Nach 229 Jahren: Sachsens ältester Schnapsladen macht dicht

Bischofswerda - Eine Institution seit 1795: Das Schiebocker Spirituosengeschäft "F. G. Francke" hat Napoleon, Hitler und Stalin überlebt. Jetzt zwingt die Energiekrise Ur-Ur-Ur-Enkelin Fanny Francke (50) in die Knie. TAG24 traf sie auf einen vorletzten Schoppen. Zwischen Wehmut, Schuld und Weinkartons.

Seit 1820 wuchsen auf der Bautzener Straße 20 sechs Generationen Franckes auf.
Seit 1820 wuchsen auf der Bautzener Straße 20 sechs Generationen Franckes auf.  © Eric Münch

Eine goldene Glocke schlägt auf grünlackiertes Holz. Fanny Francke schiebt sich durch die Schultern ihrer Stammkunden.

"Bitteschön?", strahlt sie den Herrn im Blaumann an. "Ich suche einen Gin", sagt der Blaumann. "Wie soll er denn schmecken?", fragt sie. "Tja, das ist die Frage ..." "Dann empfehle ich 'Elefant'. Aus Kartoffeln!" "Nee, igitt, Kartoffeln." "Wacholder?" "Mein Freund ist eher konservativ." "Ein Sachse muss 'Juniper Jack' kennen!" "Gekauft!"

Gespräche wie dieses führt Familie Francke seit 229 Jahren. 1795 eröffnete Stadtrichter Friedrich Gottlob Francke zunächst auf dem Marktplatz, bevor Napoleon 1813 auf seinem Weg nach Leipzig Bischofswerda niederbrannte.

Ausstellung in Oschatz: Spielen wie zu Uromas Zeiten
Sachsen Ausstellung in Oschatz: Spielen wie zu Uromas Zeiten

1820 zog die Familie auf die heutige Bautzener Straße. Und blieb.

Ur-Ur-Urenkelin Fanny Francke (50) lebt die Familientradition, kämpfte gegen Windmühlen - und gibt auf.
Ur-Ur-Urenkelin Fanny Francke (50) lebt die Familientradition, kämpfte gegen Windmühlen - und gibt auf.  © Eric Münch

Seit sechs Generationen betreibt Familie Francke den Spirituosenladen

Ofenbauer Thomas Kaden (54) kommt seit DDR-Zeiten in den Laden.
Ofenbauer Thomas Kaden (54) kommt seit DDR-Zeiten in den Laden.  © Eric Münch

Im Erker überm Laden wuchsen sechs Generationen auf. Fannys Uropa Heinrich Gustav sah vom Schaufenster aus die Industrielle Revolution, Opa Friedrich Gustav kämpfte im Ersten Weltkrieg. Weil er den Kolonialwarenladen betrieb, musste er nicht an die Zweite Weltkriegsfront.

Sein Sohn Friedrich Günther übernahm Ende der 1950er. Und stand noch mit 84 hinterm Tresen. Fanny half schon als Kind im Laden. Und schließt am 24. die Tür für immer.

"Mir tut das auch alles leid", sagt Fanny Francke inmitten des Ladens und zündet sich eine Zigarette an. Die Kunden seien super, der Umsatz stabil.

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"Aber ein Geschäft muss Gewinne, Investitionen und meine Rente abwerfen." Das lassen Gasheizung und Versicherung nicht zu. "Und ich kann einen 7-Euro-Wein nicht für 9,90 verkaufen. Weil er das einfach nicht wert ist."

Thomas Kaden blickt zu Boden. "Als ich das gehört habe, musste ich mich setzen." Schon zu DDR-Zeiten sei der 54-Jährige mit seinen Eltern im Laden gewesen. Whiskey, Wein, Rum und Gin kauft der Neustädter nur hier.

Die Decke von 1980, die Regale aus den 50ern, im Laden 17 Grad Kühle - eine Institution von 1795 muss schließen.
Die Decke von 1980, die Regale aus den 50ern, im Laden 17 Grad Kühle - eine Institution von 1795 muss schließen.  © Eric Münch

Geschichten wie diese hört Fanny oft, sagt sie. Sie frage sich, "habe ich wirklich alles ausgereizt? Aber du kämpfst gegen Windmühlen. Und den Zeitgeist."

Lagerweine aus Bordeaux, 15-jährige Calvados, Grappa aus Piemont: F.G. Francke hat Ausverkauf. Am 24. Oktober stößt die letzte Francke ein letztes Mal drin an. Wohl auch auf ihren neuen Job: Die studierte Germanistin wird Deutschlehrerin ...

Titelfoto: Bildmontage: Eric Münch (2)

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