Immer mehr Sachsen schweigen nicht mehr! Widerstand gegen Corona-Ignoranten wächst

Ebersbach-Neugersdorf - Es sind bizarre Szenen, die dieser Tage nicht nur auf sächsischen Straßen zu beobachten sind. Während Ärzte, Schwestern und Pfleger auf Covid-Stationen um das Leben von Menschen kämpfen, demonstrieren andere gegen Schutzmaßnahmen oder leugnen schlichtweg die Existenz der Corona-Pandemie.

Kritiker der Coronamaßnahmen protestieren am 6. Dezember im sächsischen Freiberg.
Kritiker der Coronamaßnahmen protestieren am 6. Dezember im sächsischen Freiberg.  © Sebastian Willnow/dpa

Der Arzt und Moderator Eckart von Hirschhausen (54) spricht von "zwei Welten". Es gebe Menschen, die partout gegen alles sein wollen, sagte er unlängst bei einer Online-Konferenz der sächsischen Regierung:

"Die werden wir nie erreichen (...) Das sind Gott sei Dank auch nicht viele. Es ist ein großer Fehler, denen ständig ein Mikrofon vor die Nase zu halten, weil dadurch der Eindruck entsteht, dass es die Mehrheit wäre."

Man müsse mehr die "schweigende Mehrheit" zu Wort kommen zu lassen.

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Kurz vor Weihnachten hört die Sprachlosigkeit gegenüber Corona-Ignoranten auf. Vielerorts in Sachsen gibt es Aufrufe von Bündnissen oder Einzelpersonen, die zu den Umtrieben nicht länger schweigen wollen.

Verena Hergenröder, parteilose Bürgermeisterin der Stadt Ebersbach-Neugersdorf in der Oberlausitz, hat in einem offenen Brief an die Bürger aufgeschrieben, was sie in diesen Tagen bewegt.

"Seit nahezu zwei Jahren leben wir in und mit einer Pandemie, begleiten uns Sorgen, Ängste, Hoffnungszeichen und in den letzten Wochen zunehmend extreme Verwerfungen in unserem gesellschaftlichen Miteinander bis hin zu bedrohlichen Aktivitäten von Menschen aus unserem unmittelbaren Umfeld", heißt es gleich am Anfang.

Forderungen an "Spaziergänger" - und Politiker

Die Bürgermeisterin der Stadt Ebersdorf-Neugersdorf, Verena Hergenröder, hat sich in einem offenen Brief an die Menschen in Sachsen gewendet.
Die Bürgermeisterin der Stadt Ebersdorf-Neugersdorf, Verena Hergenröder, hat sich in einem offenen Brief an die Menschen in Sachsen gewendet.  © Christian Juppe

Die Oberlausitz stehe derzeit nicht wegen ihrer Stärken und Vorzüge im Fokus, sondern aufgrund eines "in zunehmendem Maße verantwortungslosen und sinnfreien Verhaltens von Gruppierungen, die Respektlosigkeit leben, Rechte einfordern und gleichzeitig missachten, Verunsicherung streuen und die Gefahr durch ein rasant um sich greifendes Virus für unsere Gesundheit und unser so lieb gewonnenes Leben vehement verneinen. Das möchte ich nicht länger hinnehmen", erklärt die Kommunalpolitikerin.

Sie erinnert etwa an Ärzte und Pflegepersonal, die auf Hochtouren arbeiten und die Handwerker, die vor unglaublichen Herausforderungen stehen.

Auch in Freiberg, wo seit Wochen Hunderte Menschen regelmäßig dem Aufruf der rechtsextremen "Freien Sachsen" folgen und durch die Stadt ziehen, hat sich ein Bündnis engagierter Bürger Anfang des Monats per Offenem Brief an die Einwohner gewandt.

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Zu den 350 Erstunterzeichnern sind inzwischen rund 4000 weitere Unterstützer hinzugekommen.

"Lasst Freiberg nicht zum Abenteuerspielplatz der Rechtsextremen und Corona-Leugner werden!", heißt es in dem Aufruf.

Und weiter: "Wir fordern die Spaziergänger auf, dieses weitere Befeuern der Pandemie zu unterlassen. Von der Politik erwarten wir, diese illegalen Demonstrationen nicht länger zu dulden."

"Sachlichkeit, Vernunft und Wertschätzung" müssen wieder die Oberhand gewinnen

Während Covid-Ignoranten auf den Straßen randalieren, retten Ärzte und medizinisches Personal auf den Intensivstationen schwer erkrankten Corona-Patienten das Leben.
Während Covid-Ignoranten auf den Straßen randalieren, retten Ärzte und medizinisches Personal auf den Intensivstationen schwer erkrankten Corona-Patienten das Leben.  © Robert Michael/dpa

Am Montag wurde die Erklärung "Bautzen gemeinsam" vorgestellt. "Die Corona-Protestler nutzen die Pandemie als Vorwand, um Krawall zu stiften, die Demokratie zu gefährden und die Gesellschaft zu spalten", heißt es darin.

"Der Bruch geht durch Familien und Freundeskreise (....) Wir können es nicht zulassen, dass diese kleine, viel zu laute Gruppe noch lauter wird. Bautzen ist und soll auch fortan kein Aufmarschplatz der Rechtsextremen und Corona-Leugner sein." Man nehme es nicht hin, dass Protestler die Krise durch Egoismus befeuern.

Der Aufruf ist inzwischen von mehr als 5000 Leuten unterzeichnet, auch von der aus Bautzen stammenden Band Silbermond.

Verena Hergenröder zeigt Empathie, die in dieser Krise so dringend gebraucht und vielerorts vermisst wird. Sie fragt die Bürger direkt, was jeder im Kampf gegen die Pandemie beitragen kann und ob Schutzmaßnahmen wie die Maskenpflicht wirklich unzumutbar sind.

Sie macht sich für das Impfen stark und erinnert die Einwohner, dass ihre Gesundheit in ihren eigenen Händen liegt und nicht von "stillen Demonstrationen" oder lauten Protesten abhängt. "Sachlichkeit, Vernunft und Wertschätzung" müssten wieder die Oberhand gewinnen.

An die denken, die unmittelbar von der Krise betroffen sind

Die aus Bautzen stammende Band Silbermond engagiert sich gegen Rechtsextremismus und die Spaltung der Gesellschaft.
Die aus Bautzen stammende Band Silbermond engagiert sich gegen Rechtsextremismus und die Spaltung der Gesellschaft.  © Britta Pedersen/ZB/dpa

Kürzlich hat Hergenröder erneut versucht, die aufgeheizte Stimmung im Corona-Hotspot Sachsen zu beruhigen. Seither prangt ein Schild am Rathaus: "Hier zünden Wir die Kerzen an", so die Überschrift. "Hier" und "Wir" sind in Großbuchstaben geschrieben.

Auf der einen Seite des Plakates wird an jene erinnert, die Opfer der Pandemie wurden oder besonders auf Hilfe angewiesen sind. Auf der anderen Seite werden all jene wertgeschätzt, die jetzt in ihren Berufen besonders gefordert sind. Inzwischen beteiligen sich andere Bürgermeister an der Aktion.

"Ich will keine Gegenveranstaltung zu irgendwas machen und auch niemanden provozieren, der eine andere Meinung hat. Mir ging es darum, auch mal an jene Menschen zu denken, die unmittelbar von der Krise betroffen sind", sagt das Stadtoberhaupt.

Die Entwicklung laufe gerade aus dem Ruder. Es gebe aber auch "die andere Seite der Pandemie", großes Engagement und Nachbarschaftshilfe. "Ich gebe die Hoffnung nicht auf."

Tatsachen geben der Bürgermeisterin recht. Als die sächsischen Krankenhäuser vor kurzem einen Notruf abschickten und um Unterstützung baten, meldeten sich binnen weniger Tage fast 2000 Freiwillige - Ärzte und Schwestern im Ruhestand, Pflegekräfte, Rentner und Arbeitslose.

Sie alle wollen helfen - auch wenn es nur darum geht, Essen auszutragen oder Kurierdienste zu übernehmen.

Titelfoto: Montage: Sebastian Willnow/dpa, Christian Juppe

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