussquoten von Sachsenforst: Ist bei der Jagd weniger mehr?
Dresden - In Sachsen ist die Jagdzeit in vollem Gange. Auf den 200.000 Hektar des Sachsenforsts, was 13 Prozent der bejagten Fläche in Sachsen ausmacht, wird auch wieder zu Treibjagden geblasen.
Eine wenig zeitgemäße Praxis, erklärt Prof. Dr. Dr. Sven Herzog vom Lehrstuhl für Wildökologie und Jagdwirtschaft an der TU Dresden, der auch deutliche Worte zum Umgang mit dem Wolf und der Afrikanischen Schweinepest findet.
Und: Was sagen die Behörden zur Kritik?
Prof. Dr. Dr. Sven Herzog: Weniger und intelligenter Jagen
TAG24: Prof. Herzog, brauchen wir die Jagd in Sachsen?
Prof. Dr. Dr. Sven Herzog: Jagen ist eine Form der Landnutzung, ähnlich wie Land- und Forstwirtschaft, und letztlich auch Naturschutz, und zwar eine sehr extensive und schonende Form, weil Jäger die Lebensräume praktisch nicht verändern. Das hat das Potenzial für eine ausgesprochen nachhaltige Form der Landnutzung. Und als Nebenaspekt des richtigen Jagens werden auch Wildschäden verhindert.
Aber man muss die Jagd richtig einsetzen. Das bedeutet, nicht immer mehr zu jagen, sondern manchmal auch weniger und vor allem intelligenter.
TAG24: Aber mit dem Argument, Wildschäden zu verhindern, rechtfertigt doch der Sachsenforst seine hohen Abschusspläne, insbesondere im Erzgebirge.
Herzog: Man glaubt immer noch, dass ein Mehr an Jagd tatsächlich ein Weniger an Schäden bringt. Das funktioniert in der Natur aber nicht so. Was und wo die Tiere fressen, hängt sehr stark davon ab, wie man ihr natürliches Verhalten zulässt. Je mehr man jagt, desto weniger natürliches Verhalten zeigen die Tiere und desto mehr ziehen sie sich in den Schutz der Vegetation zurück, und an der fressen sie dann auch.
Da spielt das Thema Stress eine große Rolle, aber auch alternative Nahrungsmöglichkeiten auf Grünflächen, Besucherlenkung im Wald - diese Faktoren sind deutlich wichtiger als die absoluten Zahlen erlegter Tiere.
Prof. Dr. Dr. Sven Herzog: "Tiere in Ruhe lassen, reduziert Wildschäden oft mehr, als zu jagen"
TAG24: Wie geht es also besser?
Herzog: Tiere in Ruhe zu lassen, reduziert die Wildschäden oft mehr, als zu jagen. Wenn man Flächen verjüngen will, sollten diese gezielt, fokussiert und schwerpunktmäßig bejagt und dafür der Rest der Fläche in Ruhe gelassen werden.
Wenn man noch Wildwiesen im Wald oder wenigstens Grünflächen an Wegen zur Verfügung stellt, reduziert man wahrscheinlich am meisten die Schäden.
TAG24: Dann sind die vom Sachsenforst durchgeführten Drückjagden also die falsche Methode, um den Wald zu schützen?
Herzog: Es ist insofern das falsche Mittel, weil das nach dem Gießkannenprinzip erfolgt. Man erlegt an verschiedenen Stellen irgendwo in der Fläche das Wild, aber nicht dort, wo tatsächlich forstliche Werte geschützt werden müssen. Es wird gern so dargestellt, dass man überall jagen muss, weil überall Waldverjüngung stattfindet.
Aber wenn ich alle paar Quadratmeter Waldverjüngung betreiben will, macht das Mutter Natur vermutlich besser. Förster sollten Konzepte entwickeln, wo in den nächsten Jahren schwerpuntkmäßig Flächen verjüngt werden müssen. Diese sollte man gezielt bejagen und an anderen Stellen Ruhezonen schaffen. Damit würde das hervorragend funktionieren.
Es ist deshalb nicht mit sachlichen Argumenten zu begründen, warum man weiterhin in so großem Umfang auf der gesamten Fläche jagen will, sofern die Waldverjüngung das zentrale Ziel ist.
Prof. Dr. Dr. Sven Herzog: "Momentan haben wir eine bleierne Situation"
TAG24: Könnten sich Wald und Wild nicht natürlich regulieren?
Herzog: Bis ins Mittelalter haben sich Wald und Wild immer auf natürliche Weise reguliert. Da lebten auch viel mehr Tiere und Arten als heute in unseren Wäldern, und trotzdem gab es interessante Wälder. Allerdings vielleicht nicht, wie der Mensch das heute haben möchte.
Denn wenn ich bestimmte Holzsortimente produzieren möchte, kommen ökonomische Aspekte dazu. Das ist legitim und nicht zu kritisieren. Aber den wirtschaftlichen Wald erhält man eben auch nicht mit immer intensiverer Jagd. Diese kostet im Übrigen viel Geld, vermutlich oft mehr als Zaunbau oder Einzelschutz.
Aber die tatsächlichen Kosten der Jagd scheinen eines der bestgehüteten Geheimnisse eines Forstbetriebes zu sein.
TAG24: Ein ewiges Streitthema zwischen Jägern und Naturschützern ist auch der Wolf.
Herzog: Momentan haben wir eine bleierne Situation, keiner bewegt sich. Die einen beschimpfen die Behörden und die Naturschutzverbände, die anderen beschimpfen die Tierhalter. Aber so kommen wir nicht weiter. Es ist jetzt wichtig, rechtzeitig mit aktiven Management-Maßnahmen zu beginnen und, wo es erforderlich ist, auch in die Bestände einzugreifen.
Wir sollten dafür sorgen, dass der Wolf scheu bleibt, gleichzeitig aber nicht zu viele Wölfe entnommen werden. Schließlich muss man sich fragen, ob man Artenschutz für den Wolf ohne Artenschutz für seine Beutetiere betreiben kann. Denn Wölfe siedeln sich gerne dort an, wo sie einen Teil ihrer Hauptnahrung, die Rothirsche, finden. Auch die Zahl der Übergriffe auf Nutztiere hängt vom Vorhandensein hinreichend natürlicher Beute ab.
In Sachsen gibt es das Rotwild aber in vielen Regionen nicht.
Prof. Dr. Dr. Sven Herzog: "Da wir den Wolf nicht in die Pfanne hauen und aufessen ..."
TAG24: Wölfe sollten also hierzulande auch bejagt werden?
Herzog: Ob man ihn bejagt oder andere Methoden nutzt, muss man diskutieren. Bären vergrämt man zum Beispiel mit Gummischrot. Ob das oder etwas Ähnliches beim Wolf funktioniert, müsste man untersuchen. Man könnte auch, wie das derzeit bereits möglich ist, einzelne Wölfe im Rahmen des Naturschutzrechtes entnehmen. Wenn sie sich zum Beispiel sehr stark an Menschen annähern. Ob das langfristig zielführend ist, ist aber unklar. Das Dritte wäre eine reguläre Bejagung, also eine klassische Nutzung.
Da wir den Wolf aber nicht in die Pfanne hauen und aufessen, müsste man dafür gute Argumente vorbringen.
TAG24: Wie machen das andere Länder?
Herzog: In Frankreich entnimmt man jährlich etwa zehn Prozent der Individuen im Rahmen des Naturschutzrechts. Dort gibt es ähnliche Rahmenbedingungen wie hierzulande. In den baltischen Staaten wird der Wolf ganz regulär bejagt, ähnlich wie bei uns der Rothirsch, und zwar nachhaltig und mit einem intensiven Monitoring. Italien hat ebenfalls einen sehr strengen Schutz.
Dort hat aber die Selbsthilfe seit Jahrhunderten Tradition bei den Hirten und Schafhaltern, die den Wolf erlegten, wenn er eine Herde attackierte. Das hatte zur Folge, dass sich die Wölfe von den Menschen ferngehalten haben. So war bis 40 Kilometer vor Rom der Wolf nie verschwunden.
Es gibt also ganz verschiedene Wege und es ist an der Zeit zu überlegen, welchen Weg wir als Gesellschaft gehen wollen.
Prof. Dr. Dr. Sven Herzog: "Wirklich erreicht haben wir die Ziele nicht"
TAG24: Ein klares Vorgehen gibt es bei Wildschweinen, das fast bis zum Totalabschuss in Sachsen reicht. Doch hat das die Afrikanische Schweinepest (ASP) aufgehalten?
Herzog: Wirklich erreicht haben wir die Ziele nicht. Das erste war, die ASP sollte nicht nach Deutschland kommen. Hat nicht geklappt. Das zweite war, dass sie sich nicht nach Westen ausbreiten sollte. Okay, die Ausbreitung hat sich verlangsamt. Doch muss man fragen: "War es das wert?" Die Kollateralschäden durch den Zaunbau und auch das Töten der Wildschweine mit Methoden, die eben nicht immer tierschutzgerecht sind?
Denn Tatsache ist, dass in Mittel- und Westeuropa die Afrikanische Schweinepest nie ein Problem der Wildschweine war. Es gibt keinen belegten Fall, dass aus dem Wildschweinbestand die ASP in eine Schweinemastanlage gelangt ist. Der Eintrag erfolgte immer durch den Menschen.
Die EU schreibt aber die Maßnahmen vor und unsere Behörden und Ministerien trauen sich nicht, gegen diese Verordnungen zu verstoßen, obwohl es fachlich gesehen klug wäre, sich mehr auf die landwirtschaftliche Schweinehaltung zu fokussieren.
Denn die ASP wird sich voraussichtlich trotz allem weiter ausbreiten.
Prof. Dr. Dr. Sven Herzog: Impfen als Maßnahme?
TAG24: Warum fährt das Ministerium mit den Maßnahmen fort?
Herzog: Zum "Warum" müsste man das Ministerium fragen. Für meine Begriffe hat man dort noch nicht geschafft, das bisherige Handeln kritisch zu hinterfragen. Nämlich ob es gerechtfertigt ist, für diesen kleinen Effekt, den wir erreicht haben, solche invasiven Maßnahmen zu ergreifen.
Die große Ebene ist aber eine ganz andere: Müssen wir in Mitteleuropa zu hohen Löhnen Schweinefleisch produzieren, das durch staatliche Transferzahlungen subventioniert wird, um dann in Länder wie China oder Lateinamerika mit Niedriglohnsektoren exportiert zu werden, obwohl es dort viel günstiger produziert werden könnte?
Das ist eine Frage, die wir auch stellen müssen.
TAG24: Was halten Sie für sinnvoll?
Herzog: Man könnte Wildschweine impfen. Einen Impfstoff gibt es zum Beispiel schon in Vietnam. Man könnte auch sagen, wir lassen die Wildschweine weitgehend in Ruhe. Wir bejagen sie dort, wo sie Schaden machen, einzeln, aber nicht auf großen Treibjagden. Wir nehmen die Zäune weg und lassen die Krankheit im Grunde durchlaufen. Es gibt dann Schweine, die sind immun, andere sterben an der Krankheit. Und wir schützen aktiv die Schweinehaltungsbetriebe und Tiertransporte.
Denn: Nur weil die EU Fehler macht, sollten wir hierzulande diese Fehler nicht 1:1 in geltendes Recht umsetzen.
Das sagt Sachsenforst dazu
Der Sachsenforst begründet sein Festhalten an der Drückjagd: "Die gemeinsame Jagd mit mehreren Schützen und Hunden zur selben Zeit auf einer definierten Fläche dient nicht nur einer effektiven Regulierung des Wildbestandes, sondern führt gleichzeitig auch zu einer Reduzierung des Jagddruckes für die Wildtiere.
Dieser Effekt wird erreicht, indem im Vorfeld in den betroffenen Gebieten eine mehrwöchige Jagdruhe vorgeschaltet wird. Auf diese Weise wird im Staatswald für ein konkretes Jagdgebiet im Regelfall nur ein Teil der gesetzlich festgelegten Jagdzeiten zur tatsächlichen Jagdausübung genutzt."
Weiter heißt es: "Durch den gezielten Einsatz von Drückjagden anstelle dauerhafter jagdlicher Aktivität vermeiden wir Stress für die Wildtiere und verhindern so einen treibenden Faktor für Wildschäden im Wald".
Das sagt das Ministerium dazu
Seit drei Jahren dauert der Kampf gegen die Afrikanische Schweinepest (ASP) in Sachsen an und kostete den Freistaat schon 60 Millionen Euro, von denen unter anderem 788 Kilometer Festzaun errichtet wurden (weitere 108 Kilometer im Bau).
Warum wird also mit den Maßnahmen fortgefahren und nicht zum Beispiel nur Schweinemastbetriebe geschützt? "Weil das EU-Recht auch dem Freistaat Sachsen andere Vorschriften macht", heißt es aus dem Sozialministerium (SMS).
Erst wenn es innerhalb von zwölf Monaten keinen Neufund gäbe, könnte ein Antrag auf Aufhebung von Sperrzonen bei der EU-Kommission gestellt werden. Mit jedem neuen ASP-Fall beginne die Zählung von vorn.
Und wie steht es um eine Impfung? "Das SMS und das Landestierseuchenbekämpfungszentrum stehen dafür in Kontakt mit Forschungseinrichtungen. Aktuell existiert kein in der EU zugelassener Impfstoff.
Es kann auch nicht damit gerechnet werden, dass kurz- oder mittelfristig ein Impfstoff zugelassen, hergestellt und in den Vertrieb gebracht wird.
Titelfoto: Fotomontage: dpa/Arno Burgi//IMAGO/Bild13