Immer mehr Branchen können ihre Stellen nicht mehr besetzen: Der Kampf um den Nachwuchs ist entbrannt
Dresden - Der 1. Mai gilt traditionell als Kampftag der Arbeiterklasse. An diesem Tag ging das Proletariat einst auf die Straße, um für bessere Arbeitsbedingungen oder höhere Löhne einzustehen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Heute sind es die Arbeitgeber, die kämpfen müssen - und zwar um Nachwuchs. Denn die Lehrlinge von heute sind die Fachkräfte von morgen, an denen es bekanntlich bereits mangelt. So ist ein Kampf der Branchen um die Jugend entbrannt. Einige Berufszweige könnten dabei auf der Strecke bleiben.
Oliver hat es geschafft. Der 26-Jährige hat seine Lehre zum Mechatroniker für Kältetechnik erfolgreich beendet und ist jetzt Jungfacharbeiter in der Firma Compact Kältetechnik GmbH aus Dresden.
Ein Job nicht nur für Männer: Auch Azubi Clara (17) steckt mitten in der dreieinhalbjährigen dualen Ausbildung, die ihr großen Spaß bereitet. Doch das neue Lehrjahr, das im September beginnt, könnte diesmal nahezu ohne Lehrlingszuwachs starten.
"Für den Beruf Mechatroniker ist es schon schwierig, junge Leute zu begeistern, aber bei der Fachrichtung Kältetechnik ist es nochmal besonders schwer", klagt Personalleiterin Annett Gregor (45).
So sucht sie für Dresden noch vier und für den Standort Scharfenstein einen Azubi (www.compact-kaeltetechnik.de/de/karriere/).
"Unsere Strategie ist es, vor allem für den eigenen Bedarf auszubilden", erklärt sie.
"Aber wir brauchen eben auch Dienstleister, Handwerker und Servicekräfte"
So würden Auszubildende mit gutem Abschluss quasi immer übernommen. Um das Interesse für den oft unbekannten Beruf zu wecken, ist das Unternehmen auf Berufsmessen, in Schulen und bei Social Media aktiv.
"Normalerweise haben wir immer zwei bis drei Praktikanten, die in den Beruf reinschnuppern können. Aber durch die Pandemie fehlte den jungen Menschen zeitweise die Chance auf ein Praktikum", sagt Gregor. Dadurch fehle es nun auch an Bewerbern.
Insgesamt registrierten sich seit Oktober 2021 etwa 14.500 Jugendliche in Sachsen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz bei den Jugendberufsagenturen. Demgegenüber wurden aber über 17.500 Ausbildungsstellen der Arbeitsagentur gemeldet - ein Plus von 2000 Lehrstellen zum Vorjahr.
Davon sind immer noch fast 12.300 unbesetzt. "Unter den Branchen ist ein Kampf um die wenigen Jugendlichen entbrannt", bemerkt Axel Klein (52), Geschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA) in Sachsen.
Auch, weil viele Jugendliche die akademische Laufbahn einschlagen würden. "Aber wir brauchen eben auch Dienstleister, Handwerker und Servicekräfte", sagt Klein.
Laut Sächsischer Arbeitsagentur fehlt es an Stahlbetonbauern und Lebensmittelverkäufern
Im Handwerk würden vor allem Betriebe der Bau- und Ausbaubranche um Nachwuchs ringen, erklärt Johanna Schade, Pressereferentin der Handwerkskammer Dresden.
"Aber auch im Metall- und Elektrogewerbe, z. B. für die Berufe des Elektronikers oder des Anlagenmechanikers für Sanitär, Heizungs- und Klimatechnik, sowie im Lebensmittelgewerbe, gibt es deutlich mehr offene Lehrstellen als Bewerber."
Gemessen an der Zahl der Bewerber auf die Zahl der freien Lehrstellen, fehlt es laut Sächsischer Arbeitsagentur vor allem an Stahlbetonbauern und Lebensmittelverkäufern in der Fleischerei (siehe Tabelle).
"Wir bilden seit 29 Jahren aus und schalten jedes Jahr Stellenausschreibungen. Inzwischen nehmen wir die schon gar nicht mehr raus", erzählt Claudia Seibt (46), Personalreferentin für den Bereich Ost des Bahnbauunternehmens STRABAG Rail in Freital.
Jeder dritte Jugendliche entscheidet sich für einen der beliebten Berufe
Für den ausgeschriebenen Ausbildungsplatz zum Beton- und Stahlbetonbauer (www.jobboerse.strabag.at) für das nächste Ausbildungsjahr kam bisher eine einzige Bewerbung. "Ende der 1990er bis Mitte der 2000er Jahre hatten wir Körbe voller Bewerbungen", erinnert sie sich.
Dass das nicht mehr so ist, sei vor allem dem demografischen Wandel geschuldet. Es fehle einfach quantitativ an Nachwuchs.
So hat die Jugend heutzutage meist die Qual der Wahl, und die fällt meist nicht auf Jobs, die Reisebereitschaft, Schichtarbeit oder körperlich schwere Arbeit verlangen. Jeder dritte Jugendliche entscheidet sich vielmehr für einen der beliebten Berufe.
Dazu zählen Verkäufer, Kfz-Mechatroniker, Kaufmann/-frau im Einzelhandel oder Büromanagement, Fachlagerist, Tischler oder auch Friseur.
Damit auch die anderen Branchen nicht leer ausgehen, wird fleißig die Werbetrommel gerührt, die Ausbildung immer häufiger nach Tarif vergütet und zusätzliche Anreize geboten, wie zum Beispiel Zuschüsse zum Führerschein oder die Übernahme von Neben- und Fahrtkosten sowie für die Unterbringung am Berufsschulort.
Titelfoto: Bildmontage: Ove Landgraf, Imago Images