Jeder achte Sachse ist von Diabetes betroffen: So schützt Ihr Euch vor dem gefährlichen "Zucker"
Leipzig - Diabetes (Typ 2) hat sich zu einer Volkskrankheit entwickelt, an der inzwischen jeder achte Sachse leidet - Tendenz zunehmend. Damit führt Sachsen bundesweit den Negativtrend an. Dass mit der Krankheit nicht zu spaßen ist, weiß Dr. Tobias Wiesner (50), Diabetologe am MVZ Stoffwechselmedizin in Leipzig und Vorstandsmitglied der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG).
"Diabetes an sich tut nicht weh, es verursacht keine Schmerzen. Eine Diabeteserkrankung kann deshalb über viele Jahre hinweg unerkannt bleiben und eine lange Zeit nicht einschränken. Dadurch wird sie sicher unterschätzt", erklärt Dr. Tobias Wiesner.
Dabei kann die Krankheit ernste Spätfolgen haben: Störungen von Blutgefäßen und Nerven - zum Beispiel diabetischer Fuß -, aber auch Schäden an Augen und Nieren. Mit Diabetes steigt deshalb auch das Risiko von Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen - die häufigsten Todesarten bei Diabetes-Patienten, die zudem ein 1,5-fach erhöhtes Sterberisiko haben.
Besonders häufig tritt Diabetes bundesweit in Sachsen auf.
Laut dem BARMER Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg) lag im Jahr 2022 die Morbidität, also Krankheitshäufigkeit, im Freistaat bei 139,53 Personen je 1000 Einwohner - 60 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt (87,04/1000). Besonders betroffen sind die Landkreise Görlitz (+91 Prozent), Nordsachsen (+84 Prozent), Bautzen (+81 Prozent) und die kreisfreie Stadt Chemnitz (+78 Prozent).
Mit einem Plus von "nur" 25 Prozent und 33 Prozent haben Leipzig und Dresden die geringste Morbidität in Sachsen.
Schlechter Lebensstil als Ursache für Stoffwechselkrankheiten
Eine repräsentative Statistik der AOK Plus, die mehr als zwei Millionen Sachsen versichert, macht die Dramatik deutlich. Demnach hat inzwischen jeder achte Sachse (Stand 2022) Typ-2-Diabetes.
Die Dunkelziffer dürfte jedoch weitaus höher liegen, aufgrund des langen, häufig symptomlosen Verlaufs. Bei den Über-80-Jährigen seien es sogar 42,7 Prozent, also fast jeder Zweite. Zwar sind laut bifg am häufigsten Rentner (Häufigkeit 299,92/1000) betroffen.
Doch Diabetes sei längst keine Alterskrankheit mehr, erklärt Tobias Wiesner.
"Es wird schon lange nicht mehr zwischen Alters- und Kinderdiabetes unterschieden. In Mangelsituationen, zum Beispiel nach den Weltkriegen, gab es keinen Typ-2-Diabetes. In den kalorisch überversorgten Zeiten tritt der Typ-2-Diabetes dann hingegen wieder auf. Diabetes ist also vielmehr eine Erkrankung der westlichen Lebensweise", beschreibt der Diabetologe.
Diese bestehe aus zu wenig Bewegung, durch Annehmlichkeiten wie Auto und Fahrstuhl, zu viel hochkalorischem und zu wenig ausgewogenem, ballaststoffreichem Essen. "Wir sehen über die letzten Jahre, dass sich die Erkrankung in der Altersstatistik immer weiter nach vorne schiebt. Auch weil die Bevölkerung immer übergewichtiger geworden ist."
Was ist Diabetes?
Diabetes ist eine Stoffwechselerkrankung, bei der es zu erhöhten Blutzuckerwerten kommt. Dabei unterscheidet man vor allem Typ 1 und Typ 2. Allerdings haben 90 bis 95 Prozent der Patienten den Typ-2-Diabetes, bei dem Insulin nicht mehr ausreichend produziert wird und Insulin an der Zelle nicht mehr richtig wirken kann. Es kommt zu einer Insulinresistenz.
"Man hat ein 50-prozentiges Risiko zu erkranken, wenn ein direkter Verwandter (Eltern, Geschwister) den Typ-2-Diabetes hat", erklärt Dr. Tobias Wiesner. Weitere Verursacher-Faktoren sind Übergewicht, Bewegungsmangel, Rauchen und unausgewogene Ernährung.
Typ-1-Diabetes ist hingegen eine Autoimmunerkrankung, bei der das eigene Immunsystem die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstört und es so zu einem Insulinmangel kommt. Der Lebensstil hat auf den Ausbruch, meist in jungen Jahren, keine Auswirkung.
Auch Kinder und Jugendliche sind schon häufig betroffen
"Diabetes mellitus bei Kindern ist zu 95 Prozent ein autoimmuner Typ-1-Diabetes", sagt Oberärztin Dr. Andrea Näke, Kinder-Diabetologin am Uniklinikum Dresden.
Erste Symptome seien "großer Durst und gehäuftes Wasserlassen", beschreibt die Ärztin. Babys würden zum Beispiel mehr Windeln benötigen und kleinere Kinder plötzlich wieder einnässen. Außerdem seien auffällig: Gewichtsverlust, sinkende Leistungsfähigkeit sowie Konzentrationsschwierigkeiten.
"Gefahr im Verzug deutet sich mit zunehmender Teilnahmslosigkeit bis Apathie, Bauchschmerzen, gelegentlichem Erbrechen und einer auffälligen Atmung an", erklärt Dr. Näke.
Dann müsse sofort ein Krankenhaus aufgesucht oder die 112 gewählt werden. Denn es droht eine lebensgefährliche Stoffwechselentgleisung, die sogenannte diabetische Ketoazidose.
"Es kommt zu Bewusstseinsstörungen und einer Hirnschwellung. Im schlimmsten Fall können die Kinder ohne rechtzeitige Behandlung im Koma diabeticum versterben."
Umso wichtiger ist eine frühe Diagnose. So können Eltern in Sachsen kurz nach der Geburt im Rahmen der "Freder1k"-Studie eine Untersuchung zur Früherkennung des Typ-1-Diabetes durchführen lassen. Näke: "Damit sind die Kinder weniger schwer krank, benötigen unter Umständen keine Infusion, keine Intensivstation."
Genug Obst und Gemüse: "5 x 1"-Empfehlung für Kinder und Erwachsene
Mit Medikamenten lasse sich nach ersten Erkenntnissen der klassische Ausbruch des Diabetes um bis zu drei Jahre verzögern. "Je jünger ein Kind erkrankt, umso höher ist das Lebensrisiko und umso instabiler ist der Stoffwechsel", sagt Näke.
Diabetes ist die zweithäufigste chronische (nicht heilbare) Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen. In den allermeisten Fällen tritt bei Kindern und Jugendlichen der Typ-1-Diabetes auf. Auch der Typ-2-Diabetes wird bei Kindern im Freistaat häufiger.
"Der Beginn ist schleichend und wird meist nicht bemerkt. Manchmal haben die Kinder bräunliche Verfärbungen am Hals oder in den Achselhöhlen", nennt die Diabetologin Auffälligkeiten. Schuld an den steigenden Zahlen seien, wie auch bei Erwachsenen, meist Bewegungsmangel und eine ungesunde Ernährung.
"Deshalb fordert die Deutsche Diabetes Gesellschaft unter anderem die Verminderung von Zucker in Kinderlebensmitteln und die Deklaration des Zuckergehaltes", sagt Andrea Näke. Eltern rät sie: "Eine gute Initiative ist 5 x 1 - jedes Kind (und Erwachsene ebenso) sollte mindestens dreimal täglich eine Handvoll Gemüse und zweimal täglich eine Handvoll Obst essen, davon aber nicht mehr.
Energiereiches Obst wie Weintrauben oder Bananen sind nicht günstig." Außerdem sollten sich Kinder eine bis anderthalb Stunden täglich bewegen.
So beugt Ihr der Zuckerkrankheit vor
- Eigenes Risiko einschätzen: Mit dem "FindRisk"-Fragebogen kann jeder mit nur acht Fragen checken, wie hoch das individuelle Risiko ist, in den nächsten zehn Jahren an Typ-2-Diabetes zu erkranken.
- Arzt konsultieren: Hat man ein erhöhtes Risiko - zum Beispiel durch Diabetes-Fälle in der Familie - sollte man sich mit dem betreuenden Hausarzt darüber verständigen. Dieser veranlasst dann gegebenenfalls ein Blutbild oder einen Blutzuckertest.
- Check-up-Programme nutzen: Ab 35 Jahren kann man alle drei Jahre zum Check-up gehen, bei dem auch auf Diabetes getestet wird. "Frauen sind da sehr konsequent, Männer gar nicht. Ich würde mir wünschen, dass mehr Männer die Check-up-Untersuchungen nutzen", sagt Dr. Tobias Wiesner. "Wenn ich Diabetes früh erkenne, habe ich die Chance, mit wenig Aufwand in der Therapie, dass die Erkrankung sehr langsam fortschreitet."
- Nicht ständig snacken: "Der Körper braucht kürzere und längere Fastenphasen am Tag, in denen wir die Bauchspeicheldrüse nicht permanent fordern. Wenn wir dauernd essen, muss die Bauchspeicheldrüse ununterbrochen Insulin ausschütten. Das schafft sie irgendwann nicht mehr ausreichend", erklärt Wiesner. "Drei bis fünf Mahlzeiten am Tag gilt vielleicht für junge Menschen in der Wachstumsphase, aber wir Diabetologen sagen, ausgewogen drei Mahlzeiten am Tag reichen zumeist, keine Zwischenmahlzeiten." Dabei gilt das Sprichwort: "Frühstücken wie ein Kaiser, Mittagessen wie ein König und Abendessen wie ein Bettler". Dadurch steige der Insulinspiegel über den gesamten Tag nicht zu sehr an.
- Gesund essen: Empfohlen wird eine salz- und zuckerarme, ballaststoffreiche Ernährung mit viel Gemüse und wenig rotem Fleisch (Schwein und Rind). "Die mediterrane Küche ist da sehr empfehlenswert", rät Wiesner, der aber auch Süßigkeiten in Maßen okay findet. "Am besten das leckere Stück Schokolade in der Nähe der Hauptmahlzeit essen, weil da der Körper auf große Kalorienmengen vorbereitet ist."
- Täglich bewegen: "Das muss nicht allein Sport sein, sondern auch einfache Dinge wie eine Straßenbahnhaltestelle eher aussteigen oder die Treppe nehmen. So was bringt im Alltag schon was und ist gut umsetzbar", empfiehlt der Diabetologe. Die Empfehlung der WHO liegt bei circa einer halben Stunde körperlicher Aktivität am Tag, also zwei bis drei Stunden in der Woche. "Das reicht tatsächlich aus", sagt Wiesner.
- Digitalisierung nutzen: "Wir haben den Coach in der Hosentasche. Es gibt viele Gesundheits-Apps, die im Alltag motivieren, mich gesund zu bewegen und zu ernähren", sagt Tobias Wiesner. Man müsse sie nur nutzen.
Prädiabetes: Chance zur Umkehr
Prädiabetes ist die Vorstufe zum Diabetes und wird zum Beispiel mittels Zuckerbelastungstest erkannt, der eine gestörte Glukosetoleranz offenbart. Dabei trinkt der Patient eine konzentrierte Zuckerlösung. Nach zwei Stunden werden die Glukosewerte im Blut gemessen und mit dem Nüchternblutzucker verglichen.
"Wenn ich bei der Diagnose Prädiabetes nun mein Leben ändere, kann ich verhindern, dass es in einen manifestierten Diabetes überwechselt", erklärt der Experte. Heißt: Der Ausbruch von Diabetes wird deutlich verzögert. "Und körperliche Aktivität wirkt da besser als alle bisher getesteten Medikamente, zumal die keine Leistung der Krankenkassen sind, sportliche Präventivprogramme hingegen schon", sagt Tobias Wiesner und fährt fort:
"Prinzipiell gibt es beim Diabetes immer ein genetisches Grundrisiko. Aber verschiedene Studien zeigen, dass Prävention wirklich gut funktioniert. Mit ausgewogener Ernährung, körperlicher Betätigung und Gewichtsreduktion kann man sogar Diabetes-Patienten therapiefrei, also symptomfrei, kriegen."
Bildung und Geldbeutel entscheiden über Erkrankung
Diabetes ist anscheinend auch eine Bildungsfrage. Nach Erhebungen des bifg erkranken in Sachsen am seltensten Menschen mit (Fach-)Abitur-Abschluss (45,19/1000), am häufigsten Menschen mit einem Abschluss der Hauptschule (90/1000), der Mittleren Reife (89,37/1000) und ohne Abschluss (87,06/1000).
So sind nach Rentnern vor allem Sozialhilfeempfänger (196,7/1000) von Diabetes betroffen. Dr. Tobias Wiesner weiß auch warum: "Ein niedriger Bildungsstand bedeutet meist auch einen niedrigen Sozialstatus, was oft mit wenig Bewegung einhergeht und weniger zur Verfügung stehenden finanziellen Möglichkeiten. Und leider sind gesunde Sachen tatsächlich teurer."
So sinkt laut bifg mit zunehmendem Einkommen auch das Diabetesrisiko deutlich. "Die DDG fordert deshalb schon lange eine gesunde Mehrwertsteuer. Gesunde Lebensmittel sollten eine andere, geringere Mehrwertsteuer haben oder sogar einer Befreiung unterworfen werden", mahnt Wiesner.
"Denn die Konsequenz daraus, wenn ich Lebensmittel nicht nach ihrem Gesundheitswert, sondern nach ihrem Preis kaufe, ist, dass diese häufig ultraverarbeitet sind, mit einem hohen Anteil von Zuckern und Fett, einem geringen Anteil von Ballaststoffen und einer deutlich höheren Kaloriendichte."
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