Impfpflicht bringt Sachsens Pflege in Gefahr: Immer mehr Fachkräfte melden sich arbeitsuchend

Leipzig - Mitte Dezember beschloss der Bundestag die Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen und in der Pflegebranche ab dem 15. März. Seither melden sich in Sachsen immer mehr Pflegekräfte und Krankenschwestern "arbeitsuchend", weil sie in ihrem Beruf keine Zukunft mehr sehen. Mit verheerenden Folgen für die Betreuung pflegebedürftiger Menschen.

Einsam im Heim, weil nicht genug Pfleger da sind - ein solches Szenario könnte mit der Impfpflicht mancherorts wahr werden.
Einsam im Heim, weil nicht genug Pfleger da sind - ein solches Szenario könnte mit der Impfpflicht mancherorts wahr werden.  © Sebastian Kahnert/ZB/dpa

"Hallo, ich bin seit 20 Jahren Krankenschwester, 10 davon Fachschwester für Anästhesie und Intensivmedizin. Leider darf ich ab dem 15.03.2022 nicht mehr in meinem Beruf arbeiten und suche nun ein neues Aufgabenfeld", schreibt Katrin aus Bischofswerda in ihr Inserat auf eBay-Kleinanzeigen.

Auch Mandy aus Oberlungwitz, die "seit 2005 in der Pflege tätig" ist und eine Qualifikation als "Praxisanleiterin" hat, sucht hier mit Verweis auf die Impfpflicht einen neuen Beruf. Anzeigen-Portale im Internet sind derzeit voll von Stellengesuchen ungeimpfter Pflegekräfte und Krankenschwestern.

Nach Angaben von Kathrin Groschwald, die der Arbeitsagentur in Bautzen vorsteht, haben sich seit Mitte Dezember allein in der Oberlausitz etwa 30 Prozent mehr Menschen arbeitsuchend gemeldet - die meisten aus dem Gesundheitswesen und Pflegeberufen.

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Groschwald führte das jüngst im MDR-Interview auf die beschlossene Impfpflicht zurück. Offizielle Zahlen für ganz Sachsen gibt es nach Aussagen der Landesarbeitsagentur noch nicht, da die statistische Erfassungsperiode erst Mitte Januar endet.

Was auf den Freistaat zukommt, lässt sich am Pflegedienst von Simone Holzhäuser (54) aus Naunhof (Kreis Leipzig) ermessen, der mit 800 betreuten Patienten zu den größeren im Land gehört.

"25 meiner 65 Mitarbeiter sind nicht geimpft und haben sich schon online arbeitsuchend gemeldet - das ist eine Katastrophe", erzählt die Chef-Pflegerin. Ihr Versorgungsvertrag gerate damit in Gefahr. "Zwischen 30 und 40 Prozent der Patienten können wir dann nicht mehr betreuen", schätzt Holzhäuser.

Pflegeeinrichtungen verzweifelt: "Über die Hälfte der Beschäftigten will kündigen!"

Verzweifelt: Pflegedienst-Chefin Simone Holzhäuser (54) mit ihrem Mitarbeiter Nico Heue (39), der sich auch arbeitssuchend gemeldet hat.
Verzweifelt: Pflegedienst-Chefin Simone Holzhäuser (54) mit ihrem Mitarbeiter Nico Heue (39), der sich auch arbeitssuchend gemeldet hat.  © Ralf Seegers

Auch ihr Pflegezentrum-Projekt mit 64 Plätzen für betreutes Wohnen und 22 Tagespflegeplätzen wird dann wohl platzen. "Vor knapp zwei Jahren haben sie uns noch vom Balkon aus beklatscht, jetzt treten sie uns in den A....", ärgert sich Holzhäuser. Sie überlegt, gegen die Impfpflicht zu klagen.

Heftig trifft es auch Christian Ludwig (54), der in Freiberg die Intensiv-Pflegeeinrichtung "Home intensiv" betreibt, die unter anderem Beatmungs-Patienten und schwerstkranke Menschen betreut. "Bei uns wollen über die Hälfte der Mitarbeiter kündigen, sobald es zur Impfpflicht kommt", berichtet er. Dies bedeute, dass dann auch 50 Prozent der Patienten aufgegeben werden müssten.

Was Ludwig besonders ärgert: "In zwei Jahren Corona war keiner unserer Patienten infiziert, mit strenger Hygiene und täglichen Mitarbeiter-Tests haben wir das Virus draußen gehalten - das interessiert aber offenbar niemanden."

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Die Impfpflicht hält Ludwig für ein "Trojanisches Pferd". "Geimpfte können das Virus auch in sich tragen und weitergeben."

Prognosen, wie viele Beschäftigte in der Pflege wegen der Impfpflicht ihren Beruf an den Nagel hängen, möchte Sachsens Regierung nicht abgeben.

"Das Sozialministerium geht davon aus, dass sich mit der Fortsetzung der sächsischen Impfstrategie, der Aufklärung und Information insbesondere in Verbindung mit dem neuen Impfstoff Novavax die Bereitschaft zum Impfen bei den Beschäftigten schrittweise verbessern wird", hieß es auf eine Anfrage von TAG24.

Hilferuf: Dieses Plakat vor der "Home intensiv"-Pflegeeinrichtung in Freiberg macht auf die Situation in der Pflegebranche aufmerksam.
Hilferuf: Dieses Plakat vor der "Home intensiv"-Pflegeeinrichtung in Freiberg macht auf die Situation in der Pflegebranche aufmerksam.  © Kristin Schmidt
"Home intensiv"-Chef Christian Ludwig (54) schätzt, dass er über die Hälfte seiner Pflegefachkräfte wegen der Impfpflicht verlieren wird.
"Home intensiv"-Chef Christian Ludwig (54) schätzt, dass er über die Hälfte seiner Pflegefachkräfte wegen der Impfpflicht verlieren wird.  © privat

So viele Pflege-Beschäftigte sind in Sachsens Heimen geimpft

Die höchste Impfquote unter Beschäftigten in Pflegeheimen gibt es in Leipzig - die niedrigste im Landkreis Görlitz.
Die höchste Impfquote unter Beschäftigten in Pflegeheimen gibt es in Leipzig - die niedrigste im Landkreis Görlitz.  © TAG24

Sachsen hat deutschlandweit die geringste Impfquote. Unter den Beschäftigten in Pflegeheimen und Tagespflegeeinrichtungen, für die ab März eine Impfpflicht gelten soll, ist sie sogar noch geringer.

Aktuellen Behördenangaben zufolge gelten 60,9 Prozent der Sachsen derzeit als "grundimmunisiert". Das heißt, sie haben mindestens zwei Corona-Impfungen erhalten.

Bei den Beschäftigten in der Pflege liegt die Quote laut Sozialministerium landesweit bei 59,3 Prozent (Dezember 2021). Im Landkreis Görlitz sind sogar weniger als die Hälfte der Beschäftigten (49,3 Prozent) vollständig geimpft, auch die Kreise Zwickau (50,2), Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (51,2), Bautzen (54,0), Meißen (54,2) und Mittelsachsen (54,5) dürften mit Eintritt einer Impfpflicht ein gravierendes Pflege-Problem bekommen.

Die höchsten Impfquoten gibt das Ministerium für Pflege-Beschäftigte in der Stadt Leipzig (79,1 Prozent), im Kreis Nordsachsen (68,8) und in Dresden (64,6) an.

Titelfoto: Sebastian Kahnert/ZB/dpa

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